Und sie hatte eine Art, zu sprechen und sich zu geben, wegen deren man sie allein schon lieben musste. So ohne einen Schatten von Falschheit und Arg war jede ihrer Mienen, das ganze Gesicht strahlte bei einer scherzhaften Bemerkung ihres Tischnachbars, und in der unbewussten Koketterie, mit der sie dann ihr Köpfchen wie im leisen Zweifel seitwärts neigte, lag ein Charme, eine Anmut, — selbst ein Zyniker hätte sich dieser lieblichen, unschuldigen Jugend beugen müssen.
Sicherlich war Luzie Petersen ihrem Empfinden nach noch ein Kind. Aber mochte es in der Rasse liegen, oder war der Reichtum und die immer gleich gute Pflege daran schuld, diese Kindesseele steckte in einem Körper, der wie eine kräftig entwickelte Blumenknospe all seine zarten Reize soeben zu enthüllen begann.
Ihr kleiner Erdbeermund stand nicht still, und das Gefühl eines stillen Neides beschlich den Leutnant darüber, dass er nicht an der Stelle des geschniegelten Referendars sass, der die kleine, in seegrüne Seide mit gesticktem Tüllüberwurf gekleidete Schönheit während des Diners unterhalten durfte.
Aber Hans von Ballenstedts Blicke hatten zu lange an dem zarten Profil Luzies, dessen antikes Ebenmass der hochblonde griechische Knoten vervollständigte, gehangen, als dass nicht die vor ihm sitzende Gräfin darauf aufmerksam geworden wäre.
Und indem sie sich über die Richtung seines Blickes klar wurde, ging eine merkwürdige Veränderung in ihrem brünetten Antlitz vor; die Falte zwischen den starkgezeichneten Augenbrauen verstärkte sich, die vollen, purpurroten Lippen pressten sich fest aufeinander und die dunklen Augen flogen wie Wetterstrahlen zu der Blonden hinüber, welche in nichtsahnender Fröhlichkeit mit ihrem Kavalier scherzte.
Alles das ging mit Sekundenschnelle vor sich. Als Hans von Ballenstedt sich wieder auf sich selbst und diejenige, der er gegenüberstand, besonnen hatte, als er ihr mit lächelndem Munde — unter seinem dichten, braunen Schnurrbart blitzten dabei die grossen, weissen Zähne — sagte, wie sehr er sich freue, und wie er die Zeit herbeisehne, wo er sich ihr das nächstemal vorstellen dürfe, da war auch die Gräfin Anna Maria wieder ganz die huldvolle, gütig lächelnde Weltdame, deren Mienen im Glücke der vollsten Zufriedenheit leuchteten.
Dann kamen andere, die ihren Champagnerkelch an den der neu kreierten Gräfin klingen lassen wollten.
Leutnant von Ballenstedt wurde fortgeschoben, aber ehe er wieder auf seinen Platz ging, blieb er einen Augenblick vor dem von rotgoldenen Lichtreflexen überhauchten Wandspiegel stehen, und das trotz seiner Jugend schon so ernste und männliche Gesicht bekam einen tiefzärtlichen Schein, als er im Spiegel das süsse Antlitz derjenigen lachen sah, die er heute hier zum erstenmal erblickt, und die doch sogleich sein Herz in leidenschaftliche Begeisterung hatte hoch auflodern lassen.
Vergeblich sann er, wie er bei diesem Diner, dem ein Tanz oder sonstige Festlichkeit nicht folgte, die Bekanntschaft der jungen Dame machen könnte.
Er war ihr wohl vorgestellt worden, aber bei der langen Reihe von Namen und Personen, die heute an dem jungen Mädchen vorübergezogen waren, hatte Luzie Petersen ihn wohl kaum bemerkt ... Hans von Ballenstedt lächelte über sich selbst; Tor, der er war, zu glauben, dieses schöne, reiche und vielumworbene Mädchen würde, sobald er sich nur etwas eingehender mit ihr beschäftigte, seine Neigung erwidern!
Und er wollte, wütend auf sich selbst, sich eben wieder nach der Tafel umdrehen, als eine Hand leise seine Schulter berührte und jemand flüsternd sagte:
„Ich wollte mich nur von Ihnen verabschieden, Herr Leutnant, ich gehe jetzt ...“
Es war ein Berichterstatter der „Unpolitischen Nachrichten“, ein Dr. jur., der sich der journalistischen Karriere zugewandt und den der Leutnant kannte, da er als Einjähriger bei seinem Regiment gedient hatte während der Zeit, als der jetzige Leutnant noch Fähnrich war.
Hans von Ballenstedt war konservativ erzogen und hatte bisher nicht viel von der Presse und ihren Vertretern gehalten, aber diese Bekanntschaft mit Dr. Otto Pfeiffer, in dem er einen ungewöhnlich intelligenten und gebildeten Menschen kennen lernte, hatte ihn ein wenig von seiner Ansicht abgebracht.
„Wollen Sie mich mitnehmen, lieber Doktor? ... Ich habe auch genug.“
Und indem sie scheinbar auf ihre Plätze zurückgingen, entfernten sich die beiden Herren, ohne dass ihr Weggehen in dem Hin und Her der Gäste viel bemerkt worden wäre.
Wie sie aus dem Portal des Hotels hinaustraten und in dem Dämmer des Frühlingsabends, durch das die Flammen der Laternen so hilflos blinkten, die Linden hinabgingen, schwiegen sie anfangs alle beide.
Dann räusperte sich der Offizier und sagte, wie um eine unangenehme Empfindung loszuwerden:
„Ich weiss nicht, wie ich mir das selbst erklären soll, aber für mich hat die Geschichte trotz aller Vornehmheit der Namen und Toiletten doch etwas Protzenhaftes ... oder nein, das ist nicht der richtige Ausdruck! ... und den finde ich vielleicht auch nicht ... aber ich habe das Gefühl, als sei nicht alles so, wie es sein sollte! ...“
Der Journalist wiegte seinen Kopf, dem der schwarze Henriquatre einen etwas französischen Anstrich lieh, und blies leise die Luft durch die gespitzten Lippen aus.
Der Offizier sah ihn forschend an.
„Seien Sie mal offen zu mir, Doktor, und sagen Sie, was Sie von den Leuten halten ... Ich bin seinerzeit mit dem Grafen bekannt geworden, draussen beim Rennen in Hoppegarten. Ich weiss auch, dass er viel mit Offizieren verkehrt ... und habe eigentlich nie was Ungünstiges über ihn gehört ... er soll spielen, aber das tun die Kameraden ja fast alle ... sagen Sie mal, Herr Doktor, wissen Sie was Genaueres?“
„Darf ich fragen, wie Sie mit der Gräfin bekannt geworden sind?“ fragte der Journalist statt einer Erwiderung.
„Ganz einfach, der Graf hat mich seiner Braut vorgestellt ... vor vierzehn Tagen etwa. Ich bin auf mehrfache Aufforderung zweimal dagewesen und kann nichts anderes sagen, als dass ich mich brillant unterhalten habe ...“
Hans von Ballenstedt stockte und wollte augenscheinlich noch etwas hinzusetzen, ohne dass er sich recht dazu entschliessen konnte.
Otto Pfeiffer überlegte unterdessen mit der ihm eigenen Schnelligkeit im Denken die Situation: gewiss, er wusste so manches über das neuvermählte gräfliche Paar! Aber was doch nur gerüchtweise an sein Ohr gedrungen war, hatte er ein Recht, das weiter zu erzählen? ... Wenn die Fama sich nun irrte und der in der Tat wenig schöne Handel, von dem man ihm berichtet hatte, eine Verleumdung war?
Nein, er wollte vorläufig wenigstens Stillschweigen bewahren! Erfuhr er später Näheres über die Geschichte und bewahrheitete sich das Gehörte, so war es noch immer früh genug, auch dem ihm befreundeten Leutnant, für den er ein entschiedenes Interesse hegte, davon Mitteilung zu machen und ihn vor einem Verkehr zu warnen, der seine Stellung als Offizier gefährden konnte.
Hans von Ballenstedt, der sich ebenfalls mit seinen Gedanken beschäftigte, sagte jetzt mehr von innen heraus, als in der Absicht es auszusprechen:
„Nein, das kann ich mir doch nicht denken, sie macht einen so guten, kindlich reinen Eindruck ... so sehr kann man sich nicht täuschen! ...“
„Wen meinen Sie?“ fragte der Journalist, „die Gräfin Berghorst?“
Hans von Ballenstedt schüttelte energisch den Kopf.
„Nein, nein, ihre Nichte ... das blonde junge Mädchen im grünen Tüllkleide, das links von Ihnen neben dem Referendar Lessen sass.“
Der Journalist war zart genug, den jungen Offizier, der sich in einiger Verlegenheit befand, in diesem Moment nicht anzusehen.
Sie wechselten dann noch einige allgemeine Redensarten; plötzlich aber blieb der Gardeleutnant stehen, drückte seinem Begleiter freundschaftlich die Hand und empfahl sich.
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