1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 „Doch, doch, aber es schadet ja nichts, wenn wir uns die Sache ebenfalls anschauen. Die haben sicher auch genug mit dem Terroranschlag in Kopenhagen zu tun. Vielleicht ist Saqr ein Name, der in den sozialen Medien benutzt wird.“
Kim blinzelte ein paarmal. „Dann fange ich da an.“
„Gut.“ Anker Dahl schenkte ihm ein kurzes Lächeln. „Sag den anderen Bescheid, dass wir eine Besprechung abhalten. Ich will über alles informiert werden, was bei den Zeugenvernehmungen herausgekommen ist. Gibt es schon eine Rückmeldung aus der Rechtsmedizin wegen des Fahrers?“
Kim nickte und erhob sich wieder, als er realisierte, dass es kein längerer Besuch im Büro des Chefs werden würde. „Ja, aber der Bericht wurde an den DUP weitergeleitet.“
Anker Dahl biss die Zähne zusammen. Natürlich musste der Fall des Beamten untersucht werden, bevor die Polizei mit ihrer Ermittlung weiterkommen konnte. Nicht nur der PET mischte sich ein. Es hatte ihn überrascht, Roland Benito bei der Besprechung zu sehen. Er hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet Benito Viktor Enevoldsens bester Mann wäre.
„Sonst noch was?“, unterbrach Kim Ansagers etwas mädchenhafte Stimme seine Gedanken.
„Nein, alles weitere bei der Besprechung.“ Er schaute auf seine Uhr. „In zehn Minuten.“
Kim Ansager schlug scherzhaft die Hacken zusammen, wie ein Offizier in der Armee, und grinste schelmisch. Er musste wissen, dass diese Art Witz an seinem Chef abprallte, der ihn stattdessen irritiert ansah. Hätte er auch salutiert, hätte Anker Dahl es als Beleidigung aufgefasst, doch Kim spürte die Stimmung, drehte sich um und ging zurück ins Nachbarbüro.
Zehn Minuten später saßen sie alle mit ihren Kaffeetassen vor Anker Dahl an dem kleinen, runden Konferenztisch. Yazmin tippte mit den Nägeln gegen ihren Becher. Es sah nicht aus, als ob sie selbst bemerkte, dass es das einzige Geräusch in Anker Dahls Büro war. Sie starrte auf die Bilder des getöteten Busfahrers an der Tafel. Anker Dahl dachte, dass der Mann sympathisch aussah. Sie hatten das Foto in seinem Portemonnaie gefunden. Abdul-Jabaar hatte ein freundliches, rundes Gesicht. Nur wenn man näher heranging, meinte er, einen Funken Hass in seinen schwarzen Augen zu erahnen. Er schwelte in ihnen, aber wer wusste, wogegen der Hass gerichtet war? Wer hatte das Foto gemacht? Eindeutig jemand aus seinem Heimatland. Das Bild zeigte einen etwas jüngeren Mann als den, der in der eiskalten Leichenhalle der Rechtsmedizin lag. Er war vor einem gelben, alten Mauerwerk und der Hälfte eines Schildes mit arabisch aussehenden Zeichen fotografiert worden. Anker Dahl hatte herausgefunden, dass es beim Eingang zum Khyber Pass bei Peshawar aufgenommen worden war, der Hauptstadt in der Khyber Pakhtunkhwa-Provinz in Pakistan.
Er erhob sich von seinem Stuhl, um sich auf die Ecke seines Schreibtisches zu setzen. Er beobachtete Yazmin.
„Kanntest du ihn?“, fragte er.
Sie kehrte in die Gegenwart zurück, hörte mit dem Trommeln gegen den Becher auf und richtete ihren dunklen, überraschten Blick auf ihn. Schüttelte den Kopf. „Nein, warum sollte ich?“
„Vielleicht aus deinem Bekanntenkreis?“
„Ich kenne ihn nicht. Er kommt ja auch aus einem anderen Stadtteil als ich. Außerdem ist er Pakistaner“, unterstrich sie, als ob das jegliche Bekanntschaft ausschloss.
„Und du, Hafid? Kanntest du ihn?“
Hafid Ahmed sah ihn beinahe beleidigt an mit genauso dunklen Augen wie Yazmins. Seine Mutter war Dänin, sein Vater Marokkaner. Anker Dahl war stolz, zwei der sonst wenigen Beamten mit Migrationshintergrund in seiner Abteilung zu haben. Das passte zu seinem Ziel einer Polizei der Zukunft, obwohl er sich damit abfinden musste, dass sie ab und zu den Dienst verließen, um in den Gebetsraum zu gehen, der für sie im Polizeipräsidium eingerichtet worden war, um muslimischen Mitarbeitern entgegenzukommen. Er wusste, dass sie es nicht leicht hatten. Es war nicht von allen in ihrem Umfeld gern gesehen, dass sie für die Polizei arbeiteten, die in ihren Herkunftsländern oft der Feind war. Auch die Dänen akzeptierten sie nicht immer. Einige baten um einen weißen Beamten anstelle eines Fremden. Es bedeutete nichts, dass sie schon so lange in Dänemark wohnten, dass sie sich mit Recht Dänen nennen konnten. Jetzt mussten sie auch für die extremistischen Handlungen anderer Muslime büßen, da heutzutage viel zu viele alle über einen Kamm schoren. War man dunkelhäutig, war man Moslem, und wenn man Moslem war, war man Terrorist. In den letzten Jahren hatte sich die Tendenz verschlechtert. Die europaweiten Terroranschläge machten es nicht besser, aber das hinderte ihn nicht daran, weiter daran zu arbeiten, dass Beamte mit einer anderen ethnischen Herkunft als dänisch den gleichen Anteil im Polizeikorps ausmachen sollten wie in der Bevölkerung.
„Nein, ich kenne ihn auch nicht“, antwortete Hafid. „Aber wir haben mit seiner Familie gesprochen. Niels und ich. Sie bestreiten, dass er irgendetwas mit Terrorismus zu tun hat.“
„Seine Frau hat die ganze Zeit geweint und wollte nicht mit uns sprechen, aus ihr haben wir also nichts herausbekommen. Aber zwei Töchter, die hier in Dänemark geboren sind, erzählten, dass ihr Vater so etwas niemals tun würde. Er war voll in die dänische Gesellschaft integriert und hatte seit vielen Jahren als Busfahrer gearbeitet. Sie berichteten, die Mutter meine, es sei Mord. Polizeigewalt. Dass ihr Mann aus Hass getötet wurde“, fuhr Niels fort und zuckte die Schultern, als ob das eine Möglichkeit sein könnte.
„Siljas hat mit seiner Meinung über Flüchtlinge und Migranten ja auch nicht hinterm Berg gehalten. Sein Facebook-Profil ist voll davon. Er ist gerade der DFD beigetreten, habe ich gesehen“, sagte Yazmin zornig.
„Das macht ihn ja nicht zum Täter!“, protestierte Isabella.
Sie hatte recht, doch die Presse schwelgte im Facebook-Profil des Beamten. Er hoffte, dass die DUP während ihrer Ermittlung nicht die gleiche Brille aufhatte. Mehrfach hatte er seinen Mitarbeitern gegenüber unterstrichen, dass sie darüber nachdenken sollten, was sie in den sozialen Medien einstellten. Er selbst benutzte sie nie.
„Wieso haben wir diesen Bus eigentlich überhaupt gestoppt?“, fragte Niels.
„Es gab einen anonymen Tipp. Der Fahrer sollte gestoppt werden, bevor er das Zentrum erreichte, wo er angeblich eine Bombe zünden wollte.“
„Anonymer Tipp?“, wiederholte Hafid verständnislos.
„Ja. Zu dem Zeitpunkt war gerade der Anschlag in Kopenhagen passiert und man ist kein Risiko eingegangen.“
„Aber warum den Fahrer erschießen? Er saß doch nicht mit nem Sprengstoffgürtel da?“, meinte Hafid sarkastisch.
„Es ist unklar, warum Siljas Byskov den Schuss abgefeuert hat. Der Fall liegt bei der DUP. Wir sollen nur prüfen, ob die Rede von Terror ist. Der PET ist auch an der Sache dran. Falls es Terror ist, meinen sie, könnte es zu dem in Verbindung stehen, was in Kopenhagen passiert ist. Aber wir dürfen nur beobachten und Informationen weitergeben und alles muss über mich laufen. Es ist ungeheuer wichtig, dass das alle verstehen.“
Er sah schnell nach unten und bürstete einen imaginären Fussel von seiner Hose. Niemand wusste, dass er seit bald einem Jahr in aller Heimlichkeit nach einem mutmaßlichen Terroristen und Schleuser fahndete, der sich immer noch in Aarhus aufhalten sollte. Der Mann mit dem weißen Glasauge, der im vergangenen Sommer in einem Kaffeehaus in Ägypten fotografiert worden war. Er musste die Reportagefotografin wieder kontaktieren. Kamilla Holm hieß sie. Die Fotoreportage, die sie von Flüchtlingslagern in Nordafrika und auf Lampedusa gemacht hatte, hatte ihr einen ehrenvollen Preis eingebracht. Er wusste, dass sie selbst nach dem Mann suchte. Sie hatten eine Weile Kontakt gehalten, nachdem eine Zeitungsredaktion in Kairo bei einem Bombenanschlag in die Luft geflogen war und einige Journalisten dabei ums Leben kamen. Sie hatte Stiffeye im Verdacht, wie der Mann wegen seines Auges genannt wurde. Er hatte Verbindungen zu mehreren Terrororganisationen gehabt, unter anderem Al-Qaida und Boko Haram. Es waren ihre Freunde in Kairo – die, die getötet worden waren –, die entdeckt hatten, dass eine neue Terrorzelle, die Stiffeye gebildet haben sollte, einen Anschlag irgendwo in Europa plante. Kamilla vermutete, dass das der Grund für den Anschlag auf die Redaktion gewesen war. Stiffeye hatte herausgefunden, was sie wussten. Als Kamilla Holm Anker Dahl zum ersten Mal kontaktierte, fürchtete sie, selbst in Gefahr zu sein, falls Stiffeye auch wusste, dass sie im Café Bilder von ihm gemacht hatte. Nach wie vor behauptete sie, ihn bei ihrer Rückkehr am Aarhuser Flughafen gesehen zu haben. Vielleicht war der missglückte Terroranschlag im Stadtbus sein Werk. Falls es überhaupt ein Anschlag war. Aber warum hatte er in diesem Fall so lange gewartet? Es war Monate her, seit Anker Dahl zuletzt von der Fotografin gehört hatte. Er wusste nicht, ob sie ihre Suche aufgegeben hatte oder ihn einfach nicht mehr brauchte. Damals hatte er den PET kontaktiert, um zu hören, ob sie etwas über den Mann wussten. Er hatte ihnen das Bild des leicht wiederzuerkennenden Gesichts geschickt, das die Fotografin gemacht hatte. Das Glasauge steckte verkehrt in der Augenhöhle, sodass es steif, weiß und starrend aussah. Doch der PET behauptete, ihn nicht zu kennen.
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