1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Sabina stand mit dem Rasierer bereit. Spreu hatte sich wie eine Puderschicht auf ihre Haut gelegt. Der Reißverschluss des Overalls hatte sich ein wenig geöffnet, und er entdeckte ein Schmuckstück darunter, das auf ihren Brüsten glänzte, zwei goldene, verschränkte Hände. Er hatte die Kette nie zuvor an ihr gesehen, sie kam ihm eigentlich nicht wie der Typ Frau vor, der regelmäßig Schmuck trug. Auch sie trug nun eine Mütze über dem Kopftuch. Das war notwendig, um sich vor den schmutzigen und wedelnden Schwänzen zu schützen. Er selbst war von einem Schwanz getroffen worden, als er für einen Moment die Mütze abgenommen hatte. Es hatte ordentlich wehgetan, und ihm waren Tränen in die Augen gestiegen. Außerdem waren seine Haare jetzt voller Dreck.
»Pass auf«, sagte Sabina. »Der Süße hier ist schon ganz gierig.«
Der große Kopf war fast schon draußen, blieb jedoch mit einem Horn hängen, die Zunge schob sich heraus und wurde lang gestreckt. Tobias hob die Hand mit dem Heubüschel, lockte und hielt es ihm an unterschiedlichen Stellen hin, bis schließlich beide Hörner durch die Lücke waren. Schnell schob Sabina das Gitter vor und schloss ab. Das Tier muhte verblüfft, fand sich dann jedoch mit seiner Lage ab und begann mit seinen stumpfen mahlenden Kiefern genüsslich zu kauen. Tobias streckte die Finger aus und kraulte es zwischen den Hörnern.
»Der Stecker scheint raus zu sein, kannst du mal nachsehen!«, rief Sabina, und er bückte sich und steckte ihn wieder ein. Schweiß lief ihr übers Gesicht, der Staub hatte Streifen hinterlassen.
Nachdem der Ochse nun an seinem Platz war, konnte sie seine Beine und seinen Hinterkörper, Schwanz und Bauch rasieren, und die Haare fielen wie leichte Schalen und breiteten sich auf dem mit Spalten durchsetzten Boden aus, wurden von den Hufen platt getrampelt, verdreckt. Der Vorgang schien das Tier nicht zu stören, ihm nicht wehzutun, es nicht einmal zu kitzeln. Tobias beobachtete Sabinas Hände, die braun, rund, unheimlich kräftig waren.
Vor seinem inneren Auge tauchte ein Bild auf.
Wie sein Vater und sie.
Nein.
Er blinzelte es weg.
Der Ochse war jetzt fertig rasiert. Tobias ließ ihm eine Dusche mit Schweineplus zuteil werden, der roten Signalfarbe, die auch benutzt wurde, um die gedeckten Säue zu markieren. Da scheute das Tier und bekam Angst, obwohl es die eigentliche Prozedur schon überstanden hatte.
»Dummkopf«, schnaubte Tobias. Sabina lachte.
Sie hatte sich für ein paar Monate einen Eber ausgeliehen, der seit seiner Ankunft bereits mehr als die Hälfte der Säue gedeckt hatte. Nun schliefen sie Seite an Seite, der Eber und seine frisch begattete Geliebte. Das riesige schwarzrosa Männchen hatte ein Huf von hinten wie in einer Umarmung auf ihre Seite gelegt.
»Das musst du dir einfach ansehen«, rief er Sabina zu. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und schaute in die Box hinunter.
»Ja, das sieht wirklich süß aus. Weißt du was, den Letzten, den wir hier hatten, mussten wir am Ende schlachten. Er konnte nicht mehr, war völlig ausgebrannt.«
»Jedenfalls ein schöner Tod. Ich meine vorher.«
»Ja.«
Tobias ging ein paar Schritte den Gang hinab. Er sah in die Verschläge hinein, in denen die jüngeren Schweine wühlten. Sobald sie sechs Wochen alt waren, wurden sie von ihren Müttern getrennt. Sie waren wie freche Kleinkinder, niemals ganz leise, neugierig, aber leicht zu verängstigen. Sie fuhren hoch, hängten sich über den Rand ihres Verschlags und betrachteten ihn mit ihren seltsam menschlichen Augen. Sie erkannten ihn nicht, seine Bewegungen, seine Stimme waren ihnen fremd. Er war auf diesem Hof aufgewachsen, aber das war lange vor ihrer Zeit gewesen.
Und er war seitdem ein anderer geworden.
»Sollen wir uns den Nächsten vornehmen?«, rief Sabina.
»Okay.« Der Geruch von Ammoniak stach ihm in die Nase, und er dachte daran, dass er duschen würde. Am Abend würde er unter den Wasserstrahl treten und sich so lange schrubben, bis sich die Haut fast von seinem Körper löste. Aber das würde nur bedingt helfen.
Sein Vater hatte sie einmal in Södertälje besucht. Sein Vater und Sabina. Das war Mitte der neunziger Jahre gewesen, als auf dem Messegelände von Älvsjö irgendeine Landwirtschaftsschau stattfand. Der Alte hatte sich aus diesem Anlass einen neuen Anzug und einen dunkelblauen Mantel zugelegt.
Aber der Geruch haftete ihm trotzdem an. Sabina war damals erst kürzlich zu ihm gezogen. Sie hatte ein rotes Kleid getragen, und Tobias waren ihre Brüste aufgefallen, aber er hatte sich unmittelbar darauf dafür geschämt. Die beiden blieben über Nacht, schliefen im Schlafzimmer. Sie selbst waren in Klaras Zimmer gezogen. Görel hatte damals eine relativ gute Phase. Sie hatte einen vorzüglichen Fischauflauf gekocht und Kümmelbrot gebacken, erinnerte er sich.
Wo hatten sie Adam in der Zwischenzeit untergebracht?
Die Tiere wurden von einem Nachbarn versorgt, dem der Alte vertraute. Erik Malmfeldt. Damit war es heute vorbei, Malmfeldt hockte nach einem Schlaganfall im Altersheim.
Aber Adam?
Er drehte sich zu ihr um und sah ihre Hand mit dem Rasierapparat, der sich durch das weißbraune Fell pflügte, sah den Pelz, der in Zotteln herabfiel.
Sie schaltete das Gerät aus.
»Was meinst du, sieht das gut aus? Ist er fertig?«
»Da am Schwanz ist noch eine Ecke, aber dann reicht es bestimmt.«
Sie rasierte den letzten Rest ab.
»Du kannst ihn jetzt sprayen.«
Vorsichtig platzierte er einen Farbklecks auf der Stirn des wiederkäuenden Rinds. Das Tier hatte während der Rasur still gestanden, gekaut und gemahlen. Als Tobias nun das Gitter aufzog, kam Leben in den Ochsen. Er wich ungeschickt zurück und wäre beinahe im Kot ausgerutscht. Er machte ein paar nervöse Sprünge zurück in die Herde.
»Wie viele sind es noch?«, fragte Tobias.
»Ich weiß nicht, wir haben wohl fünf oder sechs Stück gemacht.«
Er spähte in die Herde hinein, versuchte die Farbflecken zu zählen.
»Hast du Lust auf einen Kaffee?«, fragte sie.
»Keine schlechte Idee.«
»Dann gehen wir ein bisschen rein. Ich muss ohnehin nach deinem Vater sehen.«
Deinem Vater. Nicht Carl Sigvard. Sondern deinem Vater. Als wollte sie etwas betonen, aber was? Er trat in den Gang hinaus und wäre beinahe auf eine der Stallkatzen getreten. Sie fauchte ihn an und schlich zwischen ein paar staubigen Milchkannen davon.
Gemeinsam gingen sie über den Hof. Der Raureif war mittlerweile weggeschmolzen, an der Hauswand tropfte es. Sie gingen am Hundezwinger vorbei, und Sabina ließ den Welpen Frett heraus. Eines der Elchhundweibchen hatte ihn angenommen. Der Hund lief ihnen mit wackligen Sprüngen entgegen, hockte sich dann jedoch abrupt hin und pinkelte. Tobias lachte.
»Schau mal, er pinkelt wie eine alte Tante. Hörst du, Frett, heb das Bein, du bist doch ein Junge, hast du das etwa noch nicht begriffen?«
»Er ist doch noch so klein«, meinte Sabina und hob den Welpen hoch. »Jetzt bist du aber tüchtig gewesen, Frett, ganz tüchtig!«
Während Sabina nach oben ging, setzte Tobias Kaffee auf. Er hörte ihre murmelnde Stimme im Obergeschoss, die knappen Antworten seines Vaters. Das Liegen machte ihn quengelig. Er war es einfach nicht gewöhnt, sich im Haus aufzuhalten, hilflos und plump wie ein Seehund auf dem Trockenen zu liegen.
»Komm her, lass dich mal anschauen!«
Tobias hatte sich davor gedrückt, zu ihm zu gehen, weil er keine Lust hatte, sich all den unausgesprochenen Fragen zu stellen. Es musste reichen, dass er versprochen hatte, ein paar Tage zu helfen, da nun ganz offensichtlich eine Notsituation eingetreten war. Aber er hatte nicht die geringste Lust, sich der schlechten Laune seines Vater auszusetzen.
»Komm her, lass dich mal anschauen!«
Es war weder eine Aufforderung noch eine Bitte. Es war ein Befehl.
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