Diese mehr oder weniger leicht verfügbare Vielfalt führte dazu, dass neureiche Römer ihre Gerichte gerne überwürzten, was den Spott mancher Zeitgenossen herausforderte: „Sie geben ein Pfund Silphium dazu und hauen obendrauf eine Ladung Senfkörner. Das Zeug ist dann so scharf, dass ihnen selbst die Augen tropfen, noch ehe sie’s kleingehackt haben.“ Das schrieb der Komödiendichter Titus Maccius Plautus in seinem Theaterstück „Pseudolus“. Aus heutiger Sicht könnte man das auch anders sehen und die „Geschmacksexplosion“, den Gewürzreichtum und die betonte Exotik hervorheben. Bei diesen römischen Gelagen kam es immer auf die opulente Wirkung an. Das fand seinen Niederschlag in den berüchtigten Flamingozungen des Apicius, eines römischen Feinschmeckers, der vermutlich im 1. Jahrhundert nach Christus gelebt hat. Nach ihm wurde das einzige überlieferte Kochbuch aus römischer Zeit benannt: „De re coquinaria“ (Über die Kochkunst) datiert zwar aus dem 4. Jahrhundert, soll aber viele seiner Rezepte beinhalten. Von Apicius stammt beispielsweise die Idee, Schweine mit getrockneten Feigen („ficus“) zu mästen und ihnen kurz vor dem Schlachten „mulsum“ – ein Gemisch aus Wein und Honig im Verhältnis von 4 :1 – zu trinken zu geben, um eine besonders wohlschmeckende Leber zu erhalten. Die Wortschöpfung dafür – „ficatum“ – hat sich als „fegato“ (italienisch), „fígado“ (portugiesisch) oder „foie“ (französisch) für Leber in allen romanischen Sprachen erhalten.
Die Gastmahle im alten Römischen Reich waren keineswegs so dekadent wie sie oftmals dargestellt wurden. Dieser Irrglaube beruht nicht zuletzt darauf, dass viele literarische Quellen zu diesem Thema satirischer Natur sind.
Das Abendessen (convivum, „zusammen leben“) war die Hauptmahlzeit. Es entsprach dem griechischen Symposion, dem gemeinsamen, geselligen Essen und Trinken, bei dem privates wie geschäftliches besprochen werden konnte. Anders als die Griechen tranken die Römer Wein nur zum Essen. Sie verwendeten keine Gabeln, nur Löffel, ansonsten aß man mit den Händen. Rund um das Mittelmeer hat sich die Tradition des Convivums über viele Jahrhunderte erhalten.
Zu den bei Apicius erwähnten Gewürzen und Kräutern zählen Pfeffer, Kümmel, Kreuzkümmel, Anis, Silphion, Asant, Selleriesamen, Fenchel, Dill, Rucola, getrocknete Myrtenbeeren, Lorbeer, Zwiebeln, Schalotten, Lauch, Koriander, Kresse, Majoran, Oregano, Bohnenkraut, Ingwer, Thymian, Liebstöckel, Raute, Safran, Petersilie, Gewürznelke, Sumach, verschiedene Minzsorten – darunter auch recht streng riechende wie Katzenminze oder Frauenminze, die heute nicht mehr kulinarisch genutzt werden – und einige uns heute unbekannte Gewürze wie „Nardenspitzen“, „Bartnuss“ oder „Addena“. Seltsamerweise verwendet Apicius das typisch mediterrane Rosmarin nicht – auch nicht zu Lamm. Tatsächlich war Rosmarin als Gewürz bei den Griechen und Römern nicht bekannt, lediglich der griechische Arzt Dioskurides erwähnt es im 1. Jahrhundert als Heilpflanze. Basilikum war den späten Römern ebenfalls nicht vertraut, obwohl es in der griechischen Küche sehr beliebt war. Auch Rohrzucker war zu Apicius’ Lebzeiten noch nicht in Gebrauch: Erst ab dem 7. Jahrhundert extrahierten die Perser den Saft des Rohrzuckers in Tongefäße, an dessen Boden er zum charakteristischen Zuckerhut auskristallisierte. In dieser Form sollte er von der Spätantike an das gesamte Mittelalter über ein seltenes, sehr teures Importgut aus dem persischen Raum sein. Zu Apicius’ Zeiten diente hingegen Honig oder Sirup aus Wein, Most oder Fruchtsäften zum Süßen. Das ergab allerdings einen vielschichtigeren, weniger „reinen“ Geschmack als Zucker.
An flüssigen Würzen kommt die typisch römische Sauce „Garum“ (auch „Liquamen“ genannt) oft bei Apicius vor. Für ihre Herstellung wurde gepökelter Fisch verwendet, der enzymatisch fermentiert wurde – also keineswegs „vergammelt“ war. Das altrömische „Garum“ muss deshalb einen ähnlichen
umami-Geschmack ( Seite 10, 43) gehabt haben wie heutige asiatische Fischsaucen. Auch den Geschmack süßer Saucen schätzten die Römer sehr. Die Saucen bestanden aus Gewürzen und Kräutern sowie aus verschiedenen Flüssigkeiten und einem Verdickungsmittel: zum Beispiel den eingekochten Traubensirupen „Defritum“ und „Caroenum“ sowie „Passum“, eine Weinessenz aus in bestem Wein eingelegten und dann ausgepressten Rosinen. Als Würzpaste war in der römischen Küche „Moretum“ sehr beliebt, eine Art antikes Pesto: Es bestand aus geriebenem Käse, Olivenöl, Selleriegrün, Weinraute, Koriander und Knoblauch. Die Zutaten wurde im Mörser („mortarium“) zerstoßen – daher der Name. Damit wurde vor allem Schweinefleisch gewürzt, das die Römer dem Rindfleisch vorzogen, oder es wurde einfach zu Brot gereicht.
Insgesamt dürfte die antike römische Küche also salzig-umami nach „Garum“, lauchig nach Silphion beziehungsweise Asant und pfeffrig-scharf respektive süßlich geschmeckt und gerochen haben. Ihr Geheimnis bestand darin, selbst bei ungewöhnlichen Kombinationen wie süß-pfeffrig oder süß-sauer ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen den Geschmacksrichtungen zu finden und gleichzeitig immer wieder neue Gewürze und ihre Aromen zu integrieren. Bis heute bildet die römische Küche die Basis der mediterranen und europäischen Kochkultur.
ESSGEWOHNHEITEN IM MITTELALTER: HAUPTSACHE VIEL
Während der ersten fünfhundert Jahre nach dem Untergang des römischen Imperiums, als das Mittelalter vermutlich wirklich „finster“ war, geriet in Europa auch ein Großteil der römischen Kochtradition und des römisch-antiken Verständnisses für Kultur und feine Küche in Vergessenheit. Stattdessen herrschten Trink- und Essensexzesse: Hauptsache viel, war das Motto zwischen den mittelalterlichen Metropolen Madrid, Rom, Paris, London, Aachen und Krakau. Die Gerichte der Oberschicht ähnelten sich damals in ganz Europa, mit nur wenigen regionalen Ausformungen. Die gehobene mittelalterliche Küche war grenzübergreifend eine „Angeberküche“: Man hackte die Zutaten klein und machte aus ihnen Pasten, aus denen man wiederum grandiose Gebilde formte. Farben waren deshalb sehr wichtig. Zeitgenössische Kochbücher enthalten mehr Informationen über solche Gestaltungsmöglichkeiten als über den Geschmack und das Aroma der Zutaten: Petersilie färbt grün, Safran gelb, Kirschen rot, Veilchen blau. Suppen wurden manchmal geteilt in zwei verschiedenen Farben serviert. Manche „Gewürze“ wurden ausschließlich als Färbemittel verwendet – etwa Kurkuma, den die Mauren nach Europa brachten.
Eine wichtige Quelle für die Verwendung von Kräutern in dieser Zeit ist die Verordnung „Capitulare de Villis et curtis Imperialibus“, die Karl der Große 812 verfügte. Auf jedem Krongut und Reichshof sollte ein Garten mit genau festgelegten Kräutern und Pflanzen angelegt werden. Die Verordnung ging wohl auf römische Quellen zurück. Es handelte sich um Nutzpflanzen für Menschen und Tiere, die nähren, würzen, heilen, konservieren oder auch Ungeziefer vertreiben sollten – oft mehreres gleichzeitig. In erster Linie waren sie für die Versorgung des kaiserlichen Hofstaates gedacht, wurden aber stilprägend für viele spätere Kloster- und Bauerngärten. Im Spätmittelalter legten sich reiche Bürger Gemüse- und Kräutergärten vor den Stadttoren an. Manche Kräuter wurden wild gesammelt – zum Beispiel Bärlauch oder Brunnenkresse –, andere stammten aus dem Mittelmeerraum und wurden als Samen oder Stecklinge nach Nord- und Mitteleuropa transportiert. Allerdings wurden nicht alle Pflanzen überall angebaut, sondern nur dort, wo sie auch klimatisch gedeihen konnten.
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