Vor der Höhle des Chinesen.
Biribi.
Mir scheint, was da passiert, das ist eine Tragödie, und zwar passiert sie mit mir! Es ist schon arg, in den Armen seiner Geliebten in ein Ungeheuer verwandelt zu werden, aber daß sie mich nicht einmal kennt, nicht weiß, daß ich ihr Wunderschön bin, das ist noch viel ärger. Und daß ich allein mit meiner Zunge sie vom Tod erretten kann, das wäre an sich nichts Arges. Aber das Arge daran ist, daß sie vor mir davonspringt, und ihr Herr Vater auch, weil sie’s halt nicht wissen! Und weil ich halt stumm bin und es nicht sagen kann! Aber das wäre noch nicht das Ärgste. Die dritte Nacht erlebt sie nicht mehr, wenn ich ihr nicht geholfen habe. Das ist ärger als arg! Wenn ich erlöst bin – und welches Ungeheuer wäre so ungeheuer, daß es nicht erlöst sein wollte –, dann kann ich ihr mit meiner menschlichen Zunge nicht mehr helfen. Meine Erlösung wünschen hieße ihr den Tod wünschen. O Seelenkampf! Ich bin nicht mehr ich, sie kennt mich nicht, ich kann ihr nicht helfen; wird mir geholfen, so helf’ ich ihr nicht, und beide können wir nichts dafür! Wenn das nicht arg ist! Aber das Ärgste ist, daß ich es nur mir selber sagen kann – und ich weiß es doch schon! Hier an diesem Stein haben sie ausgeruht, ich schlich dazu, um schnell meine Zunge auf ihre Wunde zu legen, und wuppdich waren sie im hellen Schreck schon drin bei dem Chinesen, um vor mir Schutz zu suchen. Ach, daß doch der Mensch gerade vor dem Schutz sucht, der ihm helfen kann, und daß der, der ihm helfen kann, für ihn die Gestalt eines Ungeheuers hat! Das ist ein ungeheuerlicher Gedanke! Als ich in den Pfuhl sah, vergoß ich Tränen über mein schmerzhaft verlängertes Gesicht. Wenn das nicht arg ist! Die ganze Nacht habe ich hier gewartet, jetzt treibt mich der Hunger fort. Ab.
Der Chinese tritt mit dem König aus der Höhle.
Chinese. Schläft sie noch?
König. Sie schläft noch. Sagen Sie mir ganz aufrichtig, mein Herr Chinese, gibt es jemand noch Gescheiteres als Sie selbst sind – ich kann es mir zwar kaum denken.
Chinese. Möglich wäre es, aber es ist nicht wahrscheinlich. Ich kenne einen einzigen Mann, von dem ich gewiß weiß: er ist entweder ungeheuer dumm oder ungeheuer weise. Er schwankt so seltsam hin und her zwischen beidem.
König. Wie heißt er, und wo wohnt er?
Chinese. Er heißt Don Gasparo und wohnt in der nächsten Höhle links.
König. Ich danke sehr. Und Ihnen ist in Ihrem Höhlenschlaf gar keine Erleuchtung gekommen?
Chinese. O doch, Majestät! Als ich mich in mein Allerhelligstes zurückzog und bereits entschlafen war, kam mir allerdings eine Stimme, die übrigens in Versen redete und mir genau angab, wie Ihre Tochter zu heilen ist.
König. Und haben Sie sich diese Stimme nicht gemerkt?
Chinese. Allerdings. Ich habe diese Worte so tief in mich eingesenkt, daß ich sie absolut nicht mehr hervorholen kann. Doch halt – nein – wart einmal – nein so – jetzt hab ich’s. Die Worte langsam zusammensuchend.
Beinzacken, spitzige und schauderhafte,
Bewachen streng ein fleischiges Verlies.
Dort liegt ein Ding in seinem eigenen Safte –
Das Ding, das hilft: die ...
Hier bring ich nur die Anfangsbuchstaben zusammen: die Z. B.
König. Z. B., was soll denn das heißen?
Chinese. Das frag’ ich mich auch.
König. In meinem Reiche kürzt man so „Zum Beispiel“ ab.
Chinese. Davon hab’ ich auch schon gehört. Das gibt aber keinen Sinn.
König. Nein, es gibt durchaus keinen Sinn. „Ein Ding in seinem eigenen Safte“, das klingt wie Eingemachtes, „fleischiges Verlies“, das ist vielleicht die Speisekammer. Ich muß einmal in meiner königlichen Speisekammer nachsehen, ob dort so ein Ding ist. Entmutigt. Aber das mit den Beinzacken stimmt nicht.
Chinese. Bei dieser königlichen Vermutung habe ich das dunkle Gefühl des Unrichtigen. Ich rate Eurer Majestät: gehen Sie zu Don Gasparo. Empfehlen Sie meine Heiligkeit seiner Heiligkeit, sagen Sie ihm die Verse her, die ich im Schlaf gehört habe, und fragen Sie ihn, was Z. B. heißen soll.
König. Sogleich, sogleich, ich muß erst mein Kind wecken.
Geht in die Höhle.
Chinese. Wird Kasper wissen, was ich nicht weiß? Als Mensch wünsche ich es von Herzen, als Chinese wünsche ich freilich das Gegenteil.
Rechts der Wolf, in leidender Haltung, unbeweglich links das Schaf, in der Mitte der Rabe, der auf das Schaf einredet.
Schaf.
Ne, ne!
Rabe. Du kannst, denn du sollst. Wo viel Wolle ist, ist auch ein Wille. Des Schafes Wolle ist des Wolfes Himmelreich. Gib sie ihm, gib sie ihm – gib ihm deine Wolle als ein Kissen auf seine kranke Lunge. Der Wolf hustet. Erbarmt es dich nicht? Hörst du nicht den Schmerz der Kreatur in diesen heiseren Lauten wimmern?
Schaf. Ne, ne.
Rabe. Wer hätte gedacht, daß unter so weicher Wolle ein so verstocktes Herz wohnt? Weißt du nicht, daß du die Därme einer höheren Bestimmung in dir trägst? Sie sollen als Saiten erklingen, von himmlischer Liebe gerührt. Tönen sollst du, tönen, Schaf!
Schaf. Ne, ne.
Rabe. Nun wende ich mich an deinen natürlichen Verstand –
Schaf. Ich bin ein Schaf, und mein natürlicher Verstand ist schwach. Aber darum ist er doch natürlich und sagt nein.
Rabe. Wenn dein Verstand versagt, so glaube an das Wunder. Deine Wolle wird den Wolf wandeln. Er wird deinesgleichen werden, Schaf!
Schaf. Wird er dann mich und meine Verwandtschaft nicht mehr fressen?
Rabe. Nie! Er kann es gar nicht mehr wollen, weil dein sanft gewollter Wille in ihm wohnt. Glaube an ihn!
Schaf. Ich möchte es gern, aber als Schaf falle ich immer wieder in meine alte Denkart und mag dem Wolf nicht trauen.
Rabe. So willst du eigensüchtig im Besitz deiner Wolle schwelgen? Leise zum Wolf. Huste! Der Wolf tut’s.
Schaf. Der Wolf soll einmal sagen, was er für Gefühle hat gegen unsereins!
Rabe. Auf dein Gewissen, Wolf! Wie bist du gegen das Schaf gesonnen?
Wolf. Es soll näher herankommen, ich kann nicht so laut sprechen.
Rabe. Komm näher, o Lamm!
Wolf leise. Das ist das zarteste Lamm, das ich je gerochen habe.
Rabe. Näher, näher!
Schaf. Ne, ne.
Wolf. So höre denn, mein Lamm! Du bist mir köstlicher denn Schweinernes und Rind.
Rabe. Hörst du es, Lamm? Kannst du noch zweifeln?
Schaf. Er soll vor allen Tieren schwören, daß er nie wieder ein Schaf fressen will.
Rabe. Kraha! Wohlan denn! Herbei o Schleiereule, du ewig jungfräuliche! Und du, meine eheliche Gefährtin, eilt herbei, damit ihr Zeugen seid.
Frau Rabe und die Schleiereule flattern herzu.
Rabe. Ich frage dich: Wirst du, o Wolf, geläutert durch den Schmerz, dich je wieder gelüsten lassen nach dem Fleisch des Lammes?
Wolf. Halt ein und höre! Mein Vater war ein Wolf, meine Mutter war eine Wölfin, und ich habe nie etwas anderes sein wollen als ein Wolf. Ich bin nicht musikalisch und hab’ nie den Ton treffen können in der Kirche, auch hatte ich immer ein schlechtes Gedächtnis für die Liederverse. Die Kinderlehre hat nicht angeschlagen bei mir. Wenn mir auch das Sprechen sauer wird, sag’ ich euch doch ganz offen, sowohl Ihnen, tiefdenkender Herr Pfarrer, als auch dir, mein wohlschmeckendes Schaf: Solang ich noch auf meinen Beinen stehen kann, werde ich Schafe fressen, je jünger, desto lieber.
Rabe.
Welch ein bissiger, vertrackter,
Unerquicklicher Charakter!
Chor der tiere.
Welch ein bissiger, vertrackter,
Unerquicklicher Charakter!
Wolf. Es tut mir leid, daß ich euch so wenig Freude mache. Ihr wißt nicht, wie es im Magen eines Wolfes aussieht. Ich kann keine Kräuter fressen. Unter allem, was wächst und gedeiht, hat das Schaf für mich die Aufschrift: Eßbar. „Mäh“ heißt in meiner Sprache: „Ich schmecke gut“.
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