Sie hatten Decken und Betten auf den staubüberzogenen Fussboden geworfen und untersuchten die schrecklichen Verwundungen des Ermordeten, indem sie sich bemühten, diesen selbst soviel als möglich in seiner Lage zu belassen.
„Mutz das ein abgefeimter Schuft gewesen sein,“ meinte der eine gedämpften Tones, „so gründliche Arbeit machen und dann noch jede Spur verwischen, dazu gehört eine Pferdenatur, na, jedenfalls wollen wir mal sehen, ob er uns nicht irgendein kleines Andenken von sich dagelassen hat.
In dem Moment bückte sich der Sprecher und hob mit einem triumphierenden Laut ein am Fussende des Bettes, zwischen Matratze und Holz eingeklemmtes Stilett heraus, dessen schwarzer mit Silberdraht umsponnener Griff das scharfe Auge des Kriminalisten auf sich gelenkt hatte.
„Nummer 1,“ meinte sein Kollege.
„Na, da wette ich, wir finden noch mehr,“ rief der andere.
Aber jetzt hielt es Graf Berghorst nicht mehr lange aus.
Er hatte die von einem nervösen Schluchzen befallene Tuto auf das zerschlissene Ledersofa gesetzt und wandte sich nun mit der ganzen Autorität, die seinem Wesen eigen war, an die Beamten.
„Ich glaube, Sie haben unsere Nerven jetzt genug auf die Probe gestellt. Ich wenigstens habe keine Lust, diesen Widerwärtigkeiten länger beizuwohnen. Ich heisse Gert Graf von Berghorst ...“
Er wirbelte nachlässig seinen langen blonden Schnurrbart.
„Und wohne in Gross-Lichterfelde, Siegmundstrasse, in meiner Villa. Adieu!“
Dem Beamten imponierte dieses herrenmässige Auftreten sichtlich.
„Wenn sich die Herrschaften legitimieren können, hab’ ich natürlich nichts gegen ihr Fortgehen einzuwenden.“
Das taten nun auch die drei anderen, und bald waren die beiden Kriminalisten, der Wirt und der Schlosser mit dem Toten allein.
„Ich kann wohl ooch ziehen?“ meinte der Schlosser.
Herr Aloys Schmeisser sagte, er würde bloss mal unten nach seinem Keller sehen, dann käme er sofort wieder herauf.
Dieser Biedermann wollte sich die Sensation nicht entgehen lassen. Auch hielt er es für opportun, sich mit den Kriminalschutzleuten in jeder Weise gut zu verhalten.
Unterdessen hatte sich einer von diesen die verschliessbaren Möbel im Zimmer näher angesehen und dabei gefunden, dass die Schlüssel zu dem am Fenster stehenden Geldschrank, einem gediegenen feuerfesten Tresor, nicht vorhanden waren.
„Der Kerl scheint es darauf abgesehen zu haben, uns Rätsel aufzugeben,“ sagte der ältere der beiden Beamten, „aber ich glaube, Schmidt, wenn wir uns keinen Rüffel holen wollen, so ist es das Beste, ich bleibe hier, und du telephonierst sofort nach dem Präsidium ... v. Sterkow ist heute sicher da, und du weisst, der wird immer sehr böse, wenn unsereins auf eigene Hand vorgeht.“
Auf die Aufforderung seines Kameraden, der Schultze I hiess, und von den Kollegen der dicke Schultze genannt wurde, entfernte sich Schmidt, der jüngere Kriminalschutzmann, ein hübscher, stattlicher, blonder Mensch, dem man den gewesenen Kürassier ansah.
Wie er aus der Tür trat, huschten mehrere dunkle Gestalten die Treppe hinab.
Wahrscheinlich Gäste des Herrn Schmeisser, die hier kriminalistische Studien machen wollten.
„Na, ihr habt es wohl sehr eilig!“ rief der blonde Kriminalschutzmann und ging die hölzerne Treppe hinab.
Graf Berghorst sass in einer Droschke, er wollte nach Lichterfelde hinaus.
Er hatte einen moralischen Katzenjammer, wie nie vorher, und soviel er sich Mühe gab, an etwas anderes zu denken, fielen ihm doch immer wieder seine Schulden ein.
Gert von Berghorst war ehedem vermögend, wenn auch nicht reich gewesen. Aber auch nicht einen roten Deut hatten die Teufelsblätter, die Karten, in seiner Tasche gelassen! Und der Graf gehörte nicht zu den Männern, die der eintretende Mangel aus ihrem Taumeldasein reisst. Es stand längst nicht mehr in seiner Macht, durch ehrliche Arbeit vorwärts zu kommen und vielleicht das Verlorene mit der Kraft seines Geistes wiederzugewinnen.
Vielleicht hätte auch dazu seine geistige Befähigung nicht ausreicht. Aber selbst wenn er fähig gewesen wäre, zu arbeiten und zu verdienen, so würde er doch sicherlich alles Erworbene immer wieder nur dem Spiel geopfert haben, diesem entsetzlichen Moloch, der schon Hekatomben von Menschenleben gefordert hat und nicht aufhören wird damit, solange die Welt steht.
Es gab Momente, wo der junge Aristokrat sich klar darüber wurde, in wie reissender Fahrt der Wagen seines Schicksals bergab rollte.
Aber die Kraft, diese entsetzliche Fahrt aufzuhalten, besass er nicht mehr. Sein ehemals anständiger Sinn wich allen Vorwürfen und Gewissensbissen aus, und so kam es, dass er sich hatte überreden lassen, diesen schmachvollen Handel einzugehen, der ihm eine Frau in die Arme warf, über deren Herkunft niemand etwas wusste, die nichts weiter als seinen Rang und Titel von ihm wollte, und die ihm dafür aus den Schätzen ihres fast märchenhaften Reichtums ein allerdings königliches Almosen zuwarf.
Hunderttausend Mark hatte er dafür erhalten, dass er mit Anna Maria Petersen vor den Altar trat und sie zur Gräfin von Berghorst machte. Und abermals hunderttausend Mark sollte er erhalten, wenn er sich richterlich von ihr scheiden liess.
Vielleicht ward ihm dieser an und für sich peinliche Rückblick noch besonders unangenehm gemacht durch die Dunkelmänner, welche ihm dieses „Geschäft“ vermittelt hatten.
Ja, ja, er, Gert von Berghorst, der hochgeborene Graf, hatte sich gestern wie ein Kesselflicker mit diesen Menschen herumstreiten müssen!
Durch die Fenster der geschlossenen Droschke blickend — die er absichtlich genommen hatte, sah er um eine Anschlagsäule eine Menge Menschen stehen, die eine auf dem bekannten blutroten Papier gedruckte Ankündigung des Polizeipräsidiums las.
Unter dem milden Sonnenschein des Frühlingstages hatten die Leute nicht anderes zu tun, als sich für die schrecklichen Ereignisse zu interessieren, welche sich in den fernsten Winkeln der Grossstadt unter dem geheimnisvollen Schleier der Nacht zutrugen.
von Berghorst, der ja dabeigestanden hatte, als man den Leichnam des alten Mannes fand, dessen Ermordung jener rote Zettel verkündete — indem er eine Belohnung von tausend Mark auf den Kopf des Mörders setzte — Gert von Berghorst fühlte sich durchschauert bis ins Mark.
Mit Menschen von zweifelhaftem Ruf und offenbarer Ehrlosigkeit in einen Topf geworfen, und mit ihnen gemeinsame Sache machend, in einer seiner unwürdigen Umgebung und von den Blutspritzern des Verbrechens besudelt, kam er sich selbst schon entehrt und ausgestossen vor, fühlte er schon, wie die letzten Fäden rissen, die ihn noch mit seiner hochgebietenden und von der übrigen Welt streng abgesonderten Kaste verbanden.
Sicherlich! Eines Tages würde es offenbar werden, woher er sich seine Einnahmen verschaffte ... Einnahmen? ... aber um Gottes willen, es waren ja gar keine! ...
Nachdem sie gestern das Haus verlassen hatten, in dem der ermordete Pfandverleiher, von den Kriminalbeamten bewacht, zurückblieb, war von Berghorst nicht imstande gewesen, das widerwärtige Geschmeiss, das sich durch seine ewigen Geldkalamitäten an ihn festgesaugt hatte wie Blutegel, von sich abzuschütteln.
Zwar die Tuto und der frühere Rittergutsbesitzer entfernten sich nach einer, wie es schien, vorher heimlich getroffenen Vereinbarung. Aber Kretschmar, jener rothaarige Hund — nie in seinem Leben war ihm ein Mensch unsympathischer gewesen — dieser Kerl hatte die Frechheit gehabt, ihm seine Begleitung aufzudrängen.
Der Graf sagte ihm, er würde in seinen Klub fahren. Darauf antwortete der andere, nun gut, dann werde er warten, bis von Berghorst wieder herauskäme.
Natürlich hatte das den Grafen veranlasst, seinen Vorsatz aufzugeben.
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