Der Kellerwirt, der seine Leute kannte, sagte sofort:
„Det sind gewiss die Jungens, die mal sehen wollen, wat hier oben los is.“
Und wirklich tauchten gleich darauf zwei recht fragwürdige Gestalten im Halbdunkel der Treppe auf.
„Du, Aloihs!“ rief der eine mit gedämpfter Stimme.
„Wat willste denn? Bleib doch unten!“
„Die Polente a) is da! ... flebben b)!“
Und indem die beiden Galgenvögel das sagten, drückten sie sich scheu bei denen vorbei, die vor Ephraims Tür standen, und hasteten geräuschlos die Treppe hinauf; jedenfalls hatten sie Grund, eine Begegnung mit der Polizei zu meiden.
Aber schon wurden andere, festere Tritte hörbar, und nach wenigen Sekunden erschienen zwei Kriminalbeamte, von denen der eine ein Licht in der Hand trug, während der andere den Revolver schussfertig in der Rechten hielt.
Die Beamten, die wohl eine kleine Razzia über die Bodentreppe beabsichtigten, schienen nicht wenig verwundert, hier mitten in der Nacht eine Gesellschaft ihnen gänzlich unbekannter Personen zu finden.
Und zu Herrn Schmeisser, der ihnen recht gut bekannt war, gewendet, sagte der eine von ihnen:
„Na nu, Herr Wirt, hier oben sind Sie? Warum widmen Sie sich denn nicht Ihren Gästen? Ich glaube, Sie werden da unten schmerzlich vermisst ... übrigens, was machen Sie denn eigentlich hier?“
„Ich wollte die Herrschaften man bloss raufführen zu Ephraim,“ erwiderte Herr Schmeisser, und mit einem Achselzucken setzte er hinzu:
„Es macht uns aber keiner auf.“
„Und hier sehen Se mal, Herr Kommissar, hier is Blut an de Türe!“
„Na nu!“
Der Kommissar beugte sich vor.
„Wahrhaftig! Das ist Blut!“
Dann wandte er sich an seinen Kollegen
„Du! da scheint ein schwerer Fall vorzuliegen! ... Lassen Sie mal sofort einen Schlosser holen, Schmeisser!“
„Ja, Herr Kommissar, wen soll ick denn aber schicken? Ick bin doch janz alleene!“
„Wenn Sie keinen zum Schicken haben, dann gehen Sie selber! ...“
„Oder vielleicht haben Sie das gar nicht nötig; unten bei Ihnen im Keller sitzt doch sicher einer, der mit Türenaufmachen Bescheid weiss!“
Der Wirt lachte mit seiner heiseren Stimme und meinte:
„Det kann stimmen, Herr Kommissar, aber Ihnen wer’n sie’s wohl nich vormachen wollen!“
„Geh’n Sie! Geh’n Sie!“ drängte der Beamte, „die Sache sieht hier sehr ernst aus.“
Jetzt wandte sich Graf Berghorst zu seinen Begleitern:
„Sie werden doch alle einsehen, dass wir hier gänzlich überflüssig sind und heute doch nicht mehr zu unserem Ziel kommen.“
Aber Kretschmar opponierte sofort: „Wieso denn, das ist doch noch gar nicht gesagt!“
Der Graf achtete nicht auf ihn, sondern fragte, zu Casparius gewandt: „Kommen Sie mit? Ich gehe!“
Der frühere Rittergutsbesitzer schien unschlüssig. Aber seinem Zögern machten die Kriminalbeamten ein Ende, indem der, der schon vorher gesprochen hatte, sich jetzt zu der Gruppe wendend, ziemlich höflich sagte:
„Ich bedaure sehr, meine Herrschaften, aber vorläufig müssen Sie schon hierbleiben. Solange wir den Tatbestand noch nicht festgestellt haben, kann von dem Fortgehen einer beteiligten Person gar keine Rede sein.“
„Aber ich bitte Sie, Herr Kriminalkommissarius!“ rief jetzt die Tuto weinerlich, „was haben wir denn mit der Sache zu tun?“
„Das ist ganz egal,“ erwiderte der andere Beamte.
„Wer hier ist, bleibt hier, und damit basta!“
Gleich darauf kam Herr Aloys Schmeisser mit einem Schlosser, der zufällig im Hause wohnte, herauf.
„Schliessen Sie uns mal die Tür auf,“ befahl der eine Beamte.
Der Schlosser gehorchte schweigend.
Der Beamte hielt die Lampe, und als die Tür, die nach innen aufging, sich öffnete, sahen alle, die auf dem Treppenflur versammelt waren, von Grauen durchwehter Spannung in den düsteren Korridor hinein, der von altem Gerümpel so angefüllt war, dass nur ein schmaler Spalt als Durchgang freiblieb.
Aber sie bemerkten nichts Auffälliges.
Einer nach dem anderen gingen sie nun vorsichtig, nur mit den Zehen auftretend, als fürchteten sie, sich vorzeitig zu verraten, den ziemlich langen Korridor hinunter bis zu einer offen stehenden Tür, aus der ein Lichtschein glänzte.
Aber das Zimmer, das sie gleich darauf betraten, war leer, eine Lampe stand dort auf dem Tisch und nichts Verdächtiges zeigte sich den spähenden Blicken.
Es war eben die Stube eines alten Junggesellen, unwohnlich kahl und ohne viel Bequemlichkeit.
Einen Augenblick standen die Beamten, von denen der eine ein zweites dahinter befindliches Zimmer untersucht und leer gefunden hatte, überlegend. Dann gingen sie zurück, wobei ihnen Graf Berghorst und seine Gesellschaft immer folgten, und drangen jetzt erst in ein vorher übersehenes Seitengemach, das ebenfalls mit allen möglichen Gegenständen bis an die Decke vollgepfropft war und deshalb den sofortigen Überblick sehr erschwerte.
Aber auch dort war nichts Auffälliges zu bemerken.
„Wo mag er denn bloss schlafen, der Alte?“ fragte der eine Beamte.
„Na, da vorne, im grossen Zimmer,“ erwiderte der andere, „da stand ja doch das Bett!“
Und nun, als sei ihnen eine plötzliche Erleuchtung gekommen, stürzten die Beamten wieder in das Wohnzimmer, wo noch immer die Lampe auf dem Tisch brennend stand, während ihnen die vier Besucher langsam folgten.
Der rothaarige Agent, der gewiss in seinem Leben an manchen Dingen vorübergekommen war, vor denen man wohl erschrecken konnte, dieser kalte, nüchterne und mitleidlose Mensch prallte entsetzt zurück, als er, über die Schwelle tretend, die Beamten bei ihrer Arbeit sah.
Die Schutzleute hatten die rote Bettdecke und das Oberbett von dem breiten altväterlichen Bette heruntergerissen und so den Körper des alten Ephraim blossgelegt, der, von der Waffe eines Meuchlers grauenvoll zerstört, in seinem Blute schwamm.
Die nur mässig grosse, magere Gestalt des alten Mannes, dessen Gesicht den echten Typus des Hebräers zeigte, lag auf dem Rücken, und die ein wenig erhobenen Hände starrten wie die Krallen eines gepeinigten Tieres empor.
Er musste schon in seinem Bett gelegen haben, und vielleicht hatte ihn der Schlaf, jener tiefe, traumlose Schlummer des unermüdlich Tätigen, bereits umfangen, als ihn die Waffe des Mörders ins Leben traf.
Aber trotzdem schien es, als hätte ein Kampf zwischen dem Mörder und seinem Opfer stattgefunden, denn das gestreifte Baumwollhemd, das der Ermordete trug, war von dem Blute des Unglücklichen mit grossen, schwarzen Flecken besudelt und an mehrerer Stellen zerrissen.
Das Gesicht, dieses hässliche Judengesicht mit der erschreckend grossen Nase, die dem Schnabel eines Raubvogels glich, war von den Schauern eines martervollen Todes, von den Qualen der Angst und den wütenden Empfindungen des Hasses so entstellt, dass selbst die Beamten es nicht fertig bekamen, länger darauf hinzusehen.
Dieses kahle, unwohnliche Gemach, in dessen finsteren Winkel das armselige Lampenlicht nicht hineinleuchten konnte, die gelbliche Dämmerung, in der der Tote seine misshandelten Glieder racheheischend zum Himmel streckte, und die vor Entsetzen fahlen Menschengesichter umher boten ein grausiges Bild.
Graf Berghorst hatte die dicke Tuto in seinen Armen auffangen müssen, da sie von einer Ohnmacht befangen zu Boden sinken wollte.
Casparius, der auf seinem Gute wegen seiner rüden Angewohnheiten weit herum in der Gegend verschrien gewesen, fühlte sich so schwach werden, dass er auf einen am Tische stehenden Stuhl sank.
Und Graf Berghorst selbst, dem in seinem Kavaliersleben die Waffe mehr als einmal Recht verschafft hatte, wo er im Unrecht war, empfand ein Zittern, das ihm bis ins Herz drang.
Nur die beiden Beamten, zwei gewiegte Fänger, die in ihrem Dienst stumpf geworden waren gegen Gewalt und Verbrechen, schienen unberührt von den Schrecknissen einer so fürchterlichen Tat ihres Amtes zu walten.
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