Trainer zu sein, das bedeutet manchmal, morgens als Pep Guardiola aufzuwachen und abends als Sascha Theisen wieder ins Bett zu gehen. Beim Frühstück noch erotische Glatze und Dreitagebart, während des Abendbrots bei Salami- und Kräuterkäse-Schnittchen wieder graue Schläfen und ein kaputtes Knie in der Hose. Kontrast als Lebensgefühl! Scheitern als Gewissheit! Notorische Zweifler als ewige Begleiter!
Bevor ich Trainer wurde, beschimpfte mich mein Vorgänger erst einmal. Er hatte sich während eines E-Jugend-Turniers respektabel die Kante gegeben, und da war es aus ihm herausgebrochen. Nonchalant hatte er mich als „polnischen Arschficker“ ins Rennen um seine Nachfolge geschickt und so irgendwie auch gleich das Feld bereitet. Immerhin trat er anschließend mittels einer theatralischen Mail voller Rechtschreibfehler von seinem Amt zurück, um in die gleiche Position bei Bergheim 2000 zu wechseln. Selten passte der Begriff „Trainerkarussell“ besser zu einem Moment als hier.
Ab dem Moment, in dem du Trainer wirst, verändert sich dein Leben. Denn ab diesem Moment wackelt dein Stuhl! Um dich herum nur Leute, die es besser wissen als du! Du bekommst SMS, in denen dich Väter fragen, ob sie heute zum Spiel nicht besser mal vorsorglich einen Trainingsanzug anziehen sollen. Unter der Woche erreichen dich Verbesserungsvorschläge von anderen eifrigen Papas, die einen „echten“ Trainer getroffen haben, sprich: einen, der wirklich Bescheid weiß. Dann liest du zum Beispiel, dass man in der E-Jugend auch an die Entwicklung der Technik denken sollte. Du bekommst es mit Spielermüttern zu tun, die ihren Sohn während eines Matches und während des Trainings mit Nachnamen ansprechen oder die ganz nebenbei die Bemerkung fallen lassen, dass das Passspiel im Training grundsätzlich aber schon ein bisschen zu kurz komme. Folgerichtig fragen sie dich ganz offen, ob du schon mal daran gedacht hättest, einen „richtigen“ Trainer einzustellen; einen, der zwar 15 Euro die Stunde kosten würde, dafür aber weiß, was er tut. Du selbst bekommst 50 Euro – im Monat, versteht sich. Du hättest also das Geld, dreieindrittel Stunden lang einen Spitzenmann zu bezahlen. Aber hey – vielleicht gehört das alles einfach dazu. Denn an der Spitze ist es einsam, und da willst du hin. Countrystar oder Trainer, das sind am Ende die beiden einzigen Karrieren, die dir noch bleiben. Deshalb hältst du es aus. Denn du weißt: Trainer zu sein, das bedeutet zu überleben, jeden Tag; ein Leben, härter als jede noch so harte Morgenlatte.
II.
Es war ein scheißkalter Dienstagabend, an dem ich als gefühlter spanischer Fußballlehrer zum Sportpark Höhenberg von Viktoria Köln fuhr, mitten in der Einflugschneise des Flughafens Köln/Bonn. Ganz Trainer, der ich nun bin, nahm ich Platz auf einer ziemlich maroden Tribüne des „Pele-Wollitz-Gedächtnis-Stadions“, um ein Spiel zu analysieren, das ansonsten ziemlich viele Menschen so kalt wie diesen Abend lassen dürfte. Eines, das sich nur spanische Trainergötter oder eben Trainer wie ich geben, um den Puls des Fußballs zu schmecken, ihn zu fühlen, ihn zu atmen: Viktoria Köln gegen Alemannia Aachen! Spieler mit klingenden Namen hüben wie drüben: Markus Brenska, Masatoshi Hamanaka, Peter Hackenberg, Nazim Sangaré. Der Fußball und seine vergessenen Helden im unverwechselbaren Duft von Kerosin und kalter Februarluft – im übermächtigen Schatten ihrer Trainer Peter Schubert und Claus-Dieter Wollitz.
Eine Umgebung wie diese ist ein idealer Ort für Trainer meiner Güteklasse, um Gegenpressing, flache Neunen, vertikale Spielverlagerungen, Steckpässe, Box-to-Box-Player, inverse Flügelstürmer und ähnliche taktisch-strategische Trainerinsider zu analysieren. Wann löst sich das 4-4-2 auf? Wann wird es zum 4-2-3-1? Und wann zieht sich Alemannia wie eine Ziehharmonika zurück ins 5-4-1 der alten Schule? Dinge, die du einfach draufhast, wenn du ein Jahr lang die Rotzlöffel der F-Jugend in deinem Dorf trainiert hast und dich deswegen bei Liveübertragungen längst angewidert wegdrehst, wenn einer deiner Kumpel während der Sky -Konferenzschaltung den Mittelfinger abspreizt und laut schreit: „Mann! Jetzt geh’ doch mal richtig drauf da! Boah – da musste doch auch mal einen wegflexen! Körpersprache, doh!“ Nein – so warst du nie! Und wenn doch, dann war das in einem anderen Leben. Nein, du bist jetzt Trainer. Du schaust nicht zu! Du beobachtest! Du analysierst! Du ziehst Schlüsse!
III.
Beobachten, analysieren, Schlüsse ziehen: Genau das tat ich in Höhenberg, jenem Höhenberg, das mich in keiner Spielsekunde täuschen konnte. Oh, wie schnell ich doch erkannte, dass Alemannia gegen Viktoria, dass Schubert im feinen Rasenschach-Duell mit Wollitz auf die komplett falsche Taktik setzte! Denn die Viererkette, die Wollitz, der mit allen Wassern gewaschene und abgewichste Stratege, auf den Rasen der Einflugschneise geschickt hatte, maß insgesamt etwas mehr als 8,50 Meter. Klarer Fall von Übernahme der Lufthoheit. Kopfballkontrolle, keine Rücksicht auf die einfliegenden Drohnen und Passagiermaschinen über dem Höhenberg – die zweite Etage gehörte Wollitz. Eine ausgeklügelte Taktik! Denn in ihrer Statur erinnerten Wollitz’ Abwehrspieler an wahre Kleiderschränke, gegen die die Stürmer in Schuberts Alemannia eher wie Schubladen aussahen. Man musste also kein Pep Guardiola und noch nicht einmal ein Sascha Theisen sein, um zu erkennen, dass hier auf dem Viktoria-Rasen hohe und lange Bälle wenig bis gar nicht erfolgreich sein konnten. Da Peter Schubert das aber offenbar ganz anders sah, flog ein Pass nach dem anderen auf Erdumlaufbahnhöhe in Richtung Kölner Strafraum. „Atmosphärenschießen“ hatten wir das früher genannt, als wir, von schlimmen Katern gepeinigt, am Strand der niederländischen Küste Plastikbälle mit nackten Füßen in die Höhe bolzten und uns diebisch über die getroffenen Möwen freuten. Aber das ist eine andere Geschichte, die Schubert nicht kannte und deshalb wahrscheinlich auch nicht zu kopieren versuchte.
Wenn du am Höhenberg sitzt und das alemannische Atmosphärenschießen verfolgst, weißt du als Trainer jedenfalls: Auch wenn es so aussieht, das ist kein Zufall! Das ist die Marschrichtung! So soll hier gewonnen werden! Noch vor einem Jahr hätte ich wild und voller Entsetzen eine Satzstafette wie „Mann! Jetzt geh’ doch mal richtig drauf da! Boah – da musste doch auch mal einen wegflexen! Körpersprache, doh!“ in den kalten Abend gerufen. Jetzt aber war ich einfach nur entsetzt. Was war denn hier los? Alemannia verhunzte den Kick in diesem Höhenberg, weil sein Trainer völlig daneben griff! Shame on you, Schubert! Wer zum Geier hat dir die Trainerlizenz gegeben? Rolf Rüssmann hat einst gesagt: „Wenn wir hier nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt!“ Schubert schien Ähnliches vorzuhaben, denn seine Marschroute lautete offenkundig: „Wenn wir hier nicht gewinnen, dann schießen wir ihnen wenigstens die Köpfe kaputt!“
Oben auf der Tribüne erfasste mich der pure Ekel. Also erzählte ich jedem, der nicht schnell genug weghören konnte, dass hier nur Kurzpassspiel und Ballsicherheit die Spielidee der Stunde, der Matchplan, die Strategie sein konnten. „Passsicherheit ist die Zukunft des Spiels“, fabulierte ich im Überschwang des Trainerdaseins und bemerkte nicht, wie alle Sitzschalennachbarn auf Durchzug stellten und wohl lieber einen Becher Eiter ausgetrunken hätten, als sich neben Schuberts Schweinefußball auch noch meine selbstgefälligen Taktiktafel-Bauernregeln reinziehen zu müssen. Und als ob sie meine Worte verhöhnen wollten, spielte Alemannia munter weiter nach dem biederen Konzept des atmosphärischen „Hoch und Weit“ und bestätigte damit nach all den Jahren noch einmal den längst vergessenen deutschen und wenig spanischen Fußballlehrer Erich Ribbeck, der einst im Brustton der Überzeugung zu Protokoll gegeben hatte, dass Konzepte Kokolores seien. Nun denn – Kokolores war der Auftritt der Alemannia in Köln in jedem Fall. Und am Ende dieses Kokolores stand ein trostloses 0:2. Dafür war der hohe und weite Matchplan, den Wollitz’ 8,50-Meter-Riegel pulverisiert hatte, aber immerhin mit voller Konsequenz verfolgt worden.
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