Außerdem wurde vor allem die Frage gestellt, wer ein Stadion zu bieten hatte, das mindestens 35.000 Zuschauern Platz bot und über eine Flutlichtanlage verfügte, da die Spiele in der Anfangssaison allesamt am Samstag um 17:00 Uhr angepfiffen wurden und es im kalendarischen Winter zum Ende des Spiels durchaus schon ziemlich duster sein konnte. Außerdem sollte damals nur ein Verein pro Stadt in der höchsten Spielklasse dabei sein.
Härtefälle: Pirmasens, Neunkirchen, Hannover, Aachen
Und so gab es einige echte Härtefälle. Zum Beispiel, was den zweiten Verein aus dem Südwesten anging. Kaiserslautern hatte dank der herausragenden Persönlichkeit, dem langjährigen Spielführer der Nationalmannschaft, Fritz Walter, so viele Erfolge vorzuweisen, dass es diskussionslos gesetzt war. Aber dann hätte sportlich entweder der FK Pirmasens oder Borussia Neunkirchen eine Chance haben müssen. Stattdessen wurde es der 1. FC Saarbrücken wegen – wie es hieß – des Stadions und der sportlichen In frastruktur. Wie manch einer aber nicht nur hinter vorgehaltener Hand meinte, auch, weil eine der treibenden Kräfte Werder Bremen der neuen Liga Hermann Neuberger Eintracht Braunschweig war, der völlig überraschend aus dem Saarland kam. Eintracht Braunschweig erhielt den Vorzug vor Hannover 96, was zu einer übermäßigen Rivalität zwischen diesen beiden »Nachbarn« beigetragen hat, die bis heute nicht ausgeräumt ist. Oder der MSV Duisburg! Die Meidericher bekamen einen Startplatz – Alemannia Aachen nicht. Und das, obwohl einige Funktionäre ihre Zusage gegeben hatten, eine Aufstockung auf 18 Vereine zu beantragen, um so der Alemannia doch noch einen Platz im deutschen Fußball-Oberhaus 1. FC Saarbrücken bewilligen zu können. Als es schließlich anders kam, protestierte Aachen offiziell beim DFB. Und da auch das keine Wirkung zeigte, ging der Verein sogar vor ein Zivilgericht. Ohne Erfolg. Und so brauchte die Alemannia tatsächlich drei Anläufe als Meister oder Vizemeister der Regionalliga West, um sich erstmals 1967 auf dann aber eindeutig sportlichem Wege einen Platz in der Fußball-Bundesliga zu sichern!
Keine Frage: Wer damals von Anfang an dabei war, hatte einen Vorsprung, vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung. Denn die ersten Tabellen 1963 wurden zwar nicht auswendig gelernt, aber jeder, der wie ich einigermaßen interessiert war, schaute darauf, so dass die Namen der Gründungsmitglieder noch heute den meisten Fußballfans vertraut sind. Und sogar heute ertappe ich mich dabei, wie ich aufhorche, wenn Namen wie Neunkirchen oder Pirmasens – wie vor wenigen Jahren im DFB-Pokal – fallen. Umso erstaunlicher, dass mit dem Hamburger SV nur ein einziger Verein diesen Anschubvorteil nicht verloren hat und mittlerweile durchgehend seit 50 Jahren der höchsten deutschen Spielklasse angehört.
So war nicht nur der Entstehungsprozess dieser nun schon fünf Jahrzehnte andauernden Erfolgsgeschichte ein sehr langwieriger und umstrittener, sondern genauso der Beginn der Umsetzung in manchen Details äußerst holprig. Und auch in der Folgezeit provozierte die Geschäftsidee Bundesliga Widerspruch, wie ein Artikel aus der »Welt« vom 23. September 1963 verdeutlicht. Er macht aber auch klar, dass die Kritiker – und darunter vor allem diejenigen, die den Sport wirklich verinnerlicht und meist auch selbst ausgeübt haben und ihn bis heute lieben und »schützen« wollen – schon damals sehr konkret die Gefahren bzw. die nahezu logischen Entwicklungen vorausgesehen haben. Der bekannte Journalist Gerhard Mauz titelte seinen Kommentar mit »Der Alptraum vom Wochenende – Am Stiefel klebt Geld« und schrieb darin:
»Um Geld, Geld, Geld geht es in der Bundesliga, und das Geld ist kein Fußballfan, es hatte keine Lust, zum erstenmal in der Geschichte – ausgerechnet der Balltreterei zuliebe – die Sitten zu verbessern. Würstchen, Abwehrparaden, Getränke, Fallrückziehertore, Fleischspießchen, Steilangriffe, Programme, Verteidigerrobinsonaden – das alles wird in frohem Durcheinander offeriert. Nicht genug: die Lautsprecher – nicht auf allen, aber schon auf zu vielen Plätzen – sind von der Werbung gestürmt worden. Da sitzt man wie in Opas Kino und hört (reim dich, Sprache, verflixte): ›Der Ball, der muß ins Tor hinein, ins Auto gehört…‹
Und die Fernsehkamera muß sich im Sturzflug in den Rasen bohren, wenn sie dem Vorkämpfer wider die Schleichwerbung entrinnen will, denn jedes freie Fleckchen ist für Anschläge verkauft. Autos, Lebensversicherungen, Düngemittel, Zahncreme, Schmerztabletten, Benzin – alles nutzt die Chance. Es geht um Geld in der Arena.
Die Akteure auf dem Rasen, wer wird es ihnen verübeln, die Kasse muß stimmen, die Herren werden zu Hause Ärger bekommen, wenn sie keine Prämien anschaffen und ihren Marktwert nicht steigern, die Akteure nehmen ihren Beruf wahr, wie es sich für jedermann schickt. Nur: wenn man im Büro versucht, einen Kollegen ›aussteigen‹ zu lassen, dann spielt sich das wenigstens unblutig ab. Unter Kickern knirschen die Knochen, reißen die Muskeln und jammern die Sehnen. Da schlägt die Konkurrenz Purzelbaum. Und der Sport weint vor sich hin.«
Trotz aller berechtigten Warnungen vor den Folgen einer Kommerzialisierung, die in weiten Teilen auch heute noch Beachtung verdienen, war die grundsätzliche Idee nicht nur aus ökonomischen Erwägungen zweifellos richtig. Denn nun drohten die Spieler nicht mehr so schnell in die Illegalität gedrängt zu werden. Bisher durften sie als DFB-Vertragsspieler maximal 400 Mark pro Monat verdienen – was aufgrund des großen Interesses und der wachsenden Zuschauerzahlen bei den Spitzenkräften schon längst kein funktionierender Marktpreis mehr war. Nun durften Lizenzspieler und Halbprofis immerhin offiziell bis zu 1.000 Mark kassieren, und bei Nationalspielern wurden zudem noch weitere Ausnahmen gemacht, um eine fortschreitende Abwanderung der besten Spieler in das Ausland zu verhindern.
Auch fußballerisch trug die Bundesliga schnell Früchte, was man an der Entwicklung in den europäischen Wettbewerben leicht nachvollziehen kann. Da wurden in den fünfziger Jahren ausschließlich ausländische Klubs in die Siegerpokale eingraviert. Bei den Landesmeistern allein von 1956 bis 1960 fünfmal in Folge Real Madrid, dann zweimal Benfica Lissabon, AC Milan, Inter Mailand. Lediglich Eintracht Frankfurt hatte es 1960 wenigstens einmal ins Endspiel geschafft. Aber bereits 1966 gab es den ersten Titel für die Bundesliga mit dem legendären Erfolg von Borussia Dortmund im Europapokal der Pokalsieger. Ein Jahr später schaffte das auch schon der FC Bayern München, ehe die Münchner in den siebziger Jahren dreimal den Landesmeister-Wettbewerb gewannen und Borussia Mönchengladbach 1975 und 1979 den UEFA-Cup gewinnen konnte. Im Jahr darauf hieß der Sieger Eintracht Frankfurt!
Insofern war die Einführung der Fußball-Bundesliga 1963 ein in vielerlei Hinsicht längst überfälliger Schritt, der diesem Sport zu wachsender Popularität verhalf.
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Für drei Mark auf den Stehplatz
Der erste Spieltag der Premierensaison
Juni 1963 – der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, John F. Kennedy, ist zu Gast in der Bundesrepublik und hält seine berühmte Rede in Westberlin, die in dem noch berühmteren Satz gipfelt: »Ich bin ein Berliner!« Ein bedeutendes Ereignis für die ganze Republik und vor allem für die Berliner, die abgeschnitten durch die Zonengrenze und die Mauer dauerhaft auf Unterstützung – vor allem auch moralischer Natur – angewiesen waren. Auch deshalb waren überragende 300.000 Menschen zum Ort des Geschehens gekommen, um dem US-Präsidenten zuzuhören.
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