Nicht zuletzt ist es aber die Namenkunde , die als ein Instrument zur Landschaftsrekonstruktion Aufschluss über das ursprüngliche Aussehen des Mündungsgebiets der Erlaf gibt. Der schon erwähnte im Regensburger Urbar von 1334 genannte Name Gang , ein altes deutsches Wort für Flussarm, weist alleine schon darauf hin, dass bei Ornding einmal ein Flussarm vorbeifloss. Der Name Altach drückt aus, dass 1334 diese Ache alt, also ein Relikt aus früherer Zeit war. Und von Wörth , einem alten deutschen Wort für ‘Insel’, war ja auch schon die Rede.
Zu nennen ist hier auch der Name Wagram . So heißt auf modernen Karten eine Böschung beim Dorf Erlauf. Nun ist Wagram , ursprünglich Wagrain , ein altes deutsches Wort mit der Bedeutung „Uferrand eines Flusses“. Die Böschung ist heute kein Uferrand mehr, der Fluss hat sich zurückgezogen, sie heißt aber noch immer Wagram .
Ein weiterer onomastischer Hinweis auf diese versunkene Flusslandschaft ist der Name des Dorfes Erlauf (1543 amt an der Erlauf ). Das Dorf heißt so wie der Fluss Erlaf (aus Arelape ), nur ist der Name volksetymologisch und hyperstandardisiert auf Erlauf abgeändert und so veramtlicht. Orte, die so heißen wie ein Fluss, liegen gewöhnlich an der Mündung dieses Flusses, wie es ja auch z.B. bei Enns , Ybbs , Melk , Tulln und Wien der Fall ist. Nur Erlauf liegt nicht an der Mündung der Erlaf, sondern fast vier Kilometer flussaufwärts von der Mündung entfernt. Der Name des Dorfes aber weist darauf hin, dass die Mündung früher eben dort war, wo Erlauf liegt. Bei Erlauf muss also die Erlaf in einen Donauarm gemündet sein, höchstwahrscheinlich in eben denjenigen, an dem der römische Donauhafen lag. Wann sich die Landschaft so weit geändert hatte, dass Pöchlarn und nicht Erlauf als Ort betrachtet wurde, an dem die Erlaf in die Donau mündet, ist mir nicht bekannt. Aber um 1500 wird explizit vermerkt: Pechlarn […] ist […] an der Tuonaw gelegen. Under Pechlarn kämpft die Erlauf, ain pös Wasser, in Tuonaw geflossen.
Der unterste Lauf der Erlaf ist durch die vielen Au -Namen charakterisiert, die sich laut Administrativkarte von der Mündung bis Petzenkirchen hinzogen: Links der Erlaf sind es von Petzenkirchen flussabwärts die Hohenau , die Auwiesen , die Dorn Au und links der Erlafmündung die Vogel Au ; rechts sind es die Josephau , die Sand Au , die Steinwand Au , die Brunn Au und östlich von Pöchlarn die Stogau . Im Bereich der Au- Namen mäandrierte die Erlaf bis in jüngste Zeit, änderte ständig ihren Lauf und bildete, wie auf der Administrativkarte zu sehen, mehrere Inseln. Ihrem Namen nach müssen diese Geländestücke tatsächlich einmal Aulandschaften gewesen sein.
Wie man sieht, kann man das Thema „Anthropozän“ auch von einer humanistischen Warte aus betrachten. Im Hinblick auf eine ganzheitliche Wirklichkeitserfassung sollte man darauf auch nicht verzichten.
1Vgl. Übersichtskarte 1:200.000 zum Flächenverzeichnis des östlichen Donaugebietes, Südliches Blatt, Hydrographisches Zentralbüro im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft. Hier sind acht „Ordnungen“ von Flussgebieten unterschieden, die „I. Ordnung“ ist ein „Meeresgebiet“, dann folgen große und kleine Zubringer.
2Siehe Georg Holzer, Urslawisch, in: Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens. Band 10: Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens , herausgegeben von Miloš Okuka unter Mitwirkung von Gerald Krenn, Klagenfurt/Celovec 2002, 551–557.
3Siehe Georg Holzer, Landschaft und Siedlung im slavischen Frühmittelalter, in: Namen, Sprachen und Kulturen / Imena, Jeziki in Kulture. Festschrift für Heinz Dieter Pohl zum 60. Geburtstag , herausgegeben von Peter Anreiter, Peter Ernst und Isolde Hausner unter Mitwirkung von Helmut Kalb, Wien 2002, 386–398, nachgedruckt in: Georg Holzer, Namenkundliche Aufsätze (= Innsbrucker Beiträge zur Onomastik, herausgegeben von Peter Anreiter, Band 4), Wien 2008, 107–119.
4Zu diesem siehe Zdeněk Váňa, Die Welt der alten Slawen , Praha 1983, 105–118 und Bohuslav Chropovský, in: Joachim Herrmann (Hrsg.), Welt der Slawen. Geschichte – Gesellschaft – Kultur , München 1986, 161–182.
5Siehe Georg Holzer, Slavische Gewässernamen in Niederösterreich: ihre Bildung und ihr Verhältnis zu den Geländenamen, in: Albrecht Greule – Wolfgang Janka – Michael Prinz (Hrsg.), Gewässernamen in Bayern und Österreich. 3. Kolloquium des Arbeitskreises für bayerisch-österreichische Namenforschung (Regensburg 27./28. Februar 2004) (= Regensburger Studien zur Namenforschung, herausgegeben von Wolfgang Janka und Michael Prinz, Band 1), Regensburg 2005, 95–109: 104–105, nachgedruckt in: Georg Holzer, Namenkundliche Aufsätze , 199–218: 211.
6Siehe Georg Holzer, Namenkundliche Aufsätz e, 127–133.
7Siehe Georg Holzer, Weiße und schwarze Flüsse, Österreichische Namenforschung 22–23 (1994–95) 35–53, nachgedruckt in: Georg Holzer, Namenkundliche Aufsätze , 9–30.
8Siehe zum Folgenden (samt Literaturhinweisen) Georg Holzer, Namenkundliche Aufsätze , 291–300.
Alexandra Meyer
Das Anthropozän: Perspektiven aus der Kultur- und Sozialanthropologie und ein Fallbeispiel aus der hohen Arktis
Einleitung
Der Begriff Anthropozän stammt aus der Geologie und wurde vorgeschlagen, um das derzeitige geologische Zeitalter zu benennen, in dem der Mensch eine die Welt grundlegend verändernde Kraft geworden ist: „Considering [the] growing impacts of human activities on earth and atmosphere, and at all, including global, scales, it seems to us more than appropriate to emphasize the central role of mankind in geology and ecology by proposing to use the term ‘anthropocene’ for the current geological epoch” (Crutzen & Stoermer 2000: 17). Um diese Epoche und seine besonderen Herausforderungen zu verstehen, benötigt es daher ein Verständnis des Menschen, Anthropos , als soziales und kulturelles Wesen. Dies ist der Forschungsgegenstand der Kultur- und Sozialanthropologie, die in Diskussionen um das Anthropozän an Relevanz gewinnt.
Eine der deutlichen Auswirkungen der Menschen auf die Geologie und Ökologie ist das durch menschliche CO 2-Emissionen veränderte Klima (Crutzen & Stoermer 2000), und der Klimawandel ist in vieler Hinsicht der Inbegriff des Anthropozäns (Rudiak-Gould 2015). Menschliche Aktivität verändert die Atmosphäre, was vielseitige Auswirkungen auf die Umwelt hat und so wiederum die Menschen in diesen Umwelten beeinflusst. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Auswirkungen von und Auffassungen des Klimawandels, insbesondere des Schmelzens bzw. Auftauens der Kryosphäre – Wasser in seinen unterschiedlichen gefrorenen Zuständen.
Obwohl die Arktis oft als unberührte Einöde dargestellt wird, ist sie von mehr als vier Millionen Menschen bewohnt. Zahlreiche Siedlungen – von einfachen Dörfern zu hochmodernen Städten – sowie moderne Infrastruktur sind integrale Bestandteile der arktischen Umwelt (Schweitzer et al. 2017). Der Klimawandel verändert diese Siedlungen und die Lebensbedingungen der Menschen dort auf vielfältige Weise. Dieser Beitrag wird anhand empirischen Materials aus meiner ethnographischen Feldforschung 1 in Longyearbyen, Svalbard, ein Fallbeispiel der gesellschaftlichen Auswirkungen und Auffassungen des Klimawandels darlegen.
Klimawandel in der Arktis
Die Kryosphäre bezeichnet Gletscher, Meereseis und Eisschilde auf Land, Schnee und Permafrost (gefrorener Boden). Sie ist das Ergebnis langfristiger, kalter Klimabedingungen und reagiert besonders empfindlich auf Temperaturveränderungen (Bartsch & Meyer 2017: 21). Die Kryosphäre ist eine definierende Charakteristik der arktischen Umwelt. Die Arktis ist gleichzeitig der Ort, an dem der Klimawandel am schnellsten voranschreitet: Hier steigen die Temperaturen derzeit doppelt so schnell wie in den niederen Breiten (Serreze & Barry 2011), und bis 2100 wird eine Erhöhung der Durchschnittstemperatur von bis acht Grad Celsius erwartet (IPCC 2014). Die durch den Klimawandel verursachten Veränderungen der Kryosphäre sind in der Arktis besonders ausgeprägt und miteinander verwoben, und haben vielfältige Auswirkungen auf arktische Gesellschaften (Bartsch & Meyer 2017). Aufgrund der Klimaveränderungen gehen arktische Eisschilde und Gletscher sowie das Meereis zurück, was wiederum das Meer und die Temperaturen auf Land zusätzlich erwärmt (AMAP 2012). Die Temperatur arktischer Permafrostböden ist in den letzten Jahren erheblich gestiegen (Romanovsky et al. 2010). Die Emissionen, welche die Temperaturen in der Arktis steigen lassen, sind nicht lokal, sondern stammen aus aller Welt. Gleichzeitig beeinflussen die lokalen arktischen Umweltveränderungen das globale Klima, etwa indem auftauender Permafrost massiv Karbondioxid freisetzt (Schuur et al. 2009). So verdeutlichen die Veränderungen der arktischen Kryosphäre die Verwobenheit von Mensch und Natur, lokal und global.
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