EINE KLEINE GESCHICHTE DES WÜRZENS
„Wo keinerlei Besorgnisse bestehen, sich das Leben angenehm zu gestalten, wo die Vermögensverhältnisse für die Zukunft gesichert sind, mit einem Wort, wo man nicht auf das Geld zu sehen braucht, hat die Kochkunst das beste Feld zu ihrer Entwicklung, weil sie den wichtigsten Faktor bei einem der angenehmsten Vergnügen, die den Menschen gegeben sind, bildet“, schrieb Auguste Escoffier, einer der berühmtesten Köche und Kochtheoretiker aller Zeiten, um 1900. Sein Landsmann Jean Anthèlme Brillat-Savarin, einer der berühmtesten schreibenden Gourmets, erklärte in seiner „Physiologie des Geschmacks“: „Die Tiere fressen, der Mensch isst, der Mensch von Geist versteht die Kunst zu essen.“
VON TIEREN UND MENSCHEN
Viele Tiere sind dem Menschen weitaus überlegen darin, Geschmack und Gerüche wahrzunehmen. Mithilfe dieser Sinne erkennen sie so essenzielle Dinge wie Nahrung, Familienzugehörigkeit oder potenzielle Partner. Allerdings machte erst der „Homo sapiens“ daraus ein kulinarisches Spiel – und ein soziales.
Bei der Wahl der Nahrungsmittel und Gewürze spielten nicht nur Geschmack und Aroma eine Rolle, sondern auch deren Seltenheitswert, ihr Preis und nicht zuletzt kulinarische Moden. Wer was aß und wie würzte, wurde durch die Jahrtausende zum Distinktionsmerkmal, das aussagte, wie „kultiviert“ jemand war und welcher Klasse er angehörte. Dabei ziehen sich zwei Tendenzen wie ein roter Faden durch die Geschichte der europäischen Küche: Zum einen wurde von der Antike bis in das 19. Jahrhundert in gehobenen Kreisen eher geprasst denn feinfühlig abgeschmeckt, da Gewürze ein teures Statussymbol waren, das man allzu gerne zur Schau stellte. Zum anderen forderten Gourmets immer wieder, sparsam zu würzen und den Eigengeschmack der Zutaten zu betonen. Das zurückhaltende Würzen statt der notorisch überwürzten antiken und mittelalterlichen „Angeberküche“ setzte sich als Hochküche schließlich in Frankreich durch und eroberte von dort aus die Welt. Gleichzeitig entdeckte die bürgerliche Alltagsküche langsam die exotischen Gewürze für sich, die besonders im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts deutlich günstiger wurden und leichter erhältlich waren. In den letzten Jahrzehnten hat sich mit der Globalisierung der weltweite Austausch an Gewürzen und Zutaten beschleunigt. Heute steht uns fast alles jederzeit zur Verfügung und fremde, exotische Gewürze laden ebenso zum Experimentieren ein wie wiederentdeckte heimische Kräuter und Traditionen.
ESSEN UND WÜRZEN IN DER VORGESCHICHTE
Es könnte durchaus sein, dass unsere Vorliebe für Fettes, Süßes und für den herzhaften umami-Geschmack genetisch bedingt ist, denn diese Stoffe musste der Körper in der Urzeit sofort erkennen und als „genießbar“ und „dringend notwendig“ einstufen (
Geschmack und seine Funktion, Seite 10). Das Fett gewann man in der Steinzeit aus Markknochen und aus Fischen, den Zucker aus Früchten, Beeren, Honig, Ahornsirup und anderen Pflanzenextrakten. Der umami-Geschmack ermöglichte das Erkennen von proteinreichen Pflanzen und Fleisch.
Die ersten Menschen lebten als Nomaden, sie kultivierten noch keine Pflanzen, geschweige denn Würzkräuter. Die „Entdeckung“, Zähmung und Verwendung des Feuers hatte nicht nur geschmackliche Auswirkungen, sie war auch für die Entwicklung der menschlichen Intelligenz wichtig: Die Hitze garte das Fleisch vor, wodurch der steinzeitliche Mensch weniger Energie für die Verdauung aufwenden musste. So blieb mehr Energie für Denkleistungen und letztlich für die Entwicklung des Gehirns übrig. Die ältesten von Menschen angelegten Feuerstellen wurden in Südafrika gefunden, sie sind etwa eine Million Jahre alt. In ihnen fanden Forscher Knochen- und Pflanzenreste – es wurde also tatsächlich an ihnen gekocht. Etwas genauer lassen sich die „ersten Zutaten der Welt“ in Feuerstellen bestimmen, die im Norden des heutigen Israels gefunden wurden und die immerhin fast 800 000 Jahre alt sind: Archäologen identifizierten das Holz wilder Olivenbäume und wilder Weinbeeren. Ob die dazugehörigen Früchte tatsächlich gegessen wurden, lässt sich leider nicht mehr feststellen, es ist aber anzunehmen.
Die Nahrung der Jäger und Sammler bestand bis vor etwa 11 000 Jahren neben Fleisch und Fisch aus gesammelten Samen, Früchten, Wurzeln und Knollen – was man eben so fand. Einige Würzzutaten sind bekannt: Oliven, Haselnüsse, Pistazien und Feigen, in Meeresnähe wurden außerdem Algen verwendet, wenn auch eher als Nahrung denn als Gewürz. Etwa in dieser Zeit wurden im heutigen Nahen Osten die ersten Menschen sesshaft, mit entscheidenden Auswirkungen auf die Essgewohnheiten. Sie begannen mit dem Anbau von Weizen und Gerste und mit der Züchtung von Pflanzen. Die Viehzucht entwickelte sich und damit die Milchwirtschaft. Milchkonsum war nicht unproblematisch: Wie viele andere Säugetiere verliert der Mensch nach dem Abstillen die Fähigkeit, Milch zu verdauen. Regelmäßiger Konsum senkte jedoch die Laktoseintoleranz: Nordwesteuropäer und viele andere Völker mit intensiver Milchwirtschaft vertragen Milch ein Leben lang: Diese Fähigkeit hat sich genetisch entwickelt und wird weitervererbt.
Womit würzten die Menschen in vorgeschichtlichen Zeiten? Auf diese Frage kann die Wissenschaft der Archäobotanik Antwort geben. Sie untersucht winzige Überreste von Gewürzen, die bei Ausgrabungen gefunden werden. Einzelfunde deuten auf Wildsammlungen hin, größere Mengen auf einen gezielten Anbau. Kümmel konnte seit 5 000 v. Chr. als Gewürz nachgewiesen werden und könnte sogar noch früher verwendet worden sein, denn seine verdauungsfördernde Funktion wird den Menschen auch damals nicht entgangen sein. Oliven, Datteln und Granatäpfel wurden im Orient seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. zu Kulturformen gezüchtet. Lokal wild wachsende Gewürze und Kräuter – etwa Sesam und Bocks hornklee – konnten nachgewiesen werden, ebenso Koriander, Kreuzkümmel, Kresse und Nigella. In Amerika wurde die Chilischote schon in prähistorischer Zeit angebaut und als Würze etwa für Gerichte mit Mais und Kürbis genutzt. Die Verwendung von Salz ist archäologisch nur schwer zu belegen – Wasser wäscht alle Spuren hinweg –, die Produktion aber sehr wohl: In Mitteleuropa wurde vermutlich schon seit dem 4. Jahrtausend v. Chr. Salz gewonnen, mit Sicherheit aber seit 2 000 v. Chr. Leider sind aus prähistorischer Zeit keine Rezepte überliefert: Zutaten sind zwar bekannt, aber nicht deren Kombination.
ANTIKE HOCHKULTUREN – GASTROSOPHIE UND FEINE ZUTATEN
Besser wird die Quellenlage, wenn wir uns den ersten Hochkulturen und der Antike nähern. Im Zweistromland Mesopotamiens entstand die erste Hochkultur in der Geschichte der Menschheit. Die Sumerer verwendeten Lorbeer – zumindest bekränzten sie damit siegreiche Faustkämpfer – und kannten die berauschende und betäubende Wirkung des Mohns. Von den nachfolgenden Babyloniern weiß man, dass sie recht üppig tafelten – selbst die ärmeren Schichten. Frühe schriftliche Zeugnisse zu Gewürzen stammen von Keilschrifttafeln, die auf ungefähr 1 700 v. Chr. datiert werden. Sie erwähnen Trüffeln und andere Pilze, verschiedene Möhrenarten und Hülsenfrüchte, dazu kommen Senf, Pistazien, Granatäpfel, Salz, Essig, Kümmel, Koriander, Wacholderbeeren und Minze. Teilweise sind die babylonischen Bezeichnungen und Beschreibungen jedoch mehrdeutig, also weiß man nicht immer genau, welches Kraut und welches Gewürz gemeint waren. Kulinarisch aktiv waren die Babylonier in jeden Fall: Milch, Butter und Schmalz, Öle aus Oliven und Sesam, 18 Käsesorten und 300 (!) Brotsorten kannten sie.
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