Die beiden bemerken nicht, daß sie einen Zuhörer haben. Eine junge Zuhörerin.
Sie hat ein Weilchen vor ihrem halbvollen Bierglas gesessen und dem Gespräch gelauscht. Sie ist ungeschminkt, trägt ihr dunkles Haar kurzgeschnitten und ist keine Frau, die das Interesse der Männer sofort auf sich zieht. Doch hat sie auffällige Augen, einen intensiven, forschenden Blick.
Sie fragt, ob die beiden Taucher wären. Glenn und Bengt verstummen sofort. Werfen sich einen Blick zu und mustern die junge Dame.
Vielleicht nicht besonders hübsch, aber auch nicht direkt häßlich. Spannender Blick, möglicherweise lustvoll? Und ein Körper weiter unten im Dunkeln, der hoffentlich das erfüllt, was der Ausschnitt verheißt.
Noch einmal sehen sie sich an, und Bengt bestätigt, ja sicher seien sie Taucher. Ganz klar, daß sie das sind. Vielleicht dürfe er sie zu irgendwas einladen?
Sie erwidert, daß sie wegen der Arbeit zeitig raus müsse, also möchte sie nichts mehr. Bei welcher Firma, sagten sie noch, würden sie tauchen?
Bengt schlägt »Black Russian« vor, das gefällt den Weibern sonst immer.
»Ach ja?« bemerkt die junge Frau nur. »Ich bin nicht verheiratet«, sagt Bengt und lacht.
Glenn hebt seine linke Hand und schwört, daß er ebenfalls unverheiratet sei. Möchte sie vielleicht lieber einen Dry Martini?
Sie beginnen zu plaudern. Die Frau ist nett und eine gute Zuhörerin. Und sie erzählen gern. Die Geschichten haben gleich viel mehr Schwung, wenn ein Außenstehender zuhört. Aber hier handelt es sich nicht nur um Schwung, sondern um ordentliches Wirbeln und heftiges Schlingern in alle Richtungen. So ist es nun einmal beim Geschichtenerzählen, und die Frau, die sich als Ingrid vorstellt, geht mit.
Nach ein paar Bier rückt Bengt näher an sie heran und erzählt ihr im Vertrauen, daß Taucher die besten Liebhaber seien.
Ingrid lacht überrascht und fragt, ob es Messungen gebe, wissenschaftliche Beweise für eine solche Behauptung.
»So was mißt man nicht«, flüstert Bengt und geht noch mehr auf Tuchfühlung, »so was muß man erleben. Divers do it deeper!«
Ingrid zuckt zurück. Glenn packt Bengt an der Schulter und zieht ihn weg, entschuldigt den Kollegen, er habe wohl zuviel getrunken. Doch er selbst sei ganz klar im Kopf. Er weiß, was er tut.
»Ach ja?« Ingrid lacht erneut. Glenn schaut sie verlangend an. Bengt schlägt mit dem Kopf auf den Tresen.
Vor dem Gebäude der Hubschrauberabfertigung auf dem Flughafen von Stavanger ist es grau und ungemütlich. Der Wind, der vom Meer weht, bringt einen flauen Geruch mit von vermoderndem Tang.
Flau fühlen sich auch Glenn und Bengt, als sie aus dem Taxi steigen und auf den Eingang zutrotten.
Vor ihnen läuft Ian mit federnden Schritten, heute ist er ausgeruht und frisch nach einer ungestörten Nacht im Hotel. Er war im ersten Morgengrauen aufgewacht, hatte eine Anzahl Kopfschmerztabletten und sämtliche Erfrischungsgetränke der Minibar geschluckt, hatte die Sachen ausgezogen und sich wieder ins Bett gelegt. Dann hatte er bis sechs Uhr früh geschlafen und anschließend erst heiß und dann immer kälter geduscht. Daraufhin hatte er sich im Frühstücksräum eine große Ei- und Schinkenmahlzeit einverleibt und war jetzt absolut in Form.
Ganz anders seine Arbeitskollegen. Bengt hat nicht einmal das Rasieren geschafft, Glenn hat sich in den Nasenflügel geschnitten. Auch er hat ein kräftiges Frühstück verspeist, denn er weiß, was auf sie wartet. Da heißt es, ordentlich Kohlenhydrate speichern.
An der Abfertigung steht der Vertreter der Firma, autoritär und korrekt. Sankt Petrus in Hemdsärmeln und mit einer Liste in der Hand.
Als er Glenn bemerkt, hellt sich sein Gesicht auf. Sie schütteln einander die Hand und wechseln ein paar Worte. Er begrüßt auch Ian und Bengt und schielt diskret auf die Liste.
Nach dem Einchecken gehen sie zur Sicherheitskontrolle. Der Firmenvertreter begleitet sie. Weder Messer, Schußwaffen, Whiskyflaschen oder irgendwelche Drogen befinden sich in ihrem Gepäck, und da der Metalldetektor mit seinem Schweigen verkündet, daß sie auch am Körper keine Waffen tragen, verzichten die Kontrolleure darauf, sie ins Röhrchen blasen zu lassen.
Nachdem alle Absperrungen passiert sind und sie in der Abflughalle stehen, schauen sie sich dort, etwas besser aufgelegt, um, denn der Ort hat seit dem letzten Mal eine Verschönerung erfahren. Wenn die Reisenden auf den Aufruf ihrer Flüge warten, können sie jetzt nicht nur Kaffee trinken und miteinander plaudern, auch Billard spielen kann man!
Der Firmenvertreter nimmt auf einer Bank Platz, und die drei Taucher begeben sich zur Ausgabe für die Schutzanzüge.
Die Prozedur nimmt einige Zeit in Anspruch. Als sie fertig sind und unterschrieben haben, ist der Firmenvertreter zu einem der drei Abfluggates weitergegangen, er weiß offenbar, wohin sie müssen. Für Billard ist dieses Mal anscheinend keine Zeit.
Sie stellen sich zu ihm vor den kleinen Glaskäfig mit den etwa zwanzig Stühlen, wo sie in Kürze das obligatorische Sicherheitsvideo ansehen werden.
Plötzlich steht ein weiterer Mann neben ihnen, schon fix und fertig im Schutzanzug! Er ist knochig und hager, etwa fünfundvierzig Jahre alt. Sein Gesicht ist ausdruckslos, und er hält ganz ruhig ihren Blicken stand.
Glenn reagiert sofort und für die anderen völlig unerwartet. »Was zum Teufel!« zischt er und tritt einen Schritt zurück, seine Augen blitzen. Ian und Bengt sehen sich rasch an. Will Glenn auf den Neuen losgehen?
Der Mann lächelt entwaffnend, nickt Glenn kurz zu und gibt den anderen die Hand. Ian und Bengt murmeln ihre Namen. Aber der Mann stellt sich nicht mit dem eigenen Namen vor. Seinen Taufnamen könnten sie vergessen, er ist es gewöhnt, Ego Boy genannt zu werden.
»Heißt du wie das Pferd?« lacht Bengt verblüfft.
»Ego Boy war nicht nur ein Pferd. Ego Boy hat den Naturgesetzen getrotzt«, antwortet dessen Namensvetter etwas lauter als zuvor.
Als er Glenn die Hand hinstreckt, wendet sich dieser ab. – Mehrere Sekunden vergehen.
Ian und Bengt warten, wissen nicht, was sie tun, wie sie reagieren sollen. Hier gibt es etwas, das sie nicht verstehen. Feindseligkeit liegt in der Luft.
Dann geht Glenn auf den Firmenvertreter zu und sagt, man könne ihn abschreiben, er komme nicht mit.
Dem Mann bleibt der Mund offenstehen. »Du bist doch wohl unter Vertrag?« fragt er töricht. Denn niemand steht auf der Liste, wenn er nicht genau das ist, unter Vertrag, und die Gepflogenheiten sind äußerst streng, ganz besonders im Hinblick auf eventuelle rechtliche Folgen, falls nämlich jemand aus irgendeinem Grund nicht zurückkehren sollte. Obwohl damit natürlich keiner rechnet. Niemals.
Trotzdem steht Glenn jetzt hier und will dieses feine Netzwerk zerreißen. Ein Unding.
»Der Flieger geht in einer Stunde«, antwortet der Mann. »Wenn du Probleme hast, mußt du mit der Tauchleitung auf der Deep Seahorse reden. Hier haben wir feste Regeln, ich mache nur meine Arbeit, und jetzt warten wir auf ...«, er läßt seinen Finger über die Liste gleiten und findet den Namen, »I. Larsen.«
Hinten an der Sicherheitskontrolle erscheint der fünfte Taucher, ebenfalls im Schutzanzug, die Tasche lässig über die Schulter geworfen.
Das Morgenlicht, das durch die hohen Kippfenster dringt, entstellt das Bild durch Sonnenreflexe. In der mit Staub gesättigten Luft durchkreuzen leuchtende Geraden die Halle und erzeugen ein merkwürdiges Gefühl von Unwirklichkeit. In diesem Dunst nähert sich ihnen der Taucher. Sein Weg durch die nicht sehr große Halle erfordert unendlich viel Zeit, dieser fremde junge Mann – wer ist das?
Blinzelnd sehen sie ihrem zukünftigen Arbeitskollegen entgegen. Was ist an ihm?
Vor ihren Augen verwandelt sich der kleingewachsene Bursche in eine junge Frau!
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