Der Notar Léon Ducat besass am Boulevard, dicht bei der Zitadellenbrücke, eines der prunkvollsten Häuser der Stadt. Es war schon mehr ein Palais, wuchtig in gelbem Sandstein hingelagert mit zwölf Fenstern Breite. Im Erdgeschoss bildete ein Wintergarten die Mitte der Strassenfront. Durch die mächtigen Spiegelscheiben sah man von draussen den hochstrebenden Palmenwald mit den blendend weissen Marmorbildwerken. Abends brannte dort verschwenderisch das elektrische Licht. Ducat liess seinen Reichtum gerne sehen. Das Grundstück dehnte sich mit dem Garten bis zur nächsten Strasse aus. Hinten lagen die Garage, der grosse Stall, die Remise.
In den weiten Empfangssälen des Erdgeschosses fühlte sich niemand heimisch. Am wenigsten Manon. Sie hatte einmal behauptet, bloss aus Furcht vor den entsetzlich grossen und kalten Räumen im Hause ihres Vaters habe sie Henri Dedonker geheiratet. Sonst hätte sie sehr gern noch ein paar Mädchenjahre vertanzt und durchflirtet. Sie hatte es als junge Frau ihrem Vater zur Bedingung gemacht, dass sie das obere Stockwerk nach ihrem Geschmack einrichten dürfe, wenigstens die Zimmer, die sie bewohnen wollte, wenn sie zu Besuch kam. Durch Einbauten, durch Gobelins, durch Teilung hatte sie zunächst einmal versucht, die unbehaglich grossen Abmessungen ihres Schlafzimmers zu überwinden. Links und rechts hatte sie bis an das mitten in den saalartigen Raum gerückte, mächtige Himmelbett Tapetenwände heranbauen lassen, in denen sich kleine Türen befanden. Auf den anderen drei Seiten wurde das Bett von schweren Gobelins abgeschlossen. Die beiden im Hintergrund zusammenstossenden kammerartigen Abschnitte enthielten ihre Toilettentische, ihre Kleiderschränke. Spiegel hingen neben Spiegeln. Helene hatte so etwas Drolliges nie zuvor gesehen. Unpraktisch blieb die Einrichtung übrigens immer noch, denn zum Bad musste Manon über den breiten Treppengang. Das Bad war gleich dem Vestibül ganz in weissem Marmor gehalten. „Es friert einen, wenn man den kalten Marmor nur ansieht,“ sagte Manon. „Drum bade ich auch immer so heiss.“
Als die Freundinnen kamen, sass Manon auf dem unpraktischen Halbdiwan, der schon immer ihre Verzweiflung war, trotzdem er aus einem Schloss des fünfzehnten Ludwig stammte. Sie liess sich von ihrer belgischen Zofe die Fingernägel auf einem Samtpolster bearbeiten.
„Ich bin jetzt so wunderbar faul,“ sagte sie lächelnd, „und ich fürchte, ich habe schon wieder zwei Pfund zugenommen.“
Manon neigte wirklich etwas zur Fülle. Gegenwärtig befand sie sich in der reifsten Entfaltung ihrer Schönheit. Das dunkelblonde Haar, die grossen, blauen Augen, die samtne Haut, die Gepflegtheit des Körpers, die raffinierte Kunst, sich anzuziehen, alles sprach mit. Sie war in allem Französin, vor allem in ihrer Gabe, amüsant zu sein. Ihre Gestalt war aber für eine Pariserin zu junonisch, zu plastisch. Sie wäre so gern ganz gertenschlank gewesen, wie es jetzt Mode war. Gleich Geneviève beneidete sie Helene um ihre schlanke Figur.
Sie hatten einander alle drei so unendlich viel mitzuteilen. Was war doch dieser Krieg für eine aufregende Sache. Aber vom Krieg sprachen sie dann gar nicht, Manon konnte nun einmal bei keinem ernsten Thema bleiben. Immer wusste sie kleine Liebesgeschichtchen von Bekannten — Eheirrungen und andere Liebesabenteuer im Sommerbade — und von Toiletten, Juwelen, Spitzen hatte sie zu erzählen — und die kleine belgische Zofe musste hin und her huschen und Schachteln bringen, Kästchen öffnen, und selbst die ernste Geneviève bekam rote Backen. Sie lehnten gerade alle drei am grossen Mitteltisch, beugten sich tief über, stützten die Ellbogen auf und betrachteten eingehend die neue Perlenreihe, die Manon von ihrem Mann im Mai zu ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag geschenkt bekommen hatte — als das zweite Hausmädchen den Major meldete.
Er war in seiner kecken Art auch gleich hinter dem Mädchen her die Treppe emporgesprungen und in die Tür getreten.
„O, bitte, bitte, ich habe hier Onkelrechte!“ verteidigte er sein Eindringen lachend.
Sie waren mit etwas gemachtem Aufschrei aufgefahren, in unwillkürlicher Pensionserinnerung, und Geneviève eilte ans Himmelbett und liess die schweren, gefütterten Seidenvorhänge zusammenfallen.
„Sogar das Allerheiligste hätte offen bleiben dürfen, Mademoiselle, es wäre mir in keiner Weise unangenehm gewesen, ich bin nicht heikel.“
Manon griff in die Puderdose und warf ihm blitzschnell die Puderquaste ins Gesicht. „Nicht heikel — sagt dieser Menschenfresser!“
Geschickt hielt André Ducat die Puderquaste fest, beugte sein Gesicht gegen den Kaminspiegel und begann sich sofort Kinn und Wangen zu pudern. „Ah, und einen Duft verbreiten Sie, Manon, es ist wie eine süsse Woge von Sinnlichkeit und Religion. Man möchte zugleich küssen und anbeten.“
Geneviève, die keine Leichtfertigkeiten dulden wollte, sagte: „Sie vergessen wieder einmal, dass Zeugen hier sind, Ducat.“
Er puderte sich ruhig weiter. „Bewahre, Mademoiselle Geneviève, denen mache ich bloss den Mund wässerig.“
„Uns? Mir auch? Ach, Ducat, Sie wissen doch gut genug, dass ich Sie nie leiden mochte.“
„Einbildung, Mademoiselle. Sie sind ja viel zu intelligent, als dass Sie meine Vorzüge übersehen könnten.“ Er liess sich lachend von Manon mit einem Tuch die Finger abreiben, dann küsste er den Damen nacheinander die Hände. „Madame Martin — ja, was fangen wir nun an? Da sitzen Sie ohne Mann, wie unsere arme Manon, und müssen Abend für Abend in Ihr liebeleeres Strohwitwenbett ...“
„André,“ rief Manon, „ich sage es Papa, wenn Sie sich nicht besser benehmen.“
„Aber ich will doch das Beste. Ach, meine liebsten Freundinnen, wenn Sie wüssten, wie gut ich’s mit Ihnen meine. Sie stossen mich alle drei zurück. Warum? Geneviève freilich — ja, die will eben leider gleich geheiratet sein, die kennt noch nicht die höhere Lebenskunst. Ich mache es Ihnen nicht etwa zum Vorwurf, Fräulein Geneviève. Aber diese beiden entzückenden jungen Frauen — diese beiden ganz entzückenden jungen Strohwitwen ...“
„Was für unverschämte Funkelaugen er machen kann!“ Manon lachte ihre kokette Tonleiter. „Helene, wir wollen so tun, als wären wir wahnsinnig verliebt in ihn. Er ist imstande und glaubt es.“
Sie spielte mit ihrem Übermut, aber es lag doch eine gewisse Schwüle in ihrem Verkehr mit dem Vetter.
Die lose Unterhaltung fand ihr Ende, da die Zofe berichtete, die Herren warteten unten auf den Tee.
Léon Ducat verbreitete wie sein Haus eine feierliche Unbehaglichkeit um sich. Sein Ton war ernst, gewichtig, er sprach fast immer über Politik, seine Miene war düster. Er war gewohnt, überall als Hauptperson angesehen zu werden, hatte auch das Talent, sich durchzusetzen. Sie kannten schon seine Art. Eine Weile strich er gemessen seinen dunkeln Bart, der im Halbrund von einem Ohr zum anderen lief und das ganze mächtige Kinn freigab, allmählich wurden die Bewegungen heftiger, und dann warf er den Kopf zurück, so dass der Bart fast wagerecht in die Luft schnitt, und er begann zu reden, seltsam nervös mit der Rechten in die Luft fassend. So begann er seine berühmten Plaidoyers, so sprach er als Deputierter in den Versammlungen, so mitunter auch im Kreise von Bekannten, wenn ihm irgendeine Sache wert genug schien, sich dafür einzusetzen. Die Lider legten sich müde über die Augen, und ein Leidenszug durchgeistigte sein Gesicht. Opfer, Pflicht — das waren Lieblingsworte von ihm. Er stritt oft mit Laroche, der ihm nicht flammend genug in seinem Patriotismus war.
„Die Würfel sind gefallen. Sagen Sie mir nichts über die Belgier. Sie erfüllen ihre Aufgabe, uns die Deutschen vom Halse zu halten, bis wir unseren Aufmarsch vollendet haben. Dann kommt die Katastrophe für diese Frevler an aller Kultur des Friedens und des Fortschritts. Es liegt ihnen schon in den Fingerspitzen. Wenn die Militärs in Barbarien drüben auch noch die Sklaven Guillaumes sind — das Volk lehnt sich bereits auf. Hier ist der ‚Figaro‘. Sie haben ihn noch nicht gelesen? Wie! Die Depesche aus Brüssel?“
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