„Erpressung? Ich bitte Sie.“
„Schon gut.“
„Und warum kommen Sie mit, wo es doch kein Geld gibt?“
„Bei mir ist das was anderes. Wenn ich draufgehe, ist es in den Augen der Basken kein Verlust. Auch nicht, wenn ich stiften gehe. Ich bin als Frau in deren Augen nur eine billige Magd. Eine wie mich kriegen sie überall in den Dörfern, glauben sie. Die sind nicht zimperlich, wenn es um die Rekrutierung von Frauennachschub geht. Dass ich die Soldaten zurückbegleite, war darum eigentlich von Anfang an ausgemacht. Also Teil des gebuchten Pakets. Nur konnte vor fünf Tagen niemand ahnen, dass gefährliche Gefangene transportiert werden müssen. Meine Leute interessiert die Planänderung des Leutnants nicht die Bohne. Geschäft ist Geschäft. Sie haben ihren Teil erfüllt und abkassiert. Basta!“ Sie schwieg. Wir lauschten. Nichts. Nur Schnarchen. Manchmal knisterte und knackte ein Holzscheit in den Flammen. Die Wächter würfelten und unterhielten sich leise. Ab und zu warfen sie einen Blick in unsere Richtung. Elisabeth hatte ihren Kopf fest ins feuchte Moos gedrückt. Ich konnte sie riechen, fühlte ihre Wärme. Zu sehen war sie in der Dunkelheit kaum. Der Lichtschein des Feuers drang nicht bis zu uns. Da ich nicht antwortete, begann sie erneut.
„Was ist jetzt mit Ihnen?“ Für mich war die Sache entschieden. Sie sagte es ja selbst: Wenn ich kein gefährlicher Deutscher wäre, würden wir alle erschossen. Ich durfte uns nicht in Gefahr bringen. Ich schluckte und flüsterte dann so entschieden als möglich:
„Es ist wie ich sagte. Ich bin preußischer Offizier.“
„Schade, als Holländer waren Sie mir sympathischer. Ich stamme aus Sachsen, müssen Sie wissen.“ Das kapierte ich nicht. Was ist falsch an einem Preußen, wenn jemand aus Sachsen stammt? Hatten die offene Rechnungen miteinander? Vermutlich. Vorsichtshalber sagte ich gar nichts mehr.
„Passen Sie auf, genau genommen ist es mir egal, wo Sie her sind. Viel wichtiger: Können Sie mir helfen, zurück nach Sachsen zu kommen? Wenn ja, bin ich bereit, Kopf und Kragen für Sie zu riskieren. Wenn nicht, können Sie von mir aus bleiben wo der Pfeffer wächst.“ Schwor ich einen Meineid, wenn ich ihr etwas versprach, das ich vielleicht nicht halten konnte? Andererseits, was hatte ich zu verlieren? Mynheer van Delft kannte die halbe Welt. Sicher wusste er einen Weg, die mysteriöse junge Dame nach Deutschland zu bringen, wenn sie darauf bestand. Also gab ich ihr die gewünschte Auskunft:
„Ich denke schon.“ Sie nickte kurz und verschwand so geräuschlos wie sie gekommen war. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Hatte ich die richtige Antwort gegeben?
Fußnote van Delft, Rotterdam im Januar 1871
Meine Güte. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, dass mein Kammerdiener so ein Sensibelchen ist. Und dass er so ausführlich schreiben kann? Hut ab. Wenn ich das richtig sehe, zermartert er sich weitere zwei Seiten lang den Kopf über seine schlaflose Nacht. Höchste Zeit, dass ich unsere Geschichte ein wenig raffe. Beginnen wir am folgenden Morgen.
Wir wurden bei Tagesanbruch geweckt. Die Franzosen hatten es eilig. Mir konnte es recht sein. Je eher, desto besser. Beim Abmarsch gab es ein paar Diskussionen, weil die Banditen uns unser Gepäck und die Maultiere nicht zurückgeben wollten. Es fehlte nicht viel und ich hätte wieder Prügel bezogen. Zumindest die Zeltplane und meine Tagebücher durften wir dann aber doch behalten. Die Zeltplane, weil auch die Franzosen sie für eine erneute Überquerung des Gebirgskammes als sinnvoll erachteten und die Papiere wegen der darin vermuteten militärischen Geheimnisse. Leider weder Tinte, noch Feder oder Bleistift. Ganz zu schweigen von meinem Kleiderkoffer. Ärgerlich.
Ich grübelte ernsthaft, wie ich in Frankreichs Süden auf die Schnelle einen guten Schneider wenigstens für die dringendste Garderobe finden sollte. Gehrock, Frack, Hemden, Lackschuhe und so weiter. Mit der zusammengenwürfelten Winterkluft, die ich am Leibe trug, konnte ich mich unmöglich bei zivilisierten Menschen sehen lassen. Weder unter der Guillotine noch in der Hitze Spaniens. Sollte ich bis Paris zurückreisen müssen, nur um mich neu einzukleiden! Mal abgesehen davon, dass mir die Vagabunden all meine Bargeldreserven abgeknöpft hatten. Eine unangenehme Situation.
Zum Transport wurde uns schließlich eines meiner Maultiere bewilligt. Immerhin. Genug Proviant für mindestens drei Tage bekamen wir außerdem eingepackt. Womit deutlich wurde, dass unsere Bewacher sämtliche infrage kommenden Siedlungen weiträumig zu meiden gedachten. Trübe Aussichten.
Vom nächtlichen Besuch bei Fridolin hatte ich nichts mitbekommen und so war ich einigermaßen überrascht, als die Freischärler mit Ausnahme unserer jungen Führerin im Lager zurückblieben. Meist mussten wir im Gänsemarsch laufen. Vornweg das Mädchen, dann Leutnant de Lafontaine, danach das Maultier, Fridolin, ein Sergeant, Dr. Ingmarson, ich und am Schluss der zweite Sergeant. Wobei der Begriff „laufen“ für diesen Marsch eigentlich der falsche Ausdruck ist. Wir kraxelten, kletterten, stolperten, rutschten, um nur einige passendere Verben zu erwähnen. Immer die Bajonette und Gewehrläufe der Soldaten im Rücken. Einige Male hätte mich mein Sergeant fast versehentlich aufgespießt, weil er das Gleichgewicht verlor. Unangenehme Vorstellung.
Gott sei Dank hatte der Leutnant sein Versprechen gehalten und uns die Handfesseln wieder abgenommen. Gebunden hätten wir uns nirgends richtig festhalten können. Wer die Schluchten und Steilhänge der Pyrenäen kennt, weiß, dass fehlender Halt dortzulande schnell das Ende bedeuten kann. Zwischenzeitlich bestand unsere Führerin deshalb sogar darauf, eine Seilschaft zu bilden. Dabei blieben die Hände frei, der Strick um den Bauch half jedoch, unterwegs niemanden durch einen Fehltritt zu verlieren. Die Idee fanden unsere Franzosen so großartig, dass sie uns die Seile fortan dauerhaft umgebunden ließen. Hoffnungen auf spontane Ausbruchsgelegenheiten konnte ich damit natürlich endgültig fahren lassen.
Die kommende Nacht verbrachten wir in einer Talsenke. Unsere Plane ließ die Freischärlerin zwischen riesigen Felsblöcken aufspannen, gewaltigen Brocken, die wohl von einem höher gelegenen Felsmassiv abgebrochen, abgestürzt und in der Senke liegengeblieben waren. So erhielten wir ein geschütztes Plätzchen, an dem die Soldaten ein wärmendes Feuer entfachten. Da wir wieder gefesselt wurden und die Franzosen es nicht riskierten, uns allein zu lassen, beziehungsweise es für unter ihrer Würde hielten, zu arbeiten, wenn sich eine Magd im Tross befand, musste das Mädchen Brennholz suchen. Sie ertrug die Schikane klaglos. Allerdings bemerkte ich, wie sie einige Male Blicke mit Fridolin tauschte. Ich wurde aus dieser Esmeralda nicht klug. Führte sie etwas im Schilde? Und wenn ja, was? Welche Rolle spielte Fridolin dabei?
Anmerkungen von Dr. Frans Ingmarson, Rotterdam im Januar 1871
Um ehrlich zu sein, hatte ich in jenen Tagen im Gebirge mit mir und meinem Leben abgeschlossen. Ich verstand nur wenig von den Dingen, die um mich herum vorgingen. Nur eben, dass man uns für Spione hielt und früher oder später zu erschießen gedachte. Reden durften wir nicht miteinander. Am meisten litt ich allerdings, weil ich meine gesamten wissenschaftlichen Instrumente eingebüßt hatte.
Gut, die Abschriften vom Skessuhorn, die hatten die Verbrecher nicht behalten wollen. Zum Glück. Zum Unglück galten den Franzosen meine Runen, arabischen Symbole und lateinischen Übersetzungen vermutlich als Geheimschrift, die ihre Experten in Paris entschlüsseln sollten. Nun würden sie darin zwar nicht das finden, worauf sie aus waren, aber genau genommen hatten sie einen Schatz gewonnen, von dessen Ausmaß sie sich vorderhand keinerlei Vorstellung machten. Ich glaubte allerdings sicher, dass die französischen Spezialisten die Brisanz meiner Informationen schnell erkennen würden. Womit die Macht Kassandras definitiv in die falschen Hände geriete. Ich kenne kein skrupelloseres Regime als das dieses dekadenten Nachkommen des großen Bonaparte. Wann der nächste Krieg ausbräche, schien mir nurmehr eine Frage der Zeit. Bekanntlich behielt ich recht.
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