Gereizt schlug sie nach einer Fliege, die ihren Kopf umschwirrte. »Wirklich? Warum hast du das nie gesagt?«
»Hab’ ich doch, Mensch! Als ich noch geglaubt habe, es wäre meine Aufgabe, dir Kultur zu vermitteln. Ich hab’ es dir nicht nur gesagt, ich hab’ dir das Buch in die Hand gedrückt, und du hast es aufgeschlagen und mit allen Anzeichen von Abscheu und Entsetzen gesagt: ›Igitt! Das reimt sich ja alles!‹ Und dann hast du es mit spitzen Fingern weggelegt, als ob du dir eine ansteckende Krankheit daran holen könntest.«
Ich grinste. »Heute nacht hätte ich das beinahe schon wieder so gemacht, aber dann habe ich einen Blick hineingeworfen und hing fest. Aber trotzdem, wie kann man das Konfirmanden geben! Und noch dazu damals! Darin wimmelt’s doch bloß so von Sex!« »Aber auch von Liebe und Romantik. Apropos, wie steht’s mit Tante Agathe? Die hast du überhaupt noch nicht erwähnt.« »Nenn sie bloß nicht Tante Agathe«, sagte ich genervt. »Entschuldigung«, lachte sie. »Aber das ist so verlockend.« »Jedenfalls hat es nicht geklappt.«
»Kein bißchen?«
»Nix.« »Aber du mußt doch mit ihr getanzt oder wenigstens mit ihr geredet haben.«
»Ich hab’ nicht mit ihr getanzt, aber dreimal mit ihr geredet. Ich habe sie gefragt, ob sie mit mir tanzen wollte, und sie hat nein gesagt. Ungeheuer amüsant. Sie haßt mich.«
»Unsinn«, sagte Mutter.
»Doch, sie haßt mich, Mutter. Entweder blickt sie glatt durch mich durch, oder sie starrt mich angewidert an, als ob die Katze mich gerade ins Haus geschleppt hätte. Und du hättest sie damals in der Schule erleben müssen, als sie erfahren hat, daß sie neben mir sitzen muß – sie war außer sich vor Wut!«
»Ja, das hast du mir erzählt, aber warum? Es muß doch einen Grund geben. Es muß irgendwas geben, was du noch nicht erzählt hast.«
»Nein, gibt es nicht.«
»Vielleicht hast du es vergessen, aber du mußt irgendwann etwas zu ihr gesagt haben, was sie sauer auf dich gemacht hat. Das muß so gewesen sein, Claus. Es muß einen vernünftigen Grund geben.« Meine Mutter glaubt an vernünftige Gründe. Sie glaubt überhaupt an die Vernunft. Ich kapiere einfach nicht, wie sie über vierzig sein und immer noch glauben kann, daß es immer für alles einen vernünftigen Grund gibt.
»Ehrlich, Mutter«, sagte ich. »Vor heute abend habe ich keine zwei Wörter mit ihr geredet. Vielleicht gefallt ihr meine Nase nicht. Kann doch sein, daß sie Jungs mit blauen Augen und mausgrauen Haaren haßt.«
»Unsinn! Du siehst gut aus, du hast Ähnlichkeit mit deinem Vater.«
Auf diesen Vergleich hätte ich gut verzichten können.
Mutter stand auf und legte mir den Duschvorhang über die Arme. »Hängst du den bitte auf?«
Wieder schwirrte die Fliege um sie herum, und sie schlug erfolglos mit einem Vorhangzipfel nach ihr.
»Was wir hier im Haus brauchen, ist ein entomologischer Lufttraffikregulator«, sagte ich und ließ die Fliege nicht aus den Augen. »Ein was?«
»Ein entomologischer Lufttraffikregulator. Für die Fliegen.«
Ich hatte diese Bezeichnung nicht erfunden, aber sie war ganz schön stark. Ich konnte sehen, wie sich ihre innere EDV-Anlage in Gang setzte und alles schnurrte und blinkte.
Mutter hatte mit diesen Wortspielen angefangen. Das erste hatte sie mitgebracht, als sie von einem Wochenendseminar zurückgekommen war und ich sie fragte, was sie denn abends gemacht hätten. Sie antwortete, es sei »unter anderem zu rhythmischer Umgruppierung der unteren Extremitäten gekommen«. Ich hielt das für etwas Schweinisches, Gruppensex oder so, bis mir endlich aufging, daß sie getanzt hatten.
Ich ging nach oben, hängte den Vorhang auf und beschloß zu duschen, wo ich schon einmal hier war.
Ich trocknete mich gerade ab, als Mutter an die Tür klopfte und triumphierend rief: »Eine Fliegenklatsche!«
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