»Da, im Seesack. Die kleine graue Schachtel.«
Mettes schwarze Haare tauchen im Ausschnitt eines dunkelgelben Kleides auf, ihre Füße zwängen sich in ein Paar widerspenstige Pumps, während sie Befehle erteilt.
Mettes Armband auf dem Samt der Schmuckschachtel, ein breiter Goldring mit zwei kleinen glänzenden Kugeln.
» Something borrowed .« Mette schiebt den goldenen Armreif an seinen Platz auf Nannas Arm. »Das Kleid können wir zur Not als something blue bezeichnen.«
Sie schubst Nanna in Richtung Tür.
»So, und nun toi, toi, toi. Here comes the bride .«
Die Schwiegermutter wartet bereits mit Mémé, als sie zurückkommen, hat sich hinter der knisternden weißen Tischdecke und den Gläserreihen verschanzt, ihr blaßblaues Kostüm sieht zu der weißen Bluse uniformhaft aus. Sogar in der Wärme des Restaurants hat sie etwas Frostiges an sich, die Haut auf den schmalen Wangen hat kleine Vertiefungen, als wäre sie von einer unbeholfenen Schneiderin an die Gesichtsknochen gesteckt worden. Als könnte sich die dünne Haut an den Schläfen unter dem stramm zurückgekämmten Haaransatz jeden Moment lösen und den Schädel entblößen.
Schweigend defilieren sie in den hohen Raum. Yves, dessen dunkelgrüne Jacke über den Oberarmen spannt, Benoîts weiche Gestalt, stolpernd vor gutem Willen. Der Musiklehrer, dessen dünnes Haar eine fettige Haube über der feuchten Stirn bildet, seine Augäpfel in dem steifen Gesicht sind gelblich, wie Papier, das in der Sonne verblichen ist. Mette eichhörnchenhaft emsig in ihrem leuchtenden Kleid, ihr Blick ist überall. Sie begrüßt Nannas Schwiegermutter mit perfekter Höflichkeit, knickst vor Mémé.
Nanna bildet die Nachhut mit Yanns Hand in ihrer.
Die Wange der Schwiegermutter streift ihre, ein leichter, marmorkalter Schock. Sie vermeiden den Blick der anderen, und Nanna läßt sich auf dem Stuhl nieder, den Yann ihr vorgezogen hat.
Die Schwiegermutter hat sich auf Yanns andere Seite gesetzt. An ihrer eigenen Rechten sitzt Mémé mit geröteten Wangen über dem geblümten Schal und der dunkellila Bluse, ein verkleidetes Kind trotz der weißen Haare. Irgendwo unter ihren halb geschlossenen Augenlidern ahnt Nanna den Ansatz eines Lächelns.
Nanna hat ihre Blumen neben ihren Teller gelegt, das Orchideengesteck sieht auf der weißen Decke aus wie ein Sargschmuck. Sie sucht Mettes Blick, aber Mette, die sich zwischen die beiden Ritter gesetzt hat, ist eifrig damit beschäftigt, ihre Serviette aus den steifen Falten zu schütteln und sie sich auf den Schoß zu legen. Eine Wolke des Schweigens hängt über dem Tisch.
Lucienne gleitet vollbepackt über den dunklen Boden zu ihnen heran, ein lautloses Schiff. Nanna sucht ihren Blick, aber ihre übliche Freundlichkeit ist gegen eine professionelle Maske vertauscht.
Das Geräusch von Muschelschalen gegen Porzellan zerstört die Stille, der Brotkorb wird unter gedämpftem Gemurmel am Tisch herumgereicht.
»Yann, bist du so gut?«
Die Schwiegermutter nickt zu dem glänzenden Weinkühler.
» S’il te plaît. «
Der gedämpfte Knall des Korkens, das leise Brausen des Champagners in den hohen Gläsern. Die Schwiegermutter hat ihre Gabel in ihre überbackenen Jacobsmuscheln gesteckt. Nanna schielt zu ihr hinüber, wie sie ißt, die Augen nur auf den Teller gerichtet, wie sie ihr Glas hebt, um zu trinken. Als würde sie an irgendeinem Mittagstisch sitzen, als hätte ihr Sohn irgendwelche entfernten Bekannten zu einem Essen eingeladen, das nun korrekt, aber gleichzeitig so schnell wie möglich überstanden werden muß.
Am Tisch beginnen die Gäste zu essen. Die kauenden Kiefer, das Besteck, das klappernd gegen die Muschelschalen stößt, klingen unnatürlich laut in dem stillen Raum. Tränen steigen in Nanna auf. So will ihre Schwiegermutter also ihre Hochzeit haben, eine Geschäftstransaktion, eine Formalität.
»Ich glaube, wir haben etwas vergessen.« Mémé schlägt leicht an ihr Glas. Alle Blicke wenden sich ihr zu. »Ein Hoch auf das Brautpaar. Au couple! «
Die Röte breitet sich auf den Wangen der Schwiegermutter aus, zwei schnelle Pinselstriche. Einen Moment zögert sie, dann hebt auch sie ihr Glas.
» Au couple «, murmelt sie, ohne jemanden anzusehen.
Die Spannung am Tisch lockert sich ein wenig, ein kollektiver Seufzer der Erleichterung ist zu vernehmen. Das Gespräch kommt zögernd erst leise in Gang, ein neu gestarteter Motor, aber langsam bekommt die kleine Gesellschaft eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Festessen, ein Ruf hier, ein verstohlenes Lachen dort.
Nanna findet Yanns Hand unter dem Tisch, sie verflicht ihre Finger mit seinen. Seine sonst immer so warme Hand fühlt sich fischig kalt an, die Handflächen sind feucht, aber der Druck ihrer Hand wird erwidert, fest, ganz fest.
Übermorgen wird er schon auf dem Weg fort von ihr sein und sie wieder allein, allein mit der fehlenden Herzlichkeit der Schwiegermutter, allein mit dem überschäumenden Gefühl, das ihr sagt, daß ihr Kind lebt, daß es in ihrem Körper wohnt. Übermorgen wird die Wartezeit wieder beginnen. Jede Minute bis dahin ist kostbar.
» Ça va? « hört sie ihn murmeln, und sie drückt seine Hand gegen ihren Bauch, spürt, wie er die Finger spreizt, sehnsuchtsvoll, beschützend.
» Oui «, sagt sie. » Ça va .«
Der Seeteufel ist aufgegessen, die letzten Reste der kräftigen Soße genießerisch mit Brotbrocken aufgetunkt. Das Gespräch am Tisch hat ein neutrales Ventil gefunden, jetzt wird über das Essen gesprochen, über die Rohwaren, über Fische und Schalentiere. Das gut gewürzte Lammfleisch von den Salzwiesen der Region ist schon zum zweitenmal serviert worden, am Tisch glühen die Wangen nach dem reichhaltigen Mahl und von dem Wein, der in den Gläsern schwappt.
Mette radebrecht auf ihrem Schulfranzösisch, daß sogar Yves’ verschlossenes Gesicht in einem Lächeln erstrahlt. Benoît konversiert mit Mémé mit Wangen, die so sehr glühen, daß die Sommersprossen kaum noch zu sehen sind. Yann hat sich seinem alten Lehrer zugewandt, er versucht, Nanna in ein Gespräch über die gastronomischen Traditionen der Gegend mit einzubeziehen. Eine gemeinsame Willensanstrengung eint die Tischrunde, eine Willensanstrengung, die die Illusion aufrechterhalten soll, daß diese Mahlzeit eine festliche Sache ist, auch wenn der Teller der Schwiegermutter fast unberührt abgeräumt und der Wein in ihrem Glas kaum weniger wird.
» Le trou normand. «
Die Dessertschalen mit dem Sorbet werden abgedeckt, Yann schenkt aus einer verstaubten Flasche in kleine Gläser ein. Nanna befeuchtet nur ihre Lippen mit der goldfarbenen Flüssigkeit, schließt die Augen, und plötzlich ist sie wieder im Garten ihrer Kindheit, unter dem Baum mit den kleinen festen Äpfeln, die sie mit Mette auflas, noch sonnenwarm in dem hohen Gras.
Ein kurzer Impuls von Sehnsucht nach dem verlorenen Zustand von Anspruchslosigkeit und Erwartung, Sicherheit und Unschuld, trifft sie, und sie beugt sich über den Tisch, verbirgt ihr Gesicht. Sie sieht nicht, daß der Musiklehrer aufgestanden ist und sich hinter seinen Stuhl gestellt hat, bevor seine Stimme sie aufblicken läßt.
Seine feuchten Augen leben ein Eigenleben in dem ausdruckslosen Gesicht, sie können sich nicht entscheiden, ob sie wirklich weinen wollen oder lieber doch nicht.
»Meine lieben Kinder.« Seine Stimme klingt rauh vor Rührung. »Einige von euch haben mir früher den Spitznamen Pélinore gegeben nach dem König, der der Vater eines der stolzesten Ritter war. Weil ich an diesem Tisch die Generation der Väter repräsentiere, erlaubt mir ein Lied für euch zu singen, für euch, die ihr heute einander Liebe und Treue versprochen habt, Loyalität und Zusammenhalt für den Rest eurer Tage.«
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