„Lassen Sie nur, Frau Tuto, Herr Kretschmar und ich, wir kennen jemand, der uns auch heute abend noch den Scheck honoriert ... denn, nicht wahr, Herr Graf, Ihnen liegt doch auch daran, heute noch Geld zu sehen ... und auf einhundert Märkchen wird’s Ihnen dafür gewiss nicht ankommen?“
Graf Berghorst neigte zustimmend sein zweiunddreissigjähriges Haupt, dessen Haare von so manchem Sturm bereits stark gelichtet waren.
Und während er einige Worte an den früheren Gutsbesitzer richtete, der ihm aus jener Periode her vom Spieltisch bekannt war, wo Herr Casparius, wie er selbst sagte, den schönsten Teil seines Lebens zugebracht und den grössten Teil seines Rittergutes gelassen hatte — meinte der rothaarige Agent, dessen Stimme allein schon den Grafen in nervöse Unruhe versetzte, so leise, als spräche er zu sich selbst:
„Wenn ich nur wüsste, was der Herr Graf in der Ackerstrasse will!“
Der Graf überhörte das absichtlich.
Doch der Agent fuhr, in der offenbaren Absicht, von Berghorst zu einer Antwort zu reizen, fort:
„Wir haben doch wahrhaftig mehr zu tun, als dem Herrn Grafen bei seinen privaten Angelegenheiten Gesellschaft zu leisten!“
Kretschmar wandte sich dabei an die Tuto, und obwohl diese abwehrende Handbewegungen machte, setzte er hinzu:
„Ich schlage vor, wir fahren sofort nach der Fennstrasse ’raus zu Ephraim und sehen zu, dass die Geldsache sobald wie möglich in Ordnung kommt!“
Jetzt hielt der Graf nicht länger an sich, er wurde wütend.
„Nein!“ schrie er, „zum Donnerwetter, nein! Hören Sie denn nicht, was ich sage! Wir fahren nach der Ackerstrasse, und wenn Ihnen das nicht passt, so steigen Sie gefälligst aus! ... Ihre Gegenwart ist mir sowieso im höchsten Grade chokant!“
Mit dem Blick eines bösen, tückischen Tieres, aber ohne mehr als die blutlosen Lippen zu bewegen, starrte der Agent den Aristokraten an. Dieser Mensch war schlau, sehr schlau! Er wusste wohl, dass er nicht die geringste Handhabe hatte, den Grafen zu zwingen, dass dieser heute noch die Mitgiftsumme auskehrte. Deshalb schwieg er, aber in seinem Herzen schwur er dem Grafen heisse Rache und er war überzeugt, dass er früher oder später schon Gelegenheit finden würde, diesem alles mit Zinsen heimzuzahlen!
Der übrige Teil der Fahrt durch die hellen, menschenbelebten Strassen des Ostens ging fast ohne Unterhaltung vonstatten ... Diese vier Menschen hatten Wichtigeres zu tun, als zu plaudern.
Sie rechneten, wie viel für jeden von den Hunderttausend abfallen würde, und jeder, mit Ausnahme des Grafen vielleicht, hoffte den andern bei der Auszahlung übers Ohr zu hauen.
Als die Droschke in der Ackerstrasse hielt, sprang der Graf sofort leichtfüssig hinaus. Es war, als beflügele eine neue unsichtbare Gewalt seine Schritte. Aber er war kaum in dem matt erleuchteten Torweg des Hauses verschwunden, als auch schon der Agent die Droschke verliess mit den Worten:
„Vor allen Dingen werd’ ich mal untersuchen, ob das Haus auch nicht etwa einen zweiten Ausgang hat!“
III. Ein Kind des Volkes.
Atemlos, ein Rot der Hast und der inneren Erregung auf den sonst so aristokratisch farblosen Wangen, langte Graf Berghorst im vierten Stocke an.
Noch zitterten die Wogen des Unmuts über das Benehmen dieses Menschen da unten in der Droschke in ihm nach, den er viel zu sehr verachtete, um ihn zu fürchten.
Aber der Graf hatte nur nötig, an eine Tür zu klopfen und, als ihm geöffnet wurde, über eine Schwelle zu treten, um alles, alles zu vergessen, was ihn störte und bedrückte.
Mehr als dreissig Jahre waren vergangen, ohne dass es der Liebe gelungen wäre, dieses stolze Männerherz zu bezwingen!
Graf Berghorst wusste wohl, dass Frauenschönheit und Frauengunst dem Manne süss sei: durch braune, blonde und schwarze Locken war seine schmalfingrige Hand geglitten und in mancherlei Mundarten hatten rote Lippen ihm zugeflüstert:
„Ich liebe dich!“
Aber nie hatten solche Geständnisse und Liebkosungen sein Herz mehr als einen flüchtigen Augenblick schneller schlagen lassen.
Vielleicht hatte er das nicht gefunden, was die Leidenschaft in seinem Herzen ausgelöst hätte. Es war auch wohl möglich, dass das Spiel all seine Empfindungen und Gedanken so sehr in Anspruch nahm, dass nicht viel für Amors sanfte Triebe übrigblieb.
Und ihm, der den Luxus so selbstverständlich fand, dem ein Leben, das nicht mit allem Komfort des Reichtums umgeben war, ungeniessbar erschienen wäre — diesem Manne, der die seltensten Treibhauspflanzen kaum beachtete, war es vorbehalten, von einer Heckenrose so gefesselt zu werden, dass es ihn festhielt mit tausend Klammern, dass er niedersank vor ihr und mit scheuem Flehen um einen Blick ihrer sanften Augen, um einen Druck ihrer kleinen, arbeitharten Hände warb.
Was besass denn Käthe Wunderlich, dass sie diesen stolzen, hoffärtigen Charakter, den die eigene Mutter nie hatte bändigen können, mit einem einzigen Blick ihrer blauen Augen zur tiefsten Demut zwang?
Schön war sie doch eigentlich nicht.
Ihre blonden Flechten, die sie wie eine Krone ums Haupt gewunden trug, waren sicherlich das Allerschönste an ihr.
Ihr längliches Gesicht hatte, trotzdem ihre Arbeit sie täglich im engen Zimmer festhielt, eine frische, gesunde Farbe, und der hohe Wuchs ihres kräftigen, wohlgeformten Körpers gefiel jedem.
Aber das erklärte den tiefen Eindruck noch nicht, den sie auf den Mann ausübte, dessen Standesideale sicherlich in einer ganz anderen, viel komplizierteren Frauengattung ihre Erfüllung fanden.
Man musste mit Käthe Wunderlich sprechen, den bestrickenden Klang ihrer tiefen Altstimme hören, und man musste das seelenvolle Aufleuchten ihrer klarblauen Augen, ihres ganzen frommen Angesichts sehen, wenn sie sich an dem Gegenstand, von dem gesprochen wurde, erwärmte!
Sicherlich, ein Hauch von jenen Höhen, denen all unser Bestes immerdar zustrebt, war auch in diese einfache Menschenseele geflossen — ein Hauch, der denen entgegenwehte, die mit Käthe Wunderlich umgingen, der selbst den Verständnislosen Achtung und Bewunderung abnötigte.
Sie hatte an ihrem Arbeitstisch gesessen, als Graf Berghorst klopfte, und dorthin ging sie zurück, als sie ihm geöffnet hatte.
Auf der Platte des Tisches, über den eine einfache Schirmlampe ihr volles, gelbes Licht ergoss, lagen Seidenstreifen, schwarze und bunte von verschiedenem Muster. Daneben in einem Karton kleine blitzende, seltsam geformte Metallstückchen. Dann Schnallen, die einen blinkenden Hügel auf dem braunen Holze bildeten, und, etwas abseits in regelmässige Reihen gelegt, Herrenkrawatten zu Dutzenden.
Käthe erwarb ihr Brot mit Krawattennähen. Sie verfertigte die kleinen bunten, schwarzen und weissen Schleifen, „Diplomates“ genannt, welche die Herrenwelt unter dem Stehkragen über ihren weissen, gestärkten Chemisettes trägt.
Und da das Mädchen geschickte Hände und viel Geschmack besass, so wurde es ihr nicht schwer, sich auf eine anständige Weise zu ernähren.
Der Graf, der ihr bei seinem Kommen nur, wie einer Dame der grossen Welt, die Hand geküsst hatte, sass ihr jetzt gegenüber und sah zu, wie Käthes flinke Finger die bereits fertiggenähten Seidenstreifen zu verschieden geformten Schleifen banden, um sie alsdann mit raschen Nadelstichen zu befestigen.
Während sie dabei harmlos mit ihm plauderte, fühlte der Graf heimlich voll ängstlicher Bedrücktheit nach seinem Trauring, den er in die Westentasche gesteckt hatte.
Hier in der Nähe des angebeteten Mädchens lastete seine Verfehlung doppelt schwer auf ihm.
Dazu kam, dass er ihr heute zum ersten Male gegenüberstand als ein Mann, der seine Freiheit um schnödes Geld verkauft hatte, der im Augenblick wenigstens nicht mehr das Recht hatte, über seine Hand zu verfügen.
Читать дальше