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Ahmad Danny Ramadan
Die Wäscheleinen Schaukel
Roman
Über den Autor
Ahmad Danny Ramadan ist ein syrisch-kanadischer Autor, ein Geschichtenerzähler und ein LGBTQ-Geflüchteten-Aktivist. Sein Roman wurde mehrfach ausgezeichnet. Er lebt mit seinem Ehemann in Vancouver.
Über das Buch
Dieser Roman führt durch die Lebenswege zweier homosexueller syrischer Männer, die sich im kriegszerrütteten Syrien kennenlernen und über Beirut und Kairo schließlich gemeinsam nach Vancouver fliehen. Die Erinnerungen an ihre zurückgelassene Heimat werden in den fantasievollen, manchmal schwermütigen, aber jede für sich wunderschönen Geschichten wiedererweckt, als einer der Protagonisten vier Jahrzehnte später versucht, seinen Partner an dessen Sterbebett am Leben zu halten.
Die einzelnen Geschichten bilden ein verwobenes Mosaik aus bewegenden, nachklingenden Eindrücken einer Kindheit in Damaskus, von Liebesgeschichten im Verborgenen, den gewaltvollen Erfahrungen des Krieges und der Homophobie sowie der hoffnungsvollen Suche nach einem freieren Leben.
Ahmad Danny Ramadan, der selbst 2012 von Syrien nach Kanada geflohen ist, eröffnet den Lesenden in seinem Roman auf poetische Weise die ungewöhnliche Perspektive queerer Menschen in Syrien auf die Erinnerungen an eine untergehende Heimat.
Der britische Independent wählte ihn 2019 unter die 30 besten Debütromane.
„Eine bemerkenswerte Lektüre. Danny Ramadan öffnet seinen Leser*innen eine Welt und führt sie mit Sensibilität und Spannung durch diese Welt.“ Bernhard Schlink in der New York Times
Prolog
Der hakawati erzählt seine eigene Geschichte
Die Geschichte des Geliebten, der sich für einen Abenteurer hielt
Die Geschichte des Mannes, der bis ans Ende seiner Tage nicht mehr schlief
Die Geschichte vom verzauberten Prinzen
Die Reisen des ins Land der Frauen
Die Konkubine mit der Rose aus Glas
Die Geschichte vom Zoo der Königin
Der König und sein Thron
Das Haus mit dem schönen Ausblick
Die Geschichte von Thekla, die drei Mal zu Gott betete
Der Wahrsager und seine Geschichte
Die Geschichten derer, die gegangen sind
Die zwei Könige
Die Großzügigkeit eines Einsamen
Die entflohene Prinzessin erzählt ihre Geschichte
Der Sandsturm und die Hexe
Die Geschichte des Zuhörers
Danksagung
Glossar
Für die Kinder von Damaskus –
so bin ich mit meinem Kummer umgegangen …
Und ihr?
Er ließ sich in den Schaukelstuhl fallen, ebenden Stuhl, in dem Rebeca in der Frühzeit des Hauses Stickstunden abgehalten, in dem Amaranta mit Oberst Gerineldo Márquez Dame gespielt und in dem Amaranta Úrsula Babykleidung genäht hatte, und in blitzartiger Klarheit erkannte er, dass er dem auf seiner Seele lastenden Druck von so viel Vergangenheit nicht würde standhalten können.
Gabriel García Márquez
Die süßesten Küsse sind jene, die wir an verbotenen Orten tauschen. Jener Kuss, den ich dir im dunklen Fond eines Taxis auf dem Weg durch Damaskus stahl, während der Fahrer über die Kontrollpunkte und den Krieg schimpfte; jener Kuss, als ich dich bei H&M in Beirut zurück in die Umkleide zog und meine Lippen auf deine presste; jener, den du mir gabst, als wir uns am Wreck Beach bei Vancouver im hohen Gras versteckten.
Für uns waren die meisten Orte verboten. Wir lernten uns im kriegsgeschüttelten Damaskus kennen und zogen im religiös gespaltenen Beirut zusammen, bevor wir schließlich in Kanada landeten. Für uns bedeutete das Vorspiel nicht sanfte Berührungen und zärtliche Küsse, sondern einen Platz zu finden, wo uns weder Polizisten noch aufgebrachte Eltern noch neugierige Nachbarn aufspüren würden. Es bedeutete, die Vorhänge fest zuzuziehen und den anderen zum Stillsein zu ermahnen, wenn er vor Lust zu laut stöhnte, was uns, wenn auch nur für kurze Zeit, ein trügerisches Gefühl der Sicherheit verschaffte.
Wenn ich mich festlegen müsste, würde ich sagen, der süßeste von unseren Küssen war der allererste. Dieser Kuss ist mir kostbar, denn er war die erste Blüte in einem Garten verbotener Früchte, den wir gemeinsam pflanzten. Er war der Spross, der durch die Erde unseres banalen Lebens brach und all die anderen Blumen gedeihen ließ.
Ich sehe vor mir, wie wir eines Abends im Spätfrühling 2011 auf dem Berg Qasyun standen und schweigend auf Damaskus hinabblickten. Unter uns säumten immer mehr Lichter das Labyrinth der Straßen; die unzähligen Moscheen wurden neongrün beleuchtet. Am Abendhimmel erschienen die Sterne und funkelten auf dem dunklen Baldachin über uns; wir waren umgeben von einer unvergänglichen Kulisse tanzender Lichter.
»Was auch immer mit dieser Stadt passiert, das hier wird bleiben«, hast du gesagt, die Lichter der Stadt in deinen Augen, als berge ihr Dunkel ein ganzes Universum. »Kein Krieg kann der Schönheit von Damaskus etwas anhaben.«
Du hast auf die Umayyaden-Moschee links von uns gezeigt und mich durch die umliegenden Straßen dirigiert, bis ich dein Elternhaus ausmachen konnte, ein winziges Haus, dessen Mauern mit Weinlaub bewachsen waren. Ich wedelte vage in die Richtung, in der mein dunkles Elternhaus stand, es hob sich ab wie ein kranker Zahn, nur wenige Blocks von eurem entfernt.
Ich zitterte; meine Nase fühlte sich an wie ein Eiswürfel, der in meinem Gesicht schmolz, in meinen Augen standen Tränen. Du zogst mich an dich, legtest mir den Arm um die Schulter und begannst schüchtern zu lächeln. »Ich hatte einen schönen Tag«, flüsterte ich. Du brummtest etwas Zustimmendes.
Dort, unweit des Gipfels, tief in seinem Schatten, küssten wir uns. Meine Lippen verschmolzen nur eine Sekunde lang mit deinen; du zogst meine Oberlippe zwischen deine Zähne, und die Wärme deines Gesichts prickelte an meiner eiskalten Nase. Auf einmal warst du kein Fremder mehr. Du warst kein unbekanntes Wesen mehr, das mich gleichermaßen entzückte und ängstigte.
Du wurdest zu jemand Vertrautem, Sicherem, Einladendem und Warmem.
Aus Angst davor, von Soldaten oder Passanten in unserem Versteck überrascht zu werden, küssten wir uns nur kurz. Du strichst mir noch einmal übers Haar und löstest dich von mir. Dann setztest du dein schiefes, scheues Lächeln auf und seufztest. »Das sollten wir wiederholen«, sagte ich. Du lachtest.
Der Tag, an dessen Ende wir auf dem Berg die Sterne betrachteten, begann im Herzen der Altstadt von Damaskus, wo ich im Pages Café nervös auf dich wartete. Das Café, an der Ecke einer schmalen Gasse neben einer historischen Schule gelegen, war schummrig und gemütlich, und es wurde zum Treffpunkt für Liberale, Freidenker und intellektuelle Rebellen in Damaskus, bevor sie verhaftet oder getötet wurden oder flüchten mussten.
An den Wänden hingen abstrakte Poster und Gemälde. Manche versprachen eine Revolution, andere beschworen ein utopisches Damaskus, das die glorreichen Sechzigerjahre wieder aufleben lassen würde. Der Duft von türkischem Kaffee und frisch gebackenen syrischen Leckereien erfüllte das Café mit einem heimeligen Gefühl und überdeckte irgendwie den durchdringenden Schweißgeruch, den die Geheimpolizisten in Zivil absonderten. Sie hatten sich unter die Rebellen gemischt und belauschten unsere Gespräche, hinterließen mit ihren Stiefeln Dreck auf dem schwarz-weißen Fliesenboden und konnten es kaum erwarten zu gehen, um Freidenker anzuzeigen oder Aktivisten verhaften zu lassen.
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