Vor einigen Tagen hatte ich Lara verlassen. Die Tarnreiter aus Ar hatten Lara nicht niedergebrannt. Tatsächlich hatten sie nicht viel mehr gemacht, als die Stadt von den Flusspiraten zu säubern, hier und dort etwas zu plündern und einige Frauen einzufangen, doch in erster Linie waren ihnen natürlich weibliche Flüchtlinge aus Vonda in die Hände gefallen. Ihr Vorgehen Lara anzugreifen, hatte für große Fassungslosigkeit unter den Truppen von Lara gesorgt, die gerade auf Vonda zumarschierten. Dieser Umstand erwies sich in gewisser Weise als Vorteil für die Männer aus Ar, da die Truppen aus Lara in ihrer Bestürzung gezögert hatten, ihren Marsch in Richtung Norden fortzusetzen. Daher waren sie auch nicht in die Kämpfe verwickelt, die kurz danach nordöstlich von Vonda stattfanden. In diesen Kämpfen wurden jedoch die Streitkräfte aus Port Olni unerwarteterweise von Truppen aus Ti unterstützt, die unter dem Befehl von Thandar aus Ti, einem der Söhne von Ebullius Gaius Cassius, standen. Die Schlacht war schwer, endete aber unentschieden. Am zweiten Tag bei Sonnenuntergang zogen sich beide Armeen aus dem Feld zurück. Die engagierte Infanterie aus Ar war zahlenmäßig zwar unterlegen, doch ihre Mobilität und die Unterstützung durch ihre Tarnkavallerie kompensierte diesen Nachteil bis zu einem gewissen Punkt. Interessanterweise hatte Thandar aus Ti die Truppen aus Ar nicht am Himmel herausgefordert, sondern stattdessen die Söldner von Artemidorus aus Cos die Versorgungsketten von Ar angreifen lassen. Letzten Endes trafen sich die Haruspexe aus Port Olni, Ti und Ar nach einigen Tagen nervösen Lagerns auf neutralem Boden, um die nächsten Handlungsstränge festzulegen. Nachdem sie aus den Eingeweiden und der Leber eines geschlachteten Verrs gelesen hatten, beschlossen sie, dass es für beide Armeen das Beste wäre, sich zurückzuziehen. Somit hatten beide Seiten weder ihre Ehre noch ihr Gesicht verloren. Dieses Omen wurde lediglich von den Haruspexen aus Vonda und Cos angefochten. Doch auch sie verstanden, dass weder die Salerianische Konföderation noch die Stadt Ar einen ausgewachsenen Konflikt wünschten. Es war auch bekannt, dass Vonda in ihrer Konspiration mit Cos feindliche Aktivitäten selbst heraufbeschworen hatte. Indem Ar Vonda niederbrannte und einnahm, bewahrte sich die Stadt Ar ihren militärischen Anstand. Im Gegenzug hatte die Salerianische Konföderation das Gefühl, dass sie ihren Respekt aufrechthalten konnte, weil sie die Truppen von Ar daran gehindert hatte, weiterzuziehen. Folglich hatten die Tarnreiter von Artemidorus die Sklavenwagen, die nach Süden zogen, nicht weiter belästigt. Die Fahrer dieser Wagen und ihre Eskorten hatten die Planen zurückgeschlagen und gezeigt, dass sie nur angekettete Frauen transportierten. Die Tarnreiter von Artemidorus waren daraufhin über sie hinweggeflogen, ungeachtet der gehobenen Hände und der Schreie der Frauen.
Es gibt die goreanische Vermutung, dass eine Frau, wenn sie erst einmal eine Sklavin geworden ist, immer eine Sklavin bleiben wird. Diese Frauen werden mit der Peitsche ruhig gehalten. Ich denke, dass es nur wenig Zweifel daran gibt, dass die Einstellung der Kämpfe im Norden viel mit der Großzügigkeit der Männer aus Ar zu tun hatte, sodass Lara nicht das gleiche Schicksal erlitt wie Vonda. Sie hatten demonstriert, dass sie Lara ohne Weiteres hätten vernichten können, sich aber dazu entschlossen, es nicht zu tun. Dies wurde als ein Zeichen angesehen, dass Ar kein Interesse an einem großen Kriegsausbruch mit der Salerianischen Konföderation hatte. In Zukunft würde diese Aktion vielleicht die Konföderation spalten in Bezug auf die Gefühle, die sie für Ar hegten. Als es offensichtlich war, dass Ar Lara verschont hatte, hatten die Truppen aus Lara es nicht mehr für nötig gehalten, auf die Truppen aus Port Olni und Ti zu stoßen und waren stattdessen in ihre Stadt zurückgekehrt. Lara wird nun gegenüber Ar eine freundliche Grundhaltung einnehmen. Dies würde Ars politischen Einfluss an den Mündungen des Olni und Vosk stärken, ein strategischer Ort, falls Cos sich dazu entscheiden sollte, seine Truppen östlich entlang des Vosk zu senden. Lara war also der Dreh- und Angelpunkt zwischen der Salerianischen Konföderation und den Städten am Vosk.
»Beeil dich!«, rief der Wächter nun ungeduldig.
Ich hob meine Hand und bedeutete ihm, dass ich ihn gehört hatte, und setzte meinen Weg zum Hafen von Fina fort.
Seit einigen Wochen bewegte ich mich nun schon von einer Flussstadt zur nächsten, prüfte Sklavenmärkte und versuchte an Informationen über den Piraten Kliomenes zu kommen. Verständlicherweise bekam ich allerdings nur sehr wenige freiwillige Informationen. Denn viele Leute, so war ich mir sicher, wussten mehr über den Mann, als sie zugaben. Sein Name und auch der seines Kapitäns Policrates waren anscheinend mehr als gefürchtet auf dem Fluss. Diese Flusspiraten waren nicht nur verstreute Banden von Halsabschneidern, sondern viele hatten auch ihre eigenen Festungen und Schiffe. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein einziger Kapitän drei- oder vierhundert Männer befehligt und acht bis zehn Schiffe besitzt. Dementsprechend gibt es unter diesen Banden auch Freundschaften, eine Aufteilung der Gebiete und Allianzen. Sie stellen eine wahre Macht auf dem Fluss dar.
Ich trat zur Seite und ließ eine verschleierte freie Frau mit ihrem Kind passieren.
Von Lara aus ging ich nach White Water und von dort weiter nach Tancreds Landing. Später fuhr ich weiter flussabwärts nach Iskander, Forest Port und Ars Station. Ars Station befindet sich in der Nähe der Stelle, wo vor einigen Jahren eine Versammlung der Horden von Pa-Kur, einem Angehörigen der Kaste der Attentäter, stattgefunden hatte, der eine Allianz aus zwölf Städten gegen die Stadt Ar angeführt hatte, die durch Söldner und weitere Attentäter noch vergrößert worden war. Dieser Krieg wird auf goreanische Weise noch immer in einigen Liedern gefeiert. Vielleicht eines der bekanntesten unter ihnen ist das Lied über Tarl von Bristol.
Dieser Krieg hat wahrscheinlich um 10,110 C.A., Contasta Ar, seit der Gründung Ars, stattgefunden. Jetzt befinden wir uns chronologisch im Jahr 10,127.
Ars Station existierte zur Zeit der Versammlung der Horden von Pa-Kur noch nicht. Es wurde erst vier Jahre später als Außenposten und Handelsstation, am südlichen Ufer des Vosk, gegründet. Außerdem hält Ars Station die Herrschaft über das nördliche Ende einer der großen Straßen, der Viktel Aria oder Ars Triumph, inne, welche direkt nach Ar führt. Diese Straße ist auch bekannt als Voskstraße vor allem bei jenen, die sie von der Flussseite aus sehen. Westlich von Ars Station am Fluss hatte ich Jorts Ferry, Point Alfred, Jasmine, Siba, Sais und Sulport besucht. Außerdem hatte ich auch in Hammerfest und Ragnars Hamlet haltgemacht, das mittlerweile eine recht große Stadt geworden ist. Dieses Wachstum steht im deutlichen Kontrast zu jenem von Tetrapoli, viel weiter westlich am Fluss. Ragnars Hamlet einst ein winziger Fleck erweiterte sich immer mehr.
Tetrapoli dagegen bestand ursprünglich aus vier getrennten Ortschaften – Ri, Teibar, Heiban und Azdak –, die der Legende nach von vier Brüdern gegründet wurden. Diese Orte wuchsen dann entlang des Flusses zusammen und wurden schließlich zu einem Hoheitsgebiet ernannt. Die vier Stadtteile tragen allerdings noch immer die Namen der ursprünglichen Ortschaften. Der Ausdruck Tetrapoli bedeutet im Goreanischen übrigens »Vier Städte« oder »Vier Ortschaften«.
Ich ging jetzt weiter in Richtung der Hafenstraße von Fina. Hier und dort liefen Männer an mir vorbei. Ich befand mich nun in der Nähe des Hafenviertels. Ich trat zur Seite, als eine Coffle angeketteter Mädchen, bis zur Hüfte entblößt, an mir vorbeigetrieben wurde. Die Mädchen wurden offenbar zu einer der stabilen Holzlagerhallen gebracht, deren Türen mit dem Kajirazeichen versehen waren, um dort verkauft zu werden. Sie sahen in ihren Ketten absolut wunderbar aus.
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