Dann empfahl er sich, als vollendeter Weltmann, den Zylinder in eleganter Pose etwas seitwärts haltend.
Aber während die Gesellschafterin bereits vorausschritt, beugte sich, schon im Gehen, die Gräfin noch einmal leicht zurück und sagte, nur für ihren Gatten hörbar:
„Wenn ich Ihnen noch einen Rat geben darf, mein Lieber, hüten Sie sich vor den Karten!“
Graf Berghorst schnitt eine Grimasse, als habe jemand sein vornehmstes Hühnerauge mit dem Stiefelabsatz in Berührung gebracht; dann drehte er sich, die rechte Gesichtshälfte zusammenkneifend und so das grosse Monokel ins linke Auge bringend, kurz um und schritt dem Ausgange zu.
Als die Gräfin neben ihrer Gesellschafterin über den Vorplatz schritt, um auf den Bahnsteig des Pariser Zuges zu gelangen, blieb sie einen Augenblick stehen.
Ihre Augen richteten sich auf einen Menschen, der ihr entgegenkam und vor dem sie, da auch sein Blick sie stark fixierte, mit einer instinktiven Gebärde den Schleier ihres Reisehütchens herunterliess.
Die grosse, in schlechter, abgerissener Kleidung steckende Gestalt dieses Mannes hatte wenig Vertrauenerweckendes.
Der finstere, schwarzbärtige Kopf, in dem die Augen so unruhig hin und her flogen, war auffällig klein und trug auf dem dunklen, kurzgeschorenen Haar eine sogenannte Wolkenschiebermütze.
Der Mann hatte eine Reisetasche aus schwarzem, abgerissenen Wachstuch in der Hand und schien auf dem anderen Bahnsteig, auf dem ebenfalls ein Zug hielt, fortfahren zu wollen.
Auch er hatte beim Anblick der Gräfin Berghorst, wie elektrisiert, den Schritt verhalten; als aber Maria Anna, einem leichten Ruck von der Hand der Gesellschafterin nachgebend, schnell weiterging, bewegte sich auch jener Mensch, wenn auch zögernd, vorwärts, und obgleich er sich mehrfach nach ihnen umsah, so hatten doch die beiden Frauen in wenigen Sekunden den Bahnsteig betreten und waren hinter dem dessen rechte Seite flankierenden Zuge verschwunden.
Als die Damen in einem Kupee erster Klasse sassen, das der Schaffner zum Dank für ein gutes Trinkgeld, solange wie es irgend anginge, für sie zu reservieren versprochen hatte, da fragte die Gesellschafterin, in deren erblassten Zügen noch immer ein ungläubiges Staunen und Erschrecken lag:
„War er’s denn wirklich, Marie?“
Die Gräfin nickte.
„Ja, da ist kein Zweifel, das war Fred Hunter!“
„Und glaubst du, dass er uns erkannt hat?“
„Sicherlich.“
Danach versank die Gräfin wieder in das Brüten, das sie in ernsten Lebensmomenten stets überfiel.
Und indem an ihrem umfassenden Geiste die Bilder ihres Lebens schnell vorüberzogen, mass sie die Entfernung zwischen ihnen ab, die Möglichkeiten, die das Einst und Jetzt miteinander zusammenstossen lassen konnten ....
Aber soviel sie sich mühte, die Erinnerungen, die so drohend sich herandrängten, zurückzustossen — sie bannte sie nicht, die schweren, schwarzen Wolken, die aus der Vergangenheit heraufzogen, und die ihre dunklen Schatten über den goldenen Strom warfen, an dem jetzt ihr Dasein blühte.
„Na, Herr Graf, wie ist es denn nun mit dem Provisiönchen?“
Graf Berghorst drehte sich um und sah bei dem ungewissen Licht der Laternen in das finnige und von einer rötlichen Bartfrese umrahmte Gesicht des Herrn Kretschmar, jenes Agenten, der ihm in Gemeinschaft mit noch zwei anderen Personen die Heirat mit Maria Anna Petersen vermittelt hatte.
Und gleichzeitig tauchten hinter diesem Herrn noch zwei andere Personen auf.
Eine etwas korpulente Frau im mit Pelz besetzten Seidenplüschmantel und mit einem schwarzen Federhut auf dem Kopf, dessen herabgelassener, dichter, weisser Schleier ihr Gesicht verdeckte. Und ein Mann im schwarzen Hohenzollernmantel, eine grosse deutsche Reckengestalt, mit langem, blondem Vollbart und den blauen Augen der alten Germanen, die allerdings ein wenig unsicher und vom Trinken gerötet schienen.
Graf Berghorst war förmlich zurückgeprallt bei dem plötzlichen Erscheinen dieser drei Leute, die ihm hier offenbar ebenso unerwartet als unerwünscht kamen.
Aber sofort erwachte in dem Aristokraten der hochmütige Stolz, der seiner Rasse stets zu Gebote steht, wo es sich um einen Konflikt mit niederstehenden Personen handelt.
Er trat einen Schritt zurück und fragte mit eisiger Stimme:
„Weshalb, wenn ich fragen darf, lauern Sie mir hier auf, halten Sie mich am Ende für Ihresgleichen?“
„Wie meinen Sie das, liebster Graf?“ meinte der Rotbärtige, dessen schmallippigen Mund ein höhnisches Lächeln umspielte.
„Wenn es Sie danach verlangt, will ich Ihnen die Erklärung nicht vorenthalten, Herrrr!“
Graf Berghorst erregte sich sichtlich, indem er mit diesem schon seinem Äusseren nach perfiden Menschen sprach.
„Bitte, bitte, genieren Sie sich gar nicht, Verehrter!“ höhnte letzterer weiter.
Aber nun legte sich der grosse, blonde Herr im schwarzen Kragenmantel ins Mittel und sagte:
„Lassen Sie doch Ihre spitzen Redensarten, Kretschmar, der Herr Graf wird es uns gewiss nicht übelnehmen, dass wir ihn hier erwartet haben ... mein Gott, jeder will doch sein Heu so bald wie möglich einbringen ... nicht wahr, Herr Graf?“
Er wandte sich mit einer chevaleresken Verbeugung an den Aristokraten.
„Sie verdenken es uns nicht, dass wir Sie bitten wollten, uns heute noch die Heiratsprovision auszuzahlen?“
„Jawohl,“ fiel jetzt die Dame ein.
„Darum wollten wir alle drei den Herrn Grafen ganz ergebenst gebeten haben. Denn erstens sind da die Vorschüsse, die wir dem Herrn Grafen verschafft haben und für die wir doch auch wieder haften müssen ... und dann hat uns die Zusammenbringung dieser Partie auch wirklich viel Mühe und noch mehr Unkosten gemacht ... schliesslich, nicht wahr, jeder Arbeiter ist doch seines Lohnes wert!“
Dem Grafen stieg der Ekel bis in die Kehle hinauf ... Das waren die Aasgeier, die auf seiner toten Ehre sassen und sich an ihr mästeten ... Er sah den Kretschmar an, der sich jetzt still verhielt, dessen bleiches, argwöhnisches Gesicht aber gespannt an jeder seiner Bewegungen hing, und er sah ein, dass er nichts Besseres tun könne, als so rasch wie möglich die Forderung dieser Leute zu befriedigen und sich ihrer Gesellschaft zu entziehen.
Wenn ihm jetzt einer seiner Bekannten begegnete! ... Welch eine Unvorsichtigkeit war es, sich mit diesen anrüchigen Leuten, die gewiss auch noch anderen ausser ihm bekannt waren, auf offener Strasse in lange Auseinandersetzungen einzulassen! Er suchte und fand eine Kaleschendroschke, die Raum für vier Personen bot.
Und die Herrschaften liessen sich denn auch nicht lange nötigen und stiegen ein.
Er selbst nahm unter dem hochgeschlagenen Rückverdeck Platz, so dass ihm jemand aus seinen Kreisen, der etwa vorüberging, nicht sehen konnte. Dem Kutscher hatte er zugerufen:
„Nach der Ackerstrasse 216!“
„Wieso nach der Ackerstrasse?“ fragte der misstrauische Agent.
„Ich habe dort etwas zu tun,“ erwiderte der Graf kurz.
„Na, aber ...“
Der Rotbärtige hatte etwas entgegnen wollen, überlegte es sich jedoch und fragte:
„Haben Sie denn das Geld, Herr Graf?“
„Ja, in einem Scheck.“
„Ach ’n Scheck! ...“ sagte die dicke Frau, die Leonore Tuto hiess und sich offiziell mit Heiratsvermittelungen befasste, während über ihre inoffiziellen Geschäfte niemand so recht orientiert war.
„Ein Scheck! ... Da sind wir ja noch so klug wie vorher ... heute ist doch keine Bank mehr offen!“
„Lassen Sie das nur,“ meinte der grosse Blonde — sein Name war Traugott Casparius, und er hatte sich als verkrachter Rittergutsbesitzer auf sogenannte Agenturgeschäfte gelegt, das heisst, er machte Hypotheken und Versicherungen, akquirierte auch Inserate und war, wie es hiess, wenig wählerisch in der Art der Unternehmungen, denen er seine Kräfte widmete.
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