1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 1:Wer wirbt mit dem Spruch „Wo ein Wille ist, ist auch ein Gerät“ und fordert dazu auf, den Schweinehund draußen zu lassen?
2:Wer unterstreicht die Werte „Wille, Disziplin und Fleiß“?
3:Welches Unternehmen appelliert: „Fühle den Unterschied“?
4:Wer fordert: „Mach dich wahr“?
Das erste Zitat stammt vom Fitnessstudio FitX, das zweite vom neonazistischen „Kampf der Nibelungen“, das dritte von CrunchFit und Nummer vier vom Marktführer McFit. Mit dieser Auflistung soll nicht im Geringsten angedeutet werden, all diese Unternehmen seien Neonazis. Denn das ist – mit Ausnahme des KdN – nicht der Fall. Ganz im Gegenteil werben die anderen drei Fitnessanbieter mit Schwarzen Models und CrunchFit hebt gar hervor: „Vielfalt ist oberstes Gebot – dadurch findest auch du garantiert deinen Wohlfühlraum.“ Jedoch betonen alle vier durch ihre Werbeslogans einen sehr ähnlichen Ansatz in Bezug auf Fitness und Gesundheit. Im Zentrum steht stets die individuelle Verantwortung für die eigene Leistungsfähigkeit. Es geht darum, sich selbst zu disziplinieren, zu verwirklichen und zu optimieren.
So sind die Werbeanzeigen gängiger Fitnessstudiobetreiber nicht nur ein modischer Trend, sondern Hochglanzausdruck einer tiefen politischen Neoliberalisierung – auch im Gesundheitssektor – seit den 2000er Jahren. Diese umfasst zwei zentrale Aspekte: Zum einen wird der staatliche Eingriff in den Markt auf ein Minimum reduziert, zum anderen die Ausdifferenzierung einer Gesellschaft finanziell verarbeitet: Je mehr spezifische Kundenwünsche es gibt, desto stärker reagiert der Markt mit Angeboten darauf und betont die individuelle Verantwortung, die als Kaufappell in die Werbung verarbeitet wird.
All dies täuscht über die strukturelle Ebene von Gesundheit gänzlich hinweg. Denn Studien weisen seit Jahren auf den Zusammenhang zwischen Einkommen und Ernährung, Beruf und Lebenserwartung, dem Gebrauch von Drogen sowie der sozialen Schicht, letztlich also Vermögen und Gesundheit hin. Diese politische Verschiebung von einem sozialstrukturellen zu einem individualisierten Blick geht auf die zweite Hälfte der 1990er Jahre und die 2000er Jahre zurück. Der Begriff der „Gesundheitsreform“ war ein Dauerbrenner der politischen Debatte, diskutiert wurde vor allem die Privatisierung des Gesundheitssektors, also den Verkauf öffentlicher Einrichtungen – wie Krankenhäuser – an marktwirtschaftliche Unternehmen.
Ullrich Bauer hält in seinem Text über die „Sozialen Kosten der Ökonomisierung von Gesundheit“ der Bundeszentrale für politische Bildung 2007 fest: „Privatisierung ist einerseits Ausdruck einer Intensivierung von Ökonomisierungstendenzen, die privatwirtschaftliche Gewinninteressen im Gesundheitsbereich immer deutlicher hervortreten lassen. Diese Entwicklung verweist auf Veränderungen der Versorgungsorganisation. Privatisierung steht andererseits für eine Entwicklung, durch die jedem Versicherten, Patienten oder Nutzer des Gesundheitswesens ein höheres Maß an Eigenverantwortung übertragen wird.“ Es ist kein historischer Zufall, dass der Boom der Fitnessbranche in diese Zeit fällt. Bei einigen Krankenkassen konnte die Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio als Vorsorgemaßnahme angerechnet werden.
Dabei verbinden nicht wenige Studios Angebote aus Wellness, Fitness und Kampfsport, offerieren beispielsweise Functional Boxing und Yoga. Dementsprechend schreibt das Handelsblatt über die RSG Group (benannt nach Rainer Schaller, den Gründer von McFit) und dessen Expansionspläne im Februar 2019: „Von den Billig-Butzen namens High 5 (Klientel: eher Türsteher und arbeitslose Bodybuilder) über den puristischen Klassiker McFit, die deutlich plüschigere Pop-Variante John Reed und John’s Bootcamp für die Trainings-Masochisten bis zum Yoga-Studio soll dann für jedes Haushalts-Budget und Fitness-Faible etwas Adäquates dabei sein.“ Ganz entlang neoliberaler Vermarktungshoffnungen entstehen Kundenklienten für verschiedene Teilmärkte.
In diesem breit gefächerten Markt versuchen auch Neonazis ihren Platz zu finden. Denis Kapustin – deutsch-russischer Hooligan und führender Kopf der 2008 gegründeten extrem rechten Kampfsportmarke White Rex – sagte im Interview mit der 2017 noch existierenden, ukrainischen Hooligan-Website troublemakers.com: „Meine Aufgabe ist global, ich muss alle Lebensbereiche eines modernen Menschen abdecken. White Rex ist eine alternative Lebenseinstellung, die ich zu 100 % schaffen möchte. Mit Kleidung, Turnieren, Sportnahrung und Fitnessstudios.“ Und er appelliert an seine Kundschaft: „Du musst selbst gesünder und stärker werden.“ Zu seinem Geschäftsnetzwerk zählt auch PPDM Straight Edge, die Kraft-sportsektion in der russischen Neonaziszene, sowie das Label Vandals – Wanderer Division, das den Part Outdoor und Naturabenteuer abdeckt. Dabei wird auch Wandern und Klettern zu einer quasi-militärischen Disziplin erklärt.
Kapustin hat somit eine Strategie formuliert, die extrem rechte Szenen auf lokaler bzw. regionaler Ebene umsetzen. So sind aus der Cottbusser Hooligan-Szene heraus nicht nur Kleidungsgeschäfte und Sportmarken wie Black Legion, sondern auch mehrere Kampfsportgyms und Fitness-studios, ein Anbieter für Outdoor-Survivaltrips sowie ein Vertrieb für Nahrungsergänzungsmittel und Proteine entstanden. Man hat sich im gesamten Sektor etabliert und eigene Geschäftszweige aufgebaut, um die nationalsozialistische Komplettausrüstung zu liefern.
Zumal auch auf internationaler Ebene das Geschäft floriert: Das europäische Sponsoren- und Wirtschaftsnetzwerk des „Kampf der Nibelungen“ vertreibt seine Ware unter anderem über den Internetversand 2yt4u. Der Code hat sich in der Szene etabliert. Dort verkaufen Greifvogel Wear aus Deutschland (gegründet 2014) mit dem Slogan „Strength against the modern world“, Pride France (2013), Sva Stone aus der Ukraine (2010) und Rodobran aus Bulgarien (2018) alles von Alltagskleidung wie Mützen und T-Shirts bis Kampfsportausstattung wie Handschuhe, Mundschutz und Handtücher. Auch White Rex wurde dort lange Jahre angeboten. Jenseits dieser Homepage agieren Firmen wie Jotunheim Nutrition, das von schwedischen Neonazis betrieben wird und Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Dessen Chef trat bereits beim KdN im Ring an. Sie alle wollen ein Stück vom großen Kuchen des Fitnessbooms abbekommen und haben sich bestens in den neoliberalen Markt eingepasst.
Lokale Effekte: extrem rechter Kampfsport in Thüringen
Generell sei „Thüringen eine Blaupause für die bundesweite Entwicklung: Der Kampfsport in der extremen Rechten rekrutiert sich aus dem Hooliganismus, lernt vom RechtsRock und ist international vernetzt“, erläutert Felix Steiner. Seit 2013 arbeitet der studierte Politikwissenschaftler und Germanist bei der „Mobilen Beratung in Thüringen“ (MOBIT). Er kennt die regionale Szenerie bestens. Wir treffen uns im MOBIT-Büro, die Wände sind mit Regalen voller Fachliteratur ausgekleidet. An der Tür hängt ein Plakat der Kampagne „Runter von der Matte – Kein Handshake mit Nazis“, das über extrem rechte Kampfsportmarken aufklärt.
Die „Mobile Beratung in Thüringen“ dokumentiert extrem rechte Aktivitäten, veröffentlicht seit über zehn Jahren eine Chronik über Konzerte, Kundgebungen und das öffentliche Auftreten. Hierfür beobachten sie die sozialen Medien und Events wie Konzerte vor Ort und geben dieses Wissen an Kommunen und Schulen in ihren Beratungen weiter. In unserem Gespräch fallen des Öfteren die Namen der genannten Marken, des III. Wegs, der Hooligangruppe „Jungsturm“ sowie der einschlägigen Organisatoren des RechtsRocks.
„Die Szene in Thüringen hat sich in den letzten fünf Jahren enorm gewandelt und schnell an aktuelle Lagen angepasst“, sagt Steiner. Es gab Pediga-Nachahmer als Reaktion auf die ansteigenden Zahlen Geflüchteter 2015 – Sügida und Thügida – die stark aus der regionalen Naziszene kamen, aber auch schnell wieder eingestampft wurden. „Deren Bewegungselite ist agil und versucht, Diskurse aufzugreifen. Sie sorgen für die Kontinuität der Szene. Auch einige der zeitweise abgetauchten alten Kader der 1990er und 2000er Jahre tauchten dort wieder auf.“ Die rassistische Debatte sorgte in der Szene für das Gefühl, der Tag X nahe und es lohne sich nun wieder, stärker aktiv zu sein.
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