Robert Claus
HOOLIGANS
Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik
VERLAG DIE WERKSTATT
Der Autor
Robert Claus, Jahrgang 1983, forscht und hält Vorträge zu den Themen Fankulturen, Hooligans, Rechtsextremismus, Männlichkeiten, Soziale Bewegungen und Gewalt. Zudem ist er (Mit-)Autor der Bücher „‚Was ein rechter Mann ist‘ – Männlichkeiten im Rechtsextremismus“ (2010), „Zurück am Tatort Stadion“ (2015) und „Geschlechterverhältnisse in Fußballfanszenen“ (2016). Seit 2015 arbeitet er bei der „Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit“ (KoFaS gGmbH).
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.
ISBN 978-3-7307-0362-5
Copyright © 2017 Verlag Die Werkstatt GmbH
Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen
www.werkstatt-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten.
Satz und Gestaltung: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH, Göttingen
Inhalt
Vorwortvon Gerd Dembowski
Vorwortvon Julia Düvelsdorf
Hooligans – eine ausdifferenzierte Szene
Einleitung
40 Jahre Hooliganismus
Kurze Geschichte der Fußballgewalt in Deutschland
„Es gab viele gewaltbereite Fußballfans, aber keine organisierte Szene“
Interview mit Frank Willmann über Hooligans und Fußballgewalt in der DDR
Hooligans altern
Eine Bewegung zwischen Geschäften, Einigkeit und Spaltung
Training, Gruppenkampf und Straßengewalt
Hooligans erfinden „den Acker“
„Die Verstrickungen der polnischen Hooligans zur Mafia sind groß“
Interview mit Thomas Dudek über Hooligans in Polen, Russland und der Ukraine
Gewaltbereit und gut organisiert
Hooligans und rechte Ultras
Hooligans professionalisieren ihre Gewalt
Über Kampfsport und Mixed Martial Arts
„Mixed Martial Arts ist Sport und Event: Jede Veranstaltung braucht ihre Dramaturgie!“
Interview mit Frank Burczynski über die Entwicklung von MMA in Deutschland
Wessen Kurve?(mit Pavel Brunßen)
Hooligans und Ultras in den Fanszenen
Arbeitsfeld und Taktgeber: die Fans
Arbeit gegen Rechtsextremismus und Diskriminierung im Fußball
„Gewalt ist ein gesellschaftlich-institutionelles System“
Interview mit Narciss Göbbel
Fazit
Danksagung
Quellenverzeichnis
Vorwort
Von Gerd Dembowski
Manager für Vielfalt und Antidiskriminierung der FIFA
Der Ursprung des Fußballs europäischer Prägung ist die Gewalt. Er entsprang ihr nicht plötzlich, sondern schrittweise. Mittelalterlicher Massenfußball entstand als Reaktion auf zunehmende Selbstbeherrschung, auf sich entwickelnde Rollen und Charakterpanzer im sogenannten Zivilisationsprozess seit dem zehnten Jahrhundert. Der postmoderne Fußball wiederum, wie wir ihn heute kennen, ist domestizierte und institutionalisierte Gewalt, kontrollierte Emotion, ritualisierte Aggression – die „Überführung der Gewalt in eine Kunstform“, wie es Horst Bredekamp für den Florentiner Fußball bis 1739 treffend formuliert. Christoph Bausenwein beschreibt die Genese des Fußballspiels, den darauf begründeten Fußballsport mit seinem Appendix, den Zuschauerkulturen seit den historischen Vorformen des Fußballs, dem mittelalterlichen „Folk Football“ der britischen Inseln sowie dem auf öffentlichen Plätzen volksfestartig zelebrierten Florentiner Calcio, als ritualisiertes „Mittel der Konfliktbewältigung sesshaft gewordener Gemeinschaften“.
Im Vergleich zum mittelalterlichen Massenfußball ist die Gewalt im heutigen Fußball und in seinen Fankulturen jedoch ein Pappenstiel. Denn er war regellos, ohne Teilnehmerbegrenzung. Mit der Nacht als Halbzeit, versuchten die männlichen Bewohner des einen Stadtteils den unkaputtbaren Ball zum mitunter kilometerweit entfernten Tor des anderen Stadtteils zu bugsieren. Verbote und die parallele Entwicklung von verregelten Spielen zunächst in den besseren Gesellschaften bis hin zum heutigen Fußballsport haben die Teilnehmerzahl schrittweise verringert, die Möglichkeiten zum Ausdruck von Gewalt dezimiert. Der Zivilisationsprozess übertrug sich auf die Ballspiele, die eigentlich zu seiner Verarbeitung aufgekommen waren. Rannten, traten und schlugen die Massen früher selbst mit, wurden sie im Zuge der Entwicklung des Fußballs an den Spielfeldrand verdrängt. Doppelt entkoppelt, bildeten Menschen Zuschauerkulturen, die die versportete Gewalt auf dem Spielfeld und das Prinzip von „Wir“ gegen „die Anderen“ auf den Rängen symbolisch nachvollziehen, bis hin zu den nur noch seltenen Massengewaltphänomenen einerseits und den konstant kleinen gewaltförmigen Hooligangruppen und Teilen der Ultragruppen andererseits. Aus dem Spiel gedrängt, fand die Gewalt ihren Weg auf die Zuschauerränge oder die Zuschauertreffpunkte oder auf die Anreise zu den Spielen.
Im Laufe der Spezialisierung von Sicherheitsmaßnahmen wurde und wird Gewalt auch dort verstärkt eingedämmt. Zumindest so lange, bis Zuschauerkulturen kreativ darauf reagieren und immer wieder neu spezialisierte Nischen für gewaltförmiges Handeln entstehen. In diesen Nischen formiert sich Gewalt z. B. mittels durchdachterer Organisationsformen von kleinen oder Teilen von Zuschauergruppen, gewaltförmiger Rufe und Banneraufschriften, Social-Media-Einträgen und Videoclips, des Vertriebs von hooliganaffiner Kleidung, Fitnesstraining und zum Teil Mixed Martial Arts als Grundlage von kommerziell organisierten Hooligankämpfen.
Auch die schrittweise zugenommene Brutalisierung des Calcio Storico kann als eine spezialisierte Nische, ja sogar als offizialisierte Form der Gewaltausübung bezeichnet werden. Vier männliche Stadtteilteams mit je 27 Spielern zelebrieren diese Körperverletzung mit Ball alljährlich im Juni auf den Stadtplätzen von Florenz. Und das ungleich brutaler, als es ihre Wurzeln im 15. Jahrhundert zulassen. In einer regellosen Mischung aus Gladiatorenkampf, Massenfußball und auch Hooliganismus finden diverse historische Gewaltrepräsentationen im Calcio Storico perpetuiert wieder zueinander. Würde man die Interviews seiner Protagonisten in der 2010 erschienenen Dokumentation „Florence Fight Club“ aus dem Zusammenhang reißen, könnten sie auch ins Hooliganmilieu passen. Genauso wie die Spieler des Calcio Storico konstituieren gewalttätige Fans, Ultras und insbesondere Hooligans das, was sie gern auch mal als „alte Werte“ bezeichnen.
Diese kennzeichnen sich durch hegemonial männliche Ausformungen von trennscharfen Identitäten, ihrer Performanz, ihrer unmissverständlichen Manifestation, ihrer konstant wiederkehrenden Repräsentanz. Bestandteile davon sind die Selbstbestimmung in einem imaginierten Freiraum und stets flexible Aushandlungsprozesse zwischen Individuen und Kollektiven. Auffallend ist das Bedürfnis nach Gruppenidentitäten mit einem deutlichen „Wir“ hier und „die Anderen“ dort, nach sozialmächtigen wie personenfixierten Hackordnungen, nach Pejorisierung und Diskriminierung als Abgrenzungstechniken. Es geht um ein Patchwork aus Autoritarismus, „Destruktivität und Zynismus“ und „Projektivität“ (Theodor W. Adorno), territorialem – häufig weißem – Überlegenheitsdenken und Sozialdarwinismus, soldatischem Kämpferideal, Sozialchauvinismus, Antiintellektualismus, Überdrehung kapitalistisch geprägter Ellenbogenmentalität und einer entsprechenden, auf Selbstbeweisung angelegten Körperfokussierung. Die sich so konstituierenden „alten Werte“ beinhalten und zelebrieren symbolisch wie physisch immer die Akzeptanz von Gewalt. Doch genug mit diesem Begriffsgeschwader.
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