Als würden vier apokalyptische Gewalten nach allen Richtungen eine zuerst kleine, doch stets wachsende Himmelsstelle mit unsichtbaren Spaten, Rechen oder Besen von Sternen freischaufeln, freiraufen, freikehren, entstand in der Mitte des Firmaments plötzlich ein immer größeres schwarzes Rechteck, einer Schultafel von Lichtjahrdimensionen ähnlich, an deren Rändern sich der glitzernde Sternenkies hoch aufhäufte.
„Was ist das, was ist das?“ stotterte ich und preßte die linke Faust gegen mein arg zerknittertes Frackhemd.
B.H. ergriff meine rechte Hand und drückte sie gebieterisch:
„Alteriere dich nicht, F.W., verhalte dich ruhig! Es handelt sich selbstverständlich um ein rein optisches Manöver.“
„Man sollte doch die Sterne nicht zu optischen Manövern verwenden“, sagte ich mit bitterer Zunge aus trockener Kehle, und meine Knie bebten.
„Unsre Beziehung zu den Sternen ist eine andre als die eure, lieber Freund“, lächelte der Wiedergeborene, der zur Vorsicht noch immer meine Hand festhielt, „seitdem unanzweifelbar festgestellt wurde, daß unser Planet wirklich und wahrhaftig der Mittelpunkt des Universums ist und es demnach ausschließlich nur einen bewohnten Planeten und eine einzige Menschheit gibt, die unsrige!“
„Was sagst du da, B.H.“, entrang sich’s mir, „ist das wirklich und wahrhaftig festgestellt und kein Zweifel mehr möglich? Die geozentrische Hypothese und mehr als sie hat also gesiegt? Oh, ich hab’s im stillen immer gewußt, sie werde siegen. Denn ohne sie ist der Glaube an eine geistige Bestimmung dieser Welt schwer zu begründen. Wie bin ich glücklich, B.H., wie sonderbar glücklich . . .“
Und bei diesen Worten fühlte ich meine Augen wieder naß werden, diesmal aber nicht durch das kosmische Hundegefühl, der Mond sei hin, sondern aus einem tief befriedigten Stolz. Der Wiedergeborene sah mich erstaunt an:
„Hast du dir das so sehr gewünscht, F.W.?“ fragte er. „Ich finde, die Verantwortung wächst damit ziemlich ins Unermeßliche . . .“
Ich konnte auf diese mit Recht bekümmerte moralische Anmerkung nichts mehr erwidern. Denn in demselben Augenblick begannen aus dem gehäuften Sternkies, rings um das leere, pechschwarze Rechteck, einzelne spritzige Sternlein mit hüpfendem Mutwillen auf die Tafel zu springen, und aus ihnen bildete sich im Nu eine Lichtschrift, eine Titelschrift, und ich las, durchaus nicht zu meiner Erbauung:
„Die Abendsterne Heute.“
Und darunter in kleinerem Grade:
„Am dritten Tage des vierten Erdenmonats der siebenhundertzweiundvierzigsten Sonnenwoche der Null Komma Null Null Null dritten Evolution im elften Weltengroßjahr der Jungfrau.“
Und daneben, ganz winzig in Klammern, eine sechsstellige Zahl, die ich nicht lesen konnte, mit dem Zusatz: „Post Christum Incarnatum.“
„Das geht zu weit“, sagte ich, und erinnerte mich zugleich, daß ich diese selbe Phrase schon einmal während meines Abenteuers gebraucht hatte. Ein Forschungsreisender soll schauen, schweigen, Interjektionen vermeiden und keine Kritik üben. Freilich, ich durfte ja erst nach meiner Rückkehr so recht erkennen, daß ich eine Forschungsreise absolviert hatte. Jetzt aber verletzte diese aus Sternenlettern gedruckte Zeitung meinen Geschmack. Vielleicht würden die Gestirne des Zodiak auch noch zu Annoncen für Hautcreme und Abführmittel mißbraucht werden! Die kosmische Zudringlichkeit des Menschen war ins Absurde gewachsen:
„Wie wunderbar!“ höhnte ich. „Nun hat der Journalismus und das Reklamegeschäft sogar nach den Sternen gegriffen. Das hätte nicht einmal ich mir träumen lassen. Der einzige Vorzug ist, daß eure Himmelszeitung nur in einem einzigen Exemplar erscheinen kann, und kein politischer Partei- und Inseratennabob die Millionen einstreicht.“
„Es gibt keine Millionen“, versetzte B.H. sehr von oben herab, „wenn du darunter jene verrosteten und verblaßten Courantmünzen verstehst, wie man sie noch heute in der obersten Erdschicht findet. Seit undenklichen Zeiten schon hat jedermann, was er braucht, und viel mehr als das. Jedermanns krankhafteste Gier könnte ohneweiters befriedigt werden. Schon aber dadurch, daß jedermann weiß, daß er alles haben kann, ist die Gier im Menschen so ziemlich versiegt. Es gilt im Gegenteil als fein und vornehm, weniger zu wollen, als man braucht. Reichtum als Drang andre auszustechen, würde als erniedrigendes Gebrechen gelten wie Schweißfüße oder schlechter Geruch aus dem Mund. Und daß wir nicht mehr kaufen und verkaufen, das habe ich dir schon gesagt, F.W., nicht wahr?“
„Und es gibt wirklich keinen Fall und keine Möglichkeit, wo ich etwas kaufen könnte, was ein andrer besitzt, und was einzigartig ist und nicht ein zweites Mal herstellbar?“
„Ich will ganz genau und ganz offen sein, mein lieber F.W.“, lächelte der Wiedergeborene jetzt. „Manchmal spielen wir Kaufen und Verkaufen . . .“
„Aha, ich verstehe, wie man Roulette spielt oder Baccarat oder Poker . . .“
„Im Spiel ist alles erlaubt“, verkündete B.H. „Spiel ist die wiederhergestellte verantwortungsarme Zeitdimension der Kindheit . . .“
„Sehr richtig“, mischte sich unser Abbé, der Wortführer, ins Gespräch, „Spiel ist die wiederhergestellte, schier ewige Zeitdimension der Kindheit. Doch nur das echte Spiel, das gewissermaßen sinnlos vor sich hinlallt, das nichts anderes ist als die träumerische Hingabe von Leib und Seele an die elementaren Kräfte, die uns umwogen. Gewinnspiel aber und Wettspiel haben nichts mit dem echten Spiel zu tun . . .“
„Und doch ist mir Kaufen und Verkaufen das liebste Spiel“, sagte Bräutigam Io-Do trotzig, und er fügte hinzu: „Ich würde sofort zehn Fernschattenzertrümmerer für eine mittlere Pulverflinte in Tausch geben.“
„Da sehen Sie nur unsre eheschließende Jugend“, schüttelte der Wortführer sein Haupt, worauf er den stark verrutschten silbernen Kopfaufsatz geraderücken mußte. Plötzlich aber deutete er mit ausgestrecktem Arm gen Himmel: „Was wollen Sie von der Jugend, da selbst die Weltallsweisen und Lebensgelehrten Wettspiele aufführen?“ Auf der schwarzen Schultafel des Firmaments waren jetzt neue Sternen-Schlagzeilen aufgesprungen. Sie lauteten:
„Größte Streitfrage aller Zeiten. — Match zwischen Professor Io-Sum und Professor Io-Clap wird fortgesetzt. — Kann Existenz Gottes zureichend bewiesen werden? — Heutiger Stand des Wettspiels: Fünfzehn Punkte gegen siebzehn Punkte für Professor Io-Clap.“
Ich muß dem Leser ein Geständnis machen: Das Wort „Professor“ leuchtete am Himmelsgewölbe nicht auf, sondern etwas, was dem griechischen Ausdruck „Sophistes“ ähnlich sah und nahekam. Ich habe von der Monolingua nichts behalten als die merkwürdige zirpende und zwitschernde Lautbildung, die ich schon einmal mit dem Aztekischen verglich und die Erinnerung an eine Menge griechischer Fremdund Lehnworte, mit denen die Zeitgenossen seltsam genug viele ihrer Einrichtungen bezeichneten. Das Griechische, zum Teil auch das Lateinische und Hebräische hatte sich als Gelehrten- und Theologensprache durch die Jahrzehntausende fortgeerbt wie die christkatholische Kirche (vielleicht sogar durch sie) und jene andere Erscheinung aus der Urzeit, die noch zur rechten Zeit in meiner Erzählung auftauchen wird. Also von „Professor“ war keine Rede, sondern etwa von „Sophistes Io-Sum“ und von „Sophistes Io-Clap“. Da aber das Wort Sophist bei uns einen absprechenden Beiklang hat, habe ich mich in frecher Übersetzerart entschlossen, es mit unserm bewährten „Professor“ zu übertragen.
„Wie findest du das?“ sah mich B.H. forschend an.
„Es ist gewiß die größte Streitfrage aller Zeiten“, entgegnete ich höflich, „doch auch die älteste, was die Formel schon besagt. Ich könnte jeden Betrag wetten — oh, ich bitte um Verzeihung, man wettet ja nicht — daß ich nichts mir Unbekanntes darüber zu lesen bekommen werde.“
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