Mit Dominique Macaire können die Erfahrungen im Rahmen des Pilotprojekts durchaus dahin gedeutet werden, dass auch im universitären Grenzraum Identitäten und Praktiken aufeinandertreffen, die sich letztlich auf ein gemeinsames, deutsch-französisches „entre-deux“ zurückführen lassen:
un espace nouveau de confrontation des identités et des pratiques dites ,scolaires‘ des langues-cultures qui relève d’un entre-deux franco-allemand (Macaire 2015:14)
Wie gezeigt werden konnte, kommt dies im Falle des hier vorgestellten Projektseminars nicht nur in dem deutsch-französischen Lernkoffer zu unbeliebten Tieren als output des Seminars zum Ausdruck, sondern auch in den Stellungnahmen der Studierenden. Sie haben die französische Sprache ganz im Sinne Albert Raaschs „nicht nur als Unterrichtsgegenstand, sondern als authentisches Kommunikationsmittel erlebt“ (Raasch 1992: 7) Auch die Perspektive, „die Fremdsprache nicht nur als zweckmäßiges Verständigungsmittel zu lehren, sondern zugleich auch als Ausdruck einer Kultur […]“ (ders.: 4) konnte ihnen durch das Lehrformat eröffnet werden. Sie sind beinahe einstimmig überzeugt davon, dass derartige Projekte zur Verbesserung ihrer Lehramtsausbildung, aber auch zu ihrer persönlichen Entwicklung beitragen. Das Interesse und der Bedarf bei den Studierenden für solche Angebote sind groß, und das gezeigte Engagement belegt deren Potential für die Lehramtsausbildung insbesondere für den Grundschulbereich.
Der Verlauf und die Ergebnisse dieses Projektseminars geben allen Anlass, den geplanten Studiengang BiPrimar möglichst schnell auf den Weg zu bringen, um so die großen Vorteile der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu institutionalisieren und nachhaltig zu verankern.
Ich möchte diesen Beitrag beenden mit einem letzten Blick auf die von den Studierenden erstellte deutsch-französische Geschichte vom blinden Maulwurf Herrn Tauppisch und schließe mich der zusammenfassenden Feststellung eines der Autoren an. Das Seminar war “plus qu’un projet, une histoire!”.
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Sprachenlernen als Grenzerfahrung
Hermann Funk
Wer hätte gedacht, dass die Definition von Grenze sich in dem Zeitraum, in dem ich an diesem Text gearbeitet habe – genauer, im zweiten Quartal des Jahres 2020 –, so grundlegend wandeln würde und Grenzen für eine Generation, die den Begriff nur noch in der abstrakten Begrifflichkeit der Sprachengrenze kannte, zumindest zeitweise wieder zu einer unüberwindbaren Barriere werden würden, wie sie seit dem Ende der Teilung Europas 1990 eigentlich auf diesem Kontinent der Vergangenheit anzugehören schien. Was 2015 zum Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung bereits sichtbar und mit dem Brexit Realität wurde, dass das Schengener Abkommen und die Entwicklung in Richtung immer offenerer Binnengrenzen nicht unumkehrbar sind, erfährt nun in der Pandemie-Krise zwischenzeitlich einen traurigen Höhepunkt. Um es an einem Beispiel aus Albert Raaschs universitärem Wirkungsumfeld zu illustrieren: Die Grenzstation Goldene Bremm ist nun zum Zeitpunkt, an dem ich diesen Text schreibe, wieder so unüberwindbar wie einstmals die DDR-Grenze. Niemand außer LKWs kommt vorerst durch und der 8. Mai war dieses Jahr nicht wie üblich der „Nationalfeiertag” des Saarbrücker Einzelhandels. Die Schließung der Grenzen zwischen Deutschland und Frankreich, und nicht nur dort, hat allerdings auch gezeigt, wie eng eine Region wie SaarLorLux inzwischen zusammengewachsen ist und wie vielfältig und vielschichtig die Bindungen und die grenzübergreifende Infrastruktur sind.
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