1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 „Dürfen wir denn in der Sache überhaupt etwas unternehmen, wenn sie dem PET gehört?“, fragte Isabella verwundert.
Er war froh, sie zurückzuhaben. Sie war aufgrund ihrer Stresssymptome eine Weile krankgemeldet gewesen. Ihr Mann und früherer Kollege war verhaftet worden, saß nun versehrt im Rollstuhl im Staatsgefängnis Ostjütland und wollte weder sie noch andere seiner Kollegen von der Ostjütländischen Polizei sehen – nicht einmal Anker Dahl. Danach hatte sie versucht, ihren teuren Bauernhof in Skåde zu verkaufen, den sie sich allein mit nur einem Beamtengehalt nicht leisten konnte. Es war ihr nicht gelungen; darüber hinaus hatte sie andere, ihm unbekannte Probleme gehabt und war schließlich unter dem Druck zusammengebrochen. Vor ein paar Wochen war sie zurückgekommen und hatte anscheinend ihr Gleichgewicht wiedergefunden. Der psychologische Dienst der Polizei hatte ihr geholfen, obwohl sie sich zuerst geweigert hatte, diese Hilfe anzunehmen.
„Ja, wir sind bei der Ermittlung dabei, aber wie gesagt: kein Eingreifen. Wir verhören Zeugen wie bei einer normalen Ermittlung und, wenn es etwas gibt, das für den PET relevant ist, erstatten wir Bericht.“
Anker Dahl kniff irritiert die Augenbrauen zusammen und stierte wütend auf das Telefon, als es zu läuten begann. Er ließ es klingeln und hoffte, die Rezeptionistin verstünde, dass er in einer Besprechung saß.
„Dann waren also keine Zeugen mit etwas Brauchbaren dabei?“
„Doch. Mehrere erwähnten eine Frau in einer Burka, die den Bus an der Haltestelle verließ, kurz bevor der Streifenwagen sie einholte. Es sah aus, als flüchtete sie, und einer meinte, sie kannte den Fahrer. Sie haben Blicke gewechselt.“
„Burka?“, wiederholte Hafid. „Die muss doch leicht zu finden sein, in Aarhus gibt es nicht viele Frauen mit Burka.“
„Nein, die Regierung hat doch vor ein paar Jahren eine Studie in Auftrag gegeben, die die Anzahl von Burka-Trägerinnen in Dänemark feststellen sollte und fast nur Frauen fand, die Kopftuch und Niqab trugen, die die Augen freilassen. Wie sich herausstellte, ließen sich die mit Burka bekleideten Frauen an einer Hand abzählen“, wandte Isabella ein.
Yazmin nickte. „Viele Dänen verwechseln Niqab und Tschador mit einer Burka. Ich kenne auch niemanden, der mit einer Burka herumläuft, da sind ja die Augen durch ein Netz verschleiert.“
Sie sah Hafid fragend an, der den Kopf schüttelte.
„Ich auch nicht.“
„Dann können wir die Personenbeschreibung also zu nichts gebrauchen“, seufzte Anker Dahl. „Andere Kennzeichen außer schwarzer Kleidung?“
Das Telefon klingelte erneut und dieses Mal gab es nicht auf. Anker Dahl drückte mit dem kleinen Finger auf den Gesprächsknopf und nahm mit verkniffener Miene den Hörer. Er wollte der Rezeptionistin die Leviten lesen, doch sie kam ihm zuvor.
„Entschuldigung, aber Jørgen Lindt möchte Sie sprechen. Er sagt, es sei sehr wichtig“, beeilte sie sich hinzuzufügen. Ihre Stimme zitterte leicht. Sie wusste nur zu gut, dass sie dabei war, Anker Dahls Geduldsgrenze zu überschreiten.
„Okay, dann stellen Sie ihn halt durch.“
Er erhob sich vom Tisch und kehrte seinen Mitarbeitern, die ihn verwundert ansahen, den Rücken. Sie waren es nicht gewohnt, dass er während einer Besprechung Anrufe entgegennahm. Er schaute aus dem Fenster und sah vor dem Gebäude einen Streifenwagen in die Garage fahren. Gleichzeitig hob ein Vogel vom Dach ab. Er kam so nah ans Fenster, dass er die Schwungfedern sehen konnte. Er hörte, dass Jørgen Lindt Auto fuhr. Anker Dahl sah rasch auf seine Armbanduhr. Lindt war sicher noch nicht wieder zurück in Søborg.
„Die Analyse der Bombe ist gekommen. Ich habe sie gerade per Telefon erhalten. Es war die Mutter des Satans“, sagte Jørgen Lindt ohne Umschweife.
„TATP?“
„Ja, Triacetontriperoxid. Das ist einfach herzustellen und wird von Terroristen oft benutzt. Die Zutaten sind leicht zu beschaffen und das Rezept steht im Internet, wenn es nicht sogar im Chemieunterricht gelehrt wird. Das Schlimmste ist die Methode, die sie verwendet haben. Deshalb habe ich Sie sofort angerufen. Die Untersuchungen der Wrackteile zeigen, dass die Feuerlöscher in den Bussen mit TATP gefüllt waren und Metallteile wie Nägel, Schrauben und Bolzen hinzugefügt wurden, um den Effekt zu verstärken.“
Anker Dahl löste die Krawatte. „Die Feuerlöscher? Aber wie – und wie sind sie detoniert?“
„Die Theorie der Experten ist, dass die Feuerlöscher oben mit einem Zünder von einer gewöhnlichen Handgranate bestückt wurden. Das Zünden erfolgt mechanisch mit einer Verzögerung von drei Sekunden, von dem Zeitpunkt, wo der Splint entfernt wird bis der Zünder explodiert und die Ladung sprengt.“
„Dann könnten es die Terroristen vor der Explosion rausgeschafft haben?“
„Im Prinzip ja, aber wir gehen nicht davon aus, dass das passiert ist. Die Rede ist von Selbstmordattentätern. Einen haben wir identifiziert.“
„War das wirklich möglich?“
„Ja. Er war nicht ganz pulverisiert. Der Körper war gesprengt, aber wir haben seinen Kopf fast intakt gefunden und er war dem PET bekannt. Aber der Punkt ist, Dahl, Sie haben ja keinen Sprengstoff in Ihrem Stadtbus gefunden. Wenn an diesem anonymen Tipp nun etwas dran war und dieser Bus in die Luft gesprengt werden sollte, kann es ja sein, dass der Sprengstoff im Feuerlöscher war. Und falls der auch TATP enthält, ist vermutlich die Rede von der gleichen Terrororganisation. Bisher hat noch niemand die Verantwortung für den Anschlag in Kopenhagen übernommen.“
Anker Dahl nickte. „Und falls TATP gefunden würde, wäre das der Beweis, dass unser Beamter tatsächlich einen Terroranschlag verhindert hat und das wäre seinem Fall zweifelsohne dienlich …“, murmelte er vor sich hin, doch Lindt hörte ihn.
„Genau, und noch etwas: Sorgen Sie dafür, dass Ihre Techniker das sofort untersuchen. TATP ist ein gefährlicher Stoff, daher der Name ‚Mutter des Satans‘. Der Scheiß kann explodieren, selbst ohne dass der Splint gezogen wird.“
„Es ist nichts Neues – oder in diesem Fall Verkehrtes – daran, dass wir Fremden gegenüber skeptisch sind, die in unser Land kommen. Im Gegenteil. Es liegt seit dem Steinzeitmenschen in unseren Genen. Das ist ein Instinkt. Der Grund dafür, dass der Mensch überlebt hat.“
Tobias Holmetoft sprach langsam und wohlformuliert mit passenden Pausen zwischen den Sätzen, sodass alle sie aufnehmen konnten und mitkamen. Er war ein gut aussehender und sympathischer Mann, der alle Zuhörer in seinen Bann zog, insbesondere die weiblichen. Fasziniert starrten sie ihn an, wie er da in seinem legeren Anzug hinter dem rötlichen Kirschbaumholz des Rednerpults stand und wie ein Hollywood-Star aussah, der sie mit seinem Besuch beehrte. Und er stand nicht einfach nur da. Er bewegte sich auch vom Pult weg und stolzierte umher. An seinem Gang und seinen Bewegungen sah man deutlich, dass er auch Kontrolle über seinen Körper hatte. Er war garantiert Sportler. Hinter ihm strahlte ein riesiges hinterleuchtetes Whiteboard. Es war in zwei Bilder aufgeteilt. Auf der einen Seite sah man eine blasse und runzelige alte Frau mit tränenden Augen, die Hände zu einer Schale geformt wie ein Bettler, der um Geld bat. Auf der anderen eine Frau in Niqab mit unverhohlener Freude und gierigen Augen, die Hände in gleicher Weise geformt, doch hier lag ein großer Stapel Geldscheine darin. Oben auf dem Plakat war das rote Logo der DFD, unten der Text: Dänemark für Dänen – unsere Alten verdienen mehr als die! Es bestand kein Zweifel, wer mit die gemeint war. Die Kampagne war stark kritisiert worden, da sie als ganzseitige Annonce in mehreren Tageblättern erschienen war. Sie wurde als geschmacklos und rassistisch bezeichnet.
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