Roman
Saga
I. Eine vornehme Hochzeit.
In dem grossen Saal, durch dessen weitgeöffnete, mit feinen Stores verhangene Fenster der Märzabend seinen milden Atem hereinblies, wurde ein glänzendes Fest gefeiert.
Kam man von der Tür herein, so sah man zuerst nichts als ein Gewoge und Geflimmer von blendenden Lichteffekten und buntglänzenden Farben.
Die reichen und verwöhnten Menschen, die sich hier zu einem opulenten Mahl versammelt hatten, liebten es nicht, sich von den eindringlich hellen Flammen des mächtigen Kronleuchters überschütten zu lassen, der an der Decke hing. Nur hohe Ständerlampen warfen ihr von gelben Seidenschleiern gedämpftes Licht über die Tafel. Und dazwischen, ebenso wie an den Wänden, duftende Wachskerzen, die in silbernen Armleuchtern brannten und deren Flammen durch rote Schirmchen geschützt waren.
So lag der in matter Farbe tapezierte Raum in einem goldigen Dämmerlicht, und mit dem Duft der Blumen, die in feinen Glaskelchen vor jedem Gaste standen, mischten sich die teuren Parfüms, die gleich unsichtbaren Wölkchen über den reichen Toiletten der Frauen schwebten.
In allen Altersstufen waren sie vertreten unter den vielleicht fünfzig Personen, die sich lachend und mit von der Glut des Weines belebten Wangen unterhielten.
Aber die Jugend herrschte doch vor, und die Schönheit der einzelnen erschien doppelt reizvoll, weil die kostbarsten Toiletten diese herrlichen Gestalten umschmiegten, weil Samt und Seide hier mit dem Schmelz der weissen Schultern wetteiferten und weil man nicht wusste, ob man das Feuer all der seltenen Edelsteine, die diese Damen schmückten, oder den Glanz und die Glut so vieler schöner Augenpaare mehr bewundern sollte.
In diesem Moment erhob sich ein Herr, der als einziger unter all den schwarzgekleideten Männern einen Frack aus feinem roten Tuch mit goldenen Knöpfen trug.
Es war ein beliebter Humorist und Schriftsteller, ein Bekannter des Hauses, der wohl zu den Intimen gehörte und es daher selbst heute wagen durfte, in einem so aussergewöhnlichen Kostüm zu erscheinen.
Und wie Herr Bruno Siegwart, der Schriftsteller, nun, dar Sektglas erhebend, seine mit witzigen Pointen reich gewürzte Rede begann, wie er, sich ein wenig vorbeugend, zu der ihm gegenübersitzenden Dame, der das heutige Fest galt, sprach, da verstummte das Gläserklingen, das Geräusch der lachenden und flüsternden Lippen allmählich, denn alles hörte gespannt zu, und die schöne Frau selbst stützte den klassisch geformten Arm auf die Lehne ihres Fauteuils und lauschte behaglich auf die Worte des geistvollen Schmeichlers dort drüben.
Seit zwei Stunden hiess sie Maria Anna Gräfin von Berghorst. Ihre kaum mehr als mittelgrosse Gestalt, die den vollen Zauber des reifen Weibes atmete, umschloss ein Kleid aus schwarzer Seiden-Panne, jenem dünnen, geplätteten Samtstoff, dessen Lüstre ohnegleichen ist, dessen weichschimmernder Glanz sich wie Schlangenhaut um blühende Formen spannt. Die Taillenärmel fielen an den Ellenbogen in weisse Crêpe de Chine-Puffen aus, und aus dem, der feierlichen Gelegenheit angepassten sehr diskreten Halsausschnitt erhob sich sinnverwirrend ein Nacken, den grosse, an einer kaum sichtbaren Goldkette aufgereihte Brillanten umstrahlten.
Und jetzt, wie sie ihre grossen, südländisch dunklen Augen zu dem Sprecher aufschlug, da sprühte aus diesem stolzen und doch wieder lieblichen Gesicht eine solche Fülle von Lebensdrang und Genusssucht, dass der feine Spott auf den Lippen des Rotbefrackten erstarb, dass nichts mehr als aufrichtige Bewunderung in seinem Auge lag, als sein und der Gräfin Glas aneinanderklangen.
Alsdann erhoben sich, wie es bei solchen Gelegenheiten üblich, die Gäste aus den weichen Polstern der himbeerfarbenen Fauteuils und kamen herbei, um mit der jungen Gattin und ihrem Gemahl, einem von oben herabblickenden Aristokraten, der ein auffallend grosses Monokel in seinem jungen, blasierten Gesicht trug, anzustossen.
Vor der Gräfin selbst stand in diesem Augenblick ein junger Mann in der Offiziersuniform des Potsdamer Garderegiments von auffallend grosser, kräftiger Figur, der den Worten der Dame mit höflich geneigtem Kopf lauschte.
In den Augen der Frau lag, während sie rein gesellschaftliche Phrasen mit dem jungen Manne wechselte, ein undenklich schmachtender Ausdruck. Und wäre jemand dabei gewesen, der wohl sehen, aber nicht hören konnte, er hätte gewiss nicht anders geglaubt, als dass diese soeben in den heiligen Stand der Ehe getretene Dame ihr Herz und vielleicht noch etwas mehr diesem stattlichen jungen Manne entgegenbrachte, den die Uniform so brillant kleidete.
„Wir werden nach einer kurzen Pariser Reise längere Zeit hier verweilen,“ sagte die Gräfin, in deren Stimme so viel verhaltene Glut und Innigkeit bebte, dass der Leutnant innerlich, wie vor etwas Brennendem, zurückschrak.
Mit Sekundenschnelle trat wieder der Salon vor sein geistiges Auge, der kleine, ganz in Tiefgrün dekorierte Salon, in dem er die junge Frau zum ersten Male gesehen hatte. Graf Berghorst selbst hatte ihn eingeführt, war dann aber, um, wie er sagte, einer wichtigen Verabredung zu folgen, bald fortgegangen und hatte den jungen, im Verkehr mit Frauen stets sehr schüchternen Offizier mit seiner Braut allein gelassen.
Die Gesellschafterin, eine ihrer Herrin augenscheinlich sehr ergebene Person, hatte selbst den Tee serviert, und sich dann wieder zurückgezogen.
Und während von Ballenstedts Blick über die grossen, schlanken Blumenmuster glitt, die sich in zartfarbigen Linien von dem tiefen Oliveton der mit englischem Samt bezogenen Möbel abhoben, war er anfänglich nur schwer imstande gewesen, seine Befangenheit zu verbergen. Das Licht quoll so träumerisch sanft unter den Seidenfransen des merkwürdig geformten Lüstres hervor, ein kleines Seidenäffchen hockte in der grünlichen Dämmerung des Kamins auf seiner Stange und knabberte mit den scharfen Zähnen an einer Nuss.
Wie einmal eine längere Gesprächspause eintrat, glaubte der Leutnant die junge Frau heftiger als sonst atmen zu hören.
Es war still, so still in dem grossen Gemach, an dem allerorten die reichen Stoffe in schweren Falten zu Boden fielen, und ein Duft, ein ganz absonderliches, geradezu berauschendes Parfüm ging von der schönen Braut des Grafen Berghorst aus. Hans von Ballenstedt, der seine sonst laute Stimme diesem diskreten Raum angepasst, hatte plötzlich wieder lauter zu sprechen angefangen.
Er wollte sich mit diesen lauten Worten wehren gegen die Heimlichkeit dieses Beisammenseins und gegen die süsse, sanfte Betäubung, welche aus den Kleidern und den Händen der schönen Frau auf ihn einzuströmen schien.
Gerade wie jetzt hatte er auch damals nicht gewagt, sein Gegenüber lange anzusehen. In den nachtleuchtenden Augen lag etwas, worüber sein naives Gemüt sich nicht klar zu werden getraute. Er fand sie schön und entzückend, aber der Gedanke, dass da ein Liebesbaum sich über ihm wölbte, dessen reife Frucht er nur zu pflücken brauchte — der Gedanke war ihm nicht gekommen ...
„Ich hoffe, dass Sie mir dann Gelegenheit geben werden, unsere zwar noch neue, aber doch so reizend begonnene Bekanntschaft fortzusetzen ... ich lade Sie heute schon ein, uns recht oft zu besuchen! ... Nicht wahr, Herr Leutnant, Sie werden meiner Aufforderung Folge geben?“
Hans von Ballenstedt verneigte sich tief.
Aber wenn er hätte wiederholen sollen, was die Gräfin Berghorst soeben zu ihm gesprochen hatte, so wäre er in Verlegenheit geraten.
Jenes eigentümlich helle, glockenhelle Lachen, das ihm am heutigen Tage schon so oft ins Ohr geklungen, war in diesem Moment wieder laut geworden und, ob er wollte oder nicht, Hans von Ballenstedt musste hinübersehen zu der kleinen Elfe, die so kindlich lachte, deren Augen so rein und unschuldig blickten und die ihrer Tante, der Gräfin Maria Anna von Berghorst, trotzdem so ähnlich sah.
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