Sie nickte abwesend.
»Auf den Ochsen?«
Er sah sie bejahend an.
»Dann war er verletzt?«
»Er konnte nicht stehen. Er muss sich etwas gebrochen haben, aber er lebte.«
»Wir hätten den Tierarzt holen können.«
»Ich glaube eigentlich nicht, dass es was genützt hätte.«
Eine gereizte Falte tauchte zwischen ihren Augenbrauen auf.
»Ich meine nur, dass wir so jede Menge Arbeit haben. Jetzt müssen wir uns um das Fleisch kümmern, jemand muss noch einmal zurückfahren und das erledigen. Und in den Gefriertruhen ist so gut wie kein Platz mehr. Also müssen wir versuchen, es zu verkaufen, und zwar so schnell wie möglich.«
»Ist der gute Hardy nicht ein bisschen eigenmächtig vorgegangen? Hätte er nicht erst fragen müssen, was wir wollen, was du willst? Bevor er den Ochsen erschießt.«
»Schon möglich«, erwiderte sie kurz angebunden. »Aber er wollte wahrscheinlich dem Leiden des Tieres ein Ende machen.«
»Dem Leiden ein Ende machen! Was für ein Understatement! Du hättest sehen sollen, wie er sich benommen hat. Sabina, ich mag ihn nicht. Er hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.« Tobias tippte sich mit den Fingerknöcheln an die Stirn.
»Du denkst, dass man sich einfach einen aussuchen kann«, zischte sie. »Dass es die einfachste Sache der Welt ist, gute Leute zu finden.«
»Was ist denn mit den anderen, die das Sägewerk entlassen hat? Gab es keinen normalen, anständigen Menschen unter ihnen?«
»Wir haben nun mal keinen anderen, wir haben Hardy. Er hat seine Macken, macht seine Sache aber ansonsten gut. Und außerdem kann er gut mit Adam umgehen. Er ist der Einzige, der ihn dazu bringen kann, sich wie ein normaler Mensch zu fühlen.«
»Er ist ein Sadist. Ich begreife nicht, dass du es riskierst, dich auf ihn zu verlassen!«
Sie hörte ihm gar nicht zu, sprach einfach weiter:
»Für dich ist das sicher etwas anderes. Du triffst dich mit wem du willst. Wenn du mit deinem Verleger nicht mehr zufrieden bist, gehst du eben zu einem neuen. Bei uns läuft das ein bisschen anders.«
Es piekste im Nacken, in den winzig kleinen Flaumhaaren. Tobias fröstelte. Von den Felsen kommend näherte sich Hardy, den Rucksack über die Schulter geworfen, eine brennende Zigarette in der Hand. Der Hund hatte ihn ebenfalls entdeckt, legte sich flach auf die Erde und begann sich kriechend dem Floß zu nähern. Es war ein unwirklicher Anblick.
Hardy kam an Bord. Er schnippte mit den Fingern, und der Hund schlich ihm hinterher, wimmerte und legte sich neben eines der Ölfässer.
»Was ist denn mit dem Hund?«, sagte Sabina.
»Woher soll ich das wissen«, antwortete Hardy. »Das ist doch nicht mein Hund, ich weiß nicht, was mit ihm ist.«
Sie bückte sich und streichelte den Hals des Hundes. Er leckte ihre Hand.
»Wir haben Schüsse gehört«, sagte sie.
»Ja.«
»Hast du geschossen?«
»Ja.«
»Dann war das notwendig?«
»Was soll das? Glaubst du, ich ballere ohne jeden Grund rum?«
»Das habe ich nicht gemeint.«
»Was meinst du dann?«
»Schon gut, nichts. Aber ich denke, wir werden wieder hierher zurückfahren müssen.«
»Sieht so aus.«
»Obwohl ich dazu eigentlich keine Zeit habe. Ich habe noch den ganzen Tag zu tun. Wir müssen die Tiere in ihre Boxen bringen, sie rasieren und waschen. So, wie sie im Moment aussehen, kann man sie unmöglich verkaufen.«
Sie zeigte auf die lehmverschmierten Lenden der Tiere.
»Man bekommt nichts für das Fleisch, heutzutage soll alles so verdammt sauber und piccobello sein, sonst zahlen sie einem nicht den Preis, den sie wert sind.«
Hardy lachte glucksend.
»Du hast doch einen Experten aus Stockholm, der dir helfen kann. Das wird schon klappen.«
Tobias hatte die Hände in den Taschen vergraben. Seine Finger verkrampften sich und ballten sich zu Fäusten. Erneut regte sich Zorn in ihm, wallte die Wut in ihm auf. Er hatte geglaubt, endlich gelernt zu haben, seine Gefühle im Zaum zu halten, abgeklärt zu sein, sie Schicht für Schicht übermalt zu haben, sodass er sich durch nichts beeindrucken ließ, nicht zurückschlug, es keinem heimzahlte.
Stattdessen hatte ihm das Schreiben geholfen, seine Gefühle in Worte zu kleiden, sodass sie ihm nutzten und er Geld mit ihnen verdienen konnte.
Sein letztes Buch war ein Kriminalroman gewesen, von dem sich mehr als siebentausend Exemplare verkauft hatten. Der Roman war sein Durchbruch gewesen. Endlich, nach vier Büchern mit eher bescheidenen Auflagen, hatte er es geschafft. Mittlerweile war der Krimi sogar als Taschenbuch erschienen. Er hatte sich die Ausgabe vor seiner Abreise am Zeitungskiosk angesehen und war sehr zufrieden gewesen. Die Nacht, der Titel in fetten Buchstaben, darunter dann sein eigener Name etwas kleiner und kursiv gesetzt. Tobias Elmkvist. Runde, dicke Buchstaben. Sein Name. Ganz inkognito stand er in dem Laden und genoss das Umschlagbild, die verschwommenen Scheinwerfer eines Autos, eines Taxis.
Ich habe das Buch geschrieben, das Sie da drüben stehen haben, dachte er, als er seine Zigaretten bezahlte. Aber davon habt ihr natürlich keine Ahnung, ihr kleinen Deppen.
Und wenn sie es wüssten? Als ob es sie interessieren würde!
Sabina bekam den Motor in Gang, er sprang nach ein paar Versuchen an, und sie legten mit vereinten Kräften von der Insel ab. Die Ochsen trampelten herum und übersäten den gesamten Dielenboden mit Kuhfladen, aber sie gerieten nicht in Panik.
Hardy hing über der Reling und rauchte einen Zug nach dem anderen. Er hatte seinen Hut in die Stirn gezogen. Sein Profil war scharfkantig, holzschnittartig, und die gelben Bartstoppeln waren so grob, dass man sie einzeln sehen konnte.
»Womit hast du geschossen?« Tobias musste ihn einfach fragen.
Hardy nickte in Richtung seines Rucksacks.
»Da drin ist aber doch kein Platz für einen Elchstutzen?«
»Nein, wohl kaum.«
»Du läufst also immer mit einer Waffe herum?«
»Tobias«, setzte Sabina an, verstummte jedoch gleich wieder, denn nun war ein anderes Boot auf dem See unterwegs, das einen kleinen Außenbordmotor hatte.
»Behaltet die Tiere im Auge!«, befahl sie. »Das kann Wellen geben.«
Es ging leichter als erwartet, die Herde nach Hause in den Stall zu bekommen. Die Hilfe des Hundes war dabei von unschätzbarem Wert. Jetzt waren die Ochsen im Trockenen, alle neunzehn im gleichen rechteckigen Verschlag. Sie blieben ruhig und schienen den Transport ohne Verletzungen überstanden zu haben. Der nächste Schritt bestand nun darin, sie nacheinander anzuketten und ihnen das wolligdichte Fell abzurasieren. Rinder, die in Freilandfleisch verwandelt werden sollten, durften nicht zottelig und schmutzig sein, denn dann wollte der Schlachthof sie nicht haben.
Tobias trug immer noch den Blaumann seines Vaters. Die Mütze hatte er sich von vorne aufgezogen, sein Pony nach hinten geschoben und unter ihr begraben. Die Mütze drückte an der Stirn, ließ sich jedoch nicht verstellen. Er wusste, dass er später Kopfschmerzen bekommen würde. Sie kündigten sich schon jetzt als Druckgefühl im Kopf an und warteten nur darauf, zu voller Stärke zu erblühen. Blühende Kopfschmerzen? Keine wirklich gute Metapher.
Sabina und er waren allein. Hardy war mit dem kleinen Boot wieder auf die Insel hinausgefahren, und Adam begleitete ihn. Gemeinsam würden die beiden sich um das Fleisch des toten Ochsen kümmern.
Tobias war erleichtert, nicht mehr mit Hardy konfrontiert zu sein und für eine Weile ein Timeout zu haben, wie man es vielleicht nennen konnte.
Er hielt ein Büschel Heu in der Hand, denn nun kam es darauf an, die Ochsen einen nach dem anderen anzulocken und dazu zu bringen, ihren massigen Kopf mit den Hörnern und Ohren herauszustrecken, und wenn er dann einmal draußen war, das Gitter vorzuschieben, sodass es den Kopf einschloss und festhielt. Die Tiere waren erstaunlich schlau. Man konnte sie nicht beliebig oft hereinlegen, ganz gleich, wie erpicht sie auf das trockene und duftende Heu sein mochten. Wenn es ihnen gelang zu entwischen, wenn die Hörner nicht ganz durch die Lücke kamen oder wenn sie merkten, was man mit ihnen vorhatte, musste man geraume Zeit warten, bis man wieder darauf hoffen konnte, dass sie es vergessen hatten.
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