Wenn wir den Begriff der Meditation verwenden, beziehen wir uns auf eine Meditationspraxis, die auf die Stille in unserer Mitte verweist. Dazu gehört die Erfahrung von allem, was mich in diesem Augenblick ausmacht, mit dem Fokus auf das Hier und Jetzt. Es ist die Erfahrung von mir selbst und der Verbundenheit zu mir. In dieser Verbundenheit können wir uns selbst besser kennenlernen. Auf diese Weise können wir auch lernen, mit Gefühlen und Stressreaktionen besser umzugehen.
Es geht mir hier also nicht um Fantasiereisen in höhere Sphären, die auch oft unter dem Begriff „Meditation“ angeboten werden. Die hier beschriebenen Meditationsmethoden und Körperübungen basieren auf Zentrierungstechniken, die in den traditionellen asiatischen Kampfkünsten oder japanischen Heiltechniken wie dem Shiatsu und dem Noguchi Seitai verwendet werden. Sie alle sind verwandt mit der Meditationspraxis.
Achtsamkeit ist das bewusste Wahrnehmen des Augenblicks
Achtsamkeit ist die Grundschwingung, die alles durchdringt. Wie ein Vergrößerungsglas lässt sie uns innere Vorgänge wahrnehmen, die sonst unbewusst und automatisiert ablaufen.
Was sich in uns gerade bewegt an Gedanken, Gefühlen und körperlichem Befinden, lernen wir ohne Urteil wahrzunehmen. Achtsamkeit ermöglicht es uns, Muster zu erkennen. Aus dieser neutralen Position können wir Wahlmöglichkeiten entwickeln. Achtsamkeit stärkt Gehirnstrukturen, die uns einen ausgewogenen Umgang mit Emotionen ermöglichen.
Der Samurai sagt: Mut findest du in deiner Mitte
Das Hara ist nach traditioneller japanischer Auffassung der Sitz der Lebensenergie. Der Begriff Hara wird aus dem Japanischen übersetzt mit „Quelle des Lebens“. Das Hara gilt dort als eines der drei Hauptzentren unseres Körpers. Diese sind: der Kopf, das Herz und das Hara, der Bauch. Jedes Zentrum hat seine eigene Aufgabe. Der Kopf steht für das Denken, das Herz für das Fühlen und das Hara, der Bauch, für das Sein und die Lebenskraft aus der Mitte. Das sind auch die verschiedenen Ebenen, auf denen wir uns als Menschen erfahren können.
Interessanterweise spiegelt sich diese traditionelle Auffassung in manchen Ergebnissen der modernen Hirnforschung wider. Ob nun traditionelle Überlieferung oder moderne Wissenschaft, die wichtige Erkenntnis lautet: Wir können unser Bewusstsein lenken und es steuern! Ist zum Beispiel das Herz, unser emotionales Zentrum, aufgeregt, können wir lernen, es zu beruhigen. Die Fähigkeit dazu schulen wir mit Achtsamkeit in der Meditation.
Über den präfrontalen Cortex können wir unser Nervensystem in einen ausgeglichenen Zustand bringen, in dem wir unsere Aufmerksamkeit steuern. Hier haben wir über Meditation und Achtsamkeit die Möglichkeit, auf den Atem, die Verbindung zur Erde oder die Stille in unserer Mitte zu achten, so dass wir uns nicht mehr so sehr von belastenden Gedanken oder Gefühlen dominieren lassen.
Jahrtausendealte Erfahrung
Das Verständnis der Samurai in Japan beruht auf jahrtausendealter Weisheit und Erfahrung. Viel von dem, was sich in den Erkenntnissen Chinas in 5000 Jahren Kulturgeschichte herausgebildet hatte, floss auch in die japanische Kultur ein. In Japan wurden diese Einsichten jedoch verfeinert und kamen zur vollen Blüte. Auch über die Übungen und Atemtechniken der Samurai können wir das Hara, unsere Mitte, stärken. Hierbei geht es um ein Gleichgewicht und eine Interaktion zwischen Fühlen, Denken und dem Sein, der Stille in der Mitte. In unserer westlichen Kultur sind wir jedoch oft einseitig mit dem Denken, dem kognitiven oder dem emotionalen Anteil von uns als Menschen identifiziert. So kann zum Beispiel die Neigung, sich in Gedanken etwas als Katastrophe auszumalen, zu einer Angstreaktion im Körper führen.
Die Mitte ist die Stille im Sturm
Die Übungen und Meditationstechniken der Samurai sind mehr als eine Kampftechnik. Wenn man sie mit neurowissenschaftlichen Augen betrachtet, kann man erkennen, dass sie eine Art von Trauma-Prävention sind. Sie trainieren das Gehirn, in Momenten größter Gefahr „in der Mitte“ zu bleiben. In der Mitte sein bedeutet die Lenkung der Aufmerksamkeit hin zur Kraft im Bauch, zu einem Ort, der in seinem Innersten die Stille trägt. Dort in der Mitte verankert sich der Samurai – anstatt von alarmierenden, in die Zukunft gerichteten Gedanken abgelenkt zu werden oder sich von der Angst überrollen zu lassen. Er kann das Gefühl der Angst zulassen, ohne von ihr gelähmt zu werden. So kann er die Gefahrenlage realistisch einschätzen.
Wer regt sich auf? Was sagt die Neurowissenschaft dazu?
Das dreieinige Gehirn (triune brain)
Das menschliche Gehirn hat eine besondere Eigenart, die einmalig in der Evolutionsgeschichte des Lebens auf der Erde ist. Es besteht aus drei Hauptteilen, die sich aus der Evolution des gesamten Lebens auf der Erde herausgebildet haben. Während sich im Laufe der Evolution zumeist vorher existierende Ausprägungen weiterentwickelt haben, blieben hier die drei Entwicklungsstufen getrennt voneinander erhalten. Wie gut sie zusammenarbeiten, beeinflusst direkt das Wohlergehen von Körper und Psyche.
Das Reptiliengehirn und der Vagusnerv, eine Schaltstelle für die Autoregulation des Körpers
Der älteste Anteil ist die erste Entwicklungsstufe, das sogenannte Reptiliengehirn, der Hirnstamm: unser Instinkt. Ganz einfach ohne unser bewusstes Dazutun regelt es die wichtigsten Dinge für das tägliche Leben. Es steuert unter anderem den Atem, die Verdauung, den Herzschlag und den Blutdruck – kurzum alles, was der Körper zum Überleben braucht. Es besteht aus dem Hirnstamm und ist verbunden mit höheren Hirnarealen. In dieser Verbindung findet die Autoregulation des Körpers statt. Unser Organismus ist von sich aus darauf bedacht, sich immer wieder in ein gesundes Gleichgewicht zu bringen, das heißt, einen Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung herzustellen. Diesen von uns nicht willentlich beinflussbaren Prozess bezeichnet man als Homöostase.
Im Reptiliengehirn entspringt auch der Vagusnerv. Wenn er sich einschaltet, können Entspannung, Ruhe und Auftanken passieren. Der Vagusnerv ist verbunden mit den inneren Organen und dem Bauchraum. Er ermöglicht die Kommunikation zwischen dem Gehirn und den Organen. Ein Teil der Meldungen geht vom Gehirn an die Organe und den Bauch. Andersherum sendet der Bauch jedoch auch viele direkte Botschaften an das Gehirn. Er kann signalisieren: Mir geht es gut, du kannst entspannen. Diese Form der Selbstregulation oder besser Autoregulation des Körpers können wir nicht willentlich beeinflussen. Hier funktionieren willentlich gesteuerte Versuche, „etwas in den Griff zu bekommen“, nicht.
Die gute Nachricht: Über einen indirekten Weg können wir Umstände kreieren, die dem Körper einen Impuls und eine Orientierung geben, loszulassen. Hierzu werden wir im Laufe des Buches viele Tricks und Tipps erfahren, wie wir über die Aktivität des Vagusnervs Impulse setzen können.
Die Amygdala ist das Angstzentrum im limbischen System
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