Walter schüttelt erstaunt den Kopf. „Warum sollte ich?“
Ragna macht sich am Tisch zu schaffen und vermeidet es, ihn anzusehen. „Nun, ich dachte ... Nielsen-Kjelderup soll kein besonders sympathischer Mann sein. Man spricht davon, daß er den Häusler Asmus Bent zuschanden geschlagen haben soll.“
Walter verteidigt seinen Hausvater und erzählt ausführlich, was er über den Streit weiß. Eine Weile hört Ragna mit untergeschlagenen Armen ruhig zu, dann unterbricht sie ihn plötzlich:
„Sie nennen so oft Karen Nielsen, Münk. Gefällt sie Ihnen so sehr?“
„Karen ist ein gutes, liebes Mädchen,“ sagt Walter ruhig, aber er weiß selbst nicht, daß in seinen Augen dabei ein stilles Leuchten steht. Ragnas Lippen werden schmal, der fröhliche Schimmer in ihren Augen erlischt langsam.
„Ich glaube, Sie lieben Karen Nielsen.“
Verwundert sieht Walter auf. Der Ton klang so kalt und hart. Er will vorsichtig abstreiten, aber Ragna macht nur eine unwillige Handbewegung. „Vielleicht wissen Sie es selbst noch nicht genau, Münk, aber ich sehe es kommen: Sie werden sich in Karen Nielsen verlieben, und das tut mir leid für Sie, denn es wird Ihnen kein Glück bringen.“
So kalt ist die Stimme, daß Walter alle Vorsicht vergißt und sich offen zur Wehr setzt. „Wäre das ein Unglück, Karen Nielsen zu lieben, Fräulein Ragna?“
„Sie mag ein gutes Mädchen sein,“ sagt Ragna nachdenklich, „aber sie gehört zum Kjelderuphof, Münk. Liebe zu den Leuten vom Kjelderuphof bringt kein Glück. Aber lassen wir das. Kommen Sie mit hinunter zu Jens Jörring! Es gibt Heringe in Zwiebeltunke heut abend.“
Jens Jörrings Abendtisch ist eine lange Tafel. Außer ihm selbst und Frau Anker, der ewig geschäftigen, ewig lustigen Haushälterin, sind noch acht junge Höjrisschüler und -schülerinnen da. Die jungen Leute reden bedachtsam und verständig mit Jens Jörring über allerlei landwirtschaftliche Fragen, sachlich und ohne Scheu, wie Bauern mit einem Bauer reden, bis das Gespräch langsam übergleitet auf Gebiete, die das ganze Land berühren: brennende Probleme der Politik und des geistigen Lebens. Zum Schluß, als der Tisch abgeräumt und der Tabak verqualmt ist, gibt’s noch ein paar gemeinsame Lieder:
„Weißt du noch? Im Sommer!
Wir kehrten vom Felde heim.
Da wandtest du mir entgegen
Fragend die Äugelein.
Da wurde mir mit einmal klar,
Wie blind bisher ich war.
Sag mir, kleine Karen,
Was meintest du da?“
singen sie ungekünstelt und einstimmig in der Tischrunde. Einmal während des Liedes fühlt Walter den Blick Ragna Hvids auf sich ruhen mit einem so sonderbar ernsten, fast traurigen Ausdruck, daß ihm langsam eine Röte der Verlegenheit ins Gesicht steigt. Und noch eine andere Entdeckung macht er an diesem Abend. Jens Jörring liebt Ragna Hvid. Der junge Lehrer sagt und tut eigentlich nichts, was zu dieser Vermutung berechtigte. Er ist ruhig, heiter und freundlich wie immer. Aber manchmal, wenn Ragna Hvids Blick in einer anderen Richtung geht, ruhen seine Augen so sinnend auf ihrem Profil, und ein warmer, stiller Schein steht in ihnen. Vielleicht merken es die andern wirklich nicht, aber Walter Münch ist hellsichtig geworden in solchen Dingen seit einiger Zeit. Er hat das bestimmte Gefühl: So und nicht anders müssen deine eigenen Augen aussehen, wenn du Karen anblickst. Jens Jörring und Ragna Hvid! Irgendwie stimmt ihn diese Entdeckung fröhlich. Ragna ist immer so ernst. Erst vorhin, als sie das Lied von der kleinen Karen sangen, war fast ein trauriger Vorwurf in dem Blick, mit dem sie ihn ansah. Aber wenn Jens Jörring sie liebt, dann wird ja auch für sie alles gut werden. Denn Jens Jörring thront in Walters Bewußtsein als etwas Außergewöhnliches. Er kann sich nicht vorstellen, daß ein Mädchen nicht glücklich werden sollte an der Seite dieses tüchtigen, klugen und gütigen Mannes.
„’n Abend, gute Leute! Ein armer Wandersmann ...“
„Pille! Hurra, Pille!“
Ein fröhlicher Aufruhr entsteht am Tisch. Die jungen Leute winken lachend der Gestalt zu, die plötzlich klein und verborgen in der Tür steht. Wie „Pille“ eigentlich heißt, weiß niemand recht. Er ist eben „Pille“, ein Landstreicher, ein „Monarch“, den jedermann hier in der Gegend kennt. Auch Jens Jörring lächelt dem Mann freundlich zu. „Komm nur herein, Pille! Frau Anker wird noch eine Tasse Kaffee für dich übrig haben.“
Aber Pille ist heute obenauf. Er tritt zwar in die Stube und zieht die Tür hinter sich zu, aber seine breite, nicht ganz saubere Hand malt mit großer Geste eine Bewegung des Abscheus.
„Keinen Kaffee, Jens Jörring. Aber wenn Sie einen kleinen Schnaps hätten — hähä! Also das heißt: Sehr klein braucht er nicht zu sein!“
Pilles Äuglein glänzen verdächtig. Jens Jörring zwinkert seiner Haushälterin, die sich empört erhoben hat, beruhigend zu und mustert den Landstreicher mit angenommenem Ernst.
„Dir scheint es ja heute gut zu gehen, Pille.“
„Sehr gut, Jens Jörring,“ bestätigt der „Monarch“ gravitätisch. „Viehhändler Thomsen ist ein feiner Mann. Hat ein Herz für arme Leute. Vier ausgewachsene Schnäpse! Dazu noch zwei bei Bauer Handelund und einen tüchtigen Schluck von den polnischen Arbeitern im Eslevhof. Hähä! Wollte nur guten Abend wünschen hier in Höjris, so im Vorübergehen, seine Freunde soll man auch in guten Tagen nicht vernachlässigen, Jens Jörring. Hähähä!“
„Der hat heute geladen!“ Die jungen Leute am Tisch biegen sich vor Lachen. Jens Jörring behält sein gütiges Gesicht. „Wenn du dich ausschlafen willst, Pille, so kennst du ja die kleine Kammer hinten neben dem Geräteschuppen. Da ist immer ein guter Strohsack für dich.“
„Bemühen Sie sich nicht, Jens Jörring! Ich bin gar nicht müde.“ Pille macht einen mißlungenen Versuch, seine etwas wackligen kurzen Beine in die Gewalt zu bekommen. „Man muß einen guten Tag ausnutzen. Jetzt gehe ich noch zum Kjelderuphof hinüber und spreche ein paar passende Worte mit Poul Nielsen. Wünsche einen recht angenehmen Abend allerseits.“ Pille läßt seine schnapsfrohen Äuglein befriedigt über die lachenden Gesichter der Tischrunde schweifen, stülpt seinen speckigen Beulenhut auf den zerzausten grauen Haarschopf und stolziert in leidlich grader Richtung zur Tür hinaus.
„Poul Nielsen kann keine betrunkenen Leute leiden,“ sagt Jens Jörring ernst in das schallende Gelächter der Jungen. „Man sollte Pille davon abhalten, heute zum Kjelderuphof zu gehen.“
Walter ist derselben Ansicht. Poul Nielsens Stimmung ist in diesen Tagen nicht besonders gut. Wenn ihm dazu jetzt noch der nach Fusel duftende, geschwätzige Vagabund in die Quere kommt, kann es leicht einen Streit geben, der für Pille übel auslaufen könnte. Björn, der Hofhund von Kjelderup, ist eine bösartige Bestie.
„Ich muß jetzt ohnehin nach Hause,“ sagt Walter und zwängt sich zwischen Bank und Tisch hindurch. „Ich werde den Mann überreden, nicht nach Kjelderup zu gehen.“
„Das ist recht, Münk.“ Jens Jörring drückt dem Gast die Hand. „Und kommen Sie bald wieder zu uns nach Höjris!“
Auch die andern jungen Leute verabschieden sich. Jens Jörring und Ragna Hvid geben ihnen das Geleit bis an die Gartentür, stehen noch eine Weile dort und sehen ihnen nach. Links, auf dem breiten Weg, der zu den benachbarten Gehöften führt, verschwinden die lustig plaudernden jungen Leute rasch im Abenddunkel. Die Gestalt Walters, der rasch auf dem schmalen Feldweg in der Richtung auf Kjelderup zu dahinschreitet, hebt sich noch lange Zeit scharf gegen den helleren westlichen Himmel ab. Jörring und Ragna sehen deut lieh, wie er den dahintorkelnden Pille einholt, seinen eigenen Schritt verlangsamt und augenscheinlich lebhaft auf den Landstreicher einspricht.
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