Kudemann nickte. Er wußte, daß es sich beim brown sugar um einen typischen Exportschlager aus Hongkong handelte. »Und die beiden hatten damit zu tun?«
»Möglich, sogar wahrscheinlich – aber keineswegs bewiesen«, antwortete der Hauptkommissar.
»Keine Verhaftungen?« fragte Blaurock.
»Zwei Verdächtige. Chinesen. Beide stumm wie Grabsteine. Ein dritter Mann, der öfter mit den beiden Toten hier zusammen gesehen wurde«, berichtete der Chef der Mordkommission weiter, »wir kennen ihn nur unter dem Namen Dschingis-Khan, ist flüchtig und vorläufig unser Hauptverdächtiger. Ich habe unverzüglich eine Großfahndung nach ihm ausgelöst.«
»Gut«, erwiderte Kudemann. »Die holländischen Kollegen verständige ich über Interpol.« Er würde offene Türen vorfinden, er war der deutsche Verbindungsmann zu dieser Institution, die seit ihrer Gründung 1923, mit Sitz in Paris, erfolgreich bei allen grenzüberschreitenden Verbrechen – sofern sie nicht politisch motiviert waren – international zusammenarbeitet. »Noch etwas, Müllner«, verabschiedete er sich, »dehnen Sie die Fahndung nach Dschingis-Khan gleich noch auf die Krankenhäuser in Frankfurt und Umgebung aus …«
»Krankenhäuser …«
»Und auch auf private Arztpraxen, bei denen ein Mann mit unerklärlichen Verletzungen, zum Beispiel einem abgeschnittenen Ohr, abgeschnittener Nase oder Finger eingeliefert wurde und ziemlich unglaubliche Angaben macht, wie er dazu gekommen ist.«
Der Hauptkommissar nickte verständnislos.
»Ich hab’ da so meine Vorahnungen«, erklärte Kudemann sibyllinisch.
Der Spezialist für die Bekämpfung des organisierten Verbrechens hatte es nicht leicht gehabt, sich durchzusetzen. Jahrelang war vor der Öffentlichkeit von Polizei, Politikern und Regierungsstellen die Behauptung aufrechterhalten worden, es gäbe in Deutschland keine Verbrecherbanden nach italienischem Mafia-Vorbild. Berichte in Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehen seien übertrieben und übliche Geschäftemacherei mit der Panik.
Als es dann Kudemann und seiner Crew gelungen war, in Frankfurt die berüchtigte Eurogang, einen Ableger der Ehrenwerten Gesellschaft aus Sizilien, zu zerschlagen, ließ sich nicht mehr länger verheimlichen, daß Papas Kripo auf verlorenem Posten stünde, so es ihr nicht gelänge, neue Wege einzuschlagen und sich darauf einzustellen, daß Palermo auch am Main lag, Chicago auch an der Alster und Hongkong vielleicht an der Isar. Für ein Jahr hatte man Felix Kudemann zum FBI nach New York delegiert, um vor Ort die Praktiken der Bandenbekämpfung zu verfolgen. Die dortigen Cosa-Nostra-Familien – einmal 27 Morde in drei Tagen – hatten ihm deutlich vor Augen geführt, daß es den Mafiosi gelingen könnte, Polizei und Justiz in eine Unehrenhafte Gesellschaft zu verwandeln, so man den Anfängen nicht wehrte: Polizisten waren in New York und Chicago – und nicht nur in diesen Riesenstädten – gekauft, Staatsanwälte korrumpiert und Richter bestochen oder, sofern sie nicht mitmachten, auf offener Straße niedergeschossen worden.
So weit war es in Deutschland noch nicht, aber die Ansätze konnte man nicht länger leugnen. Unter Federführung Kudemanns ging die Fahndung daran, die Kuriere aus dem Süden – Geldwäscher, Befehlsüberbringer oder Auftragskiller – zu überwachen. Nicht immer erfolgreich. Während man mit allen Mitteln versuchte, den Spaghetti-Mob niederzuhalten, war überraschend eine weit tödlichere Gefahr aufgetaucht: die Triaden. Ein chinesisches Gangster-Syndikat. Die Gelbe Mafia.
»Wir haben zu lange gezögert, diese Leute wirklich ernst zu nehmen«, erklärte Kudemann seinen Mitfahrern auf dem Rückweg zum Bundeskriminalamt. »Wir hielten die Gangster mit dem Dreieck als Symbol für ein exotisches Phantom. Als eine engagierte chinesische Journalistin in Amsterdam einen Bericht über die Untaten der Triade KK geschrieben hatte, wurde sie tot aus einer Gracht gefischt.«
Salewsky waren die Zusammenhänge ziemlich neu, aber Blaurock kannte sie. Er wußte, daß die fernöstlichen Verbrecher vom Brückenkopf Amsterdam aus in unglaublichem Tempo die Invasion nach Deutschland getragen hatten, zunächst mit drei Spezialitäten: Heroin-Vertrieb, Schutzgeld-Erpressung und Mädchenhandel. Es gab Täter, aber keine Zeugen. Verbrecher, die gefaßt wurden, schwiegen beharrlich, trotz härtester Strafandrohungen. Die Triaden bestraften schlimmer.
Die ersten Opfer waren chinesische Wirte in Deutschland. In München gibt es zum Beispiel kaum ein China-Restaurant, das nicht Schutzgebühren an die »Kofuns« (Soldaten) der »Oyabuns« (Paten) in Hongkong zahlen würde. Der Handel mit exotischen Schönheiten wird weitgehend von der britischen Kronkolonie aus organisiert. Mindestens ein Drittel allen Kokains, das den Westen überschwemmt, kommt via Hongkong. Schiffsversenkungen, Versicherungsbetrügereien großen Ausmaßes gehen ebenso auf das Konto der Triaden wie Markenfälschungen von Rolex-Uhren oder Lacoste-Hemden.
Auch bei der sizilianischen Mafia gilt das Gesetz des Schweigens, trotzdem ist es – vor allem den Italienern – immer wieder gelungen, Abgefallene zum Reden zu bringen. Während eines Mammutprozesses in Turin sind zwar in jüngster Zeit sieben wichtige Zeugen ermordet, doch auch an die 130 Täter verurteilt worden, unter ihnen auch Richter und Staatsanwälte. Und einige sogar lebenslänglich.
»Wie viele Chinesen leben eigentlich in Deutschland?« fragte Salewsky.
»Vierzehntausend legal, dazu kommen Tausende illegaler Zuwanderer, von denen die meisten sicherlich nichts mit den Triaden zu tun haben. Wir haben schon Täter gefaßt, überführt und verurteilt, doch im Gegensatz zu den Italienern hat nicht ein einziger Chinese jemals etwas über die Geheimorganisation ausgesagt. Es gibt leider keine Zeugen, keine Geständigen, keine Überläufer«, stellte Kudemann fest.
»Das deckt sich mit unseren Erfahrungen im Ausland, Doktor«, bestätigte Blaurock. »Die Schwierigkeiten sind immens. Allein die Sprache, das Aussehen, die Denkweise dieser Leute stellen uns vor schier unlösbare Probleme.«
Sie hatten das Bundeskriminalamt in Wiesbaden erreicht und fuhren mit dem Lift in das Büro des HOKO-Chefs hoch. Salewsky stand offensichtlich noch unter dem Schock, in den ihn der Anblick der beiden Mordopfer am Tatort versetzt hatte. Kudemann ging an einen Wandschrank und schenkte Cognac ein; sie hatten alle drei einen nötig, am dringendsten Salewsky, der ihn auch als erster austrank.
»Ich wollte Ihnen den Tag wirklich nicht durch Horror vergällen«, behauptete Kudemann, »aber doch einmal vor Augen führen, wie es jedem von uns ergehen kann, so ihm ein Fehler unterläuft.«
»Ich hab’ schon viel gesehen und erlebt, aber so etwas …«, erwiderte Salewsky.
»Die grausamsten und gefährlichsten Gegner, die wir je hatten«, stellte der HOKO-Chef fest. »Über fünfzig Beamte, verteilt auf die ganze Bundesrepublik, habe ich an die Aufklärung dieser Verbrechen gesetzt. Sie sammeln Steinchen für Steinchen, ohne zu wissen, um welches Mosaik es sich dabei handelt. Ohne absolute Geheimhaltung scheitern wir kläglich. Deshalb«, wandte er sich direkt an seinen unebenbürtigen Stellvertreter, »darf die Gelbe Mafia auch in Pullach kein Thema sein.«
»Aber das ist doch selbstverständlich, Herr Dr. Kudemann«, beteuerte der Großsprecher ziemlich kleinlaut.
»Auch für die Sicherungsgruppe«, ergänzte der Top-Kriminalist. »Wir hatten heute morgen einen Zusammenstoß. Ich möchte nicht, daß er sich wiederholt.« Er deutete den Blick des schönen Maximilians richtig und goß ihm ein zweites Glas Cognac ein. »Auf unser Teamwork, Herr Salewsky, anders geht es nicht. Ich nehme zur Kenntnis, daß sich Taifun II nicht mehr abbrechen läßt. Aber ich werde den Kamikaze unverzüglich auffordern, jede Aktivität zu unterlassen, bis wir den Flop Taifun I bis ins letzte geklärt haben.«
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