§ 40 ProdSG konstituiert einen Straftatbestand, soweit gegen CE-Kennzeichnungsvorschriften beharrlich wiederholt verstoßen wird oder durch eine solche vorsätzliche Handlung Leben oder Gesundheit eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet sind.
e) Notwendigkeit zur Klarstellung der Herstellereigenschaft
(1) Gesetzliche Pflicht zur Gesetzestreue („Organisationspflicht“)
Der Hersteller eines Produkts ist folglich dazu verpflichtet, verschiedene Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen, die sich aus den Anforderungen des Produktsicherheitsgesetzes ergeben.69 Der Hersteller ist allerdings nicht nur auf der Grundlage des ProdSG dazu verpflichtet, diese Maßnahmen und Vorkehrungen durchzuführen. Auch aus der unternehmerischen Pflicht, Schaden vom eigenen Unternehmen fernzuhalten (Organisationspflicht), die aus der Nichteinhaltung der Herstellerpflichten folgen,70 ist der Hersteller dazu angehalten, die Herstellerpflichten nach dem ProdSG zu erfüllen.
Dass die Herstellerpflichten eingehalten werden, ist in erster Linie Aufgabe der Unternehmensleitung. Sie muss die erforderlichen Maßnahmen organisieren und einleiten, die sicherstellen, dass ausschließlich verkehrssichere Produkte vertrieben werden.71 Die Unternehmensleitung hat dazu die geltenden Produktanforderungen ihrer Produkte vor dem Marktzutritt zu ermitteln und anschließend sicherzustellen, dass diese eingehalten werden. Die interne Pflicht der Unternehmensleitung, Risiken zu erkennen und zu bewältigen, ergibt sich für die Aktiengesellschaft aus § 76 Abs. 1 AktG i.V.m. § 93 Abs. 1 AktG. Für einen Pflichtenverstoß in Konzernbeziehungen begründet § 93 Abs. 1 AktG eine Haftung der Unternehmensleitung gegenüber der eigenen Gesellschaft.72 Zusätzlich können abhängige Gesellschaften die Unternehmensführung aus §§ 309, 317, 323 Abs. 1 Satz 1 und 2 AktG in Anspruch nehmen. Ein Pflichtverstoß im Sinne des § 93 Abs. 1 AktG73 liegt dann vor, wenn die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht anwenden.74 Dazu muss sich der Vorstand bei seiner Amtsführung rechtstreu verhalten.75 Um dieser Legalitätspflicht nachzukommen, hat er dafür zu sorgen, dass für die Gesellschaft alle für die Unternehmenstätigkeiten relevanten in- und ausländischen gesetzlichen Vorschriften76 beachtet werden.77 Dies betrifft insbesondere die bereits beschriebenen Herstellerpflichten78 nach dem ProdSG.
Für den Geschäftsführer einer GmbH gilt die gleiche Pflicht aus § 43 Abs. 1 GmbhG. Danach ist der Geschäftsführer dazu beauftragt, die Geschäfte seiner GmbH ordnungsgemäß zu führen. Demnach muss er die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns anwenden, wenn er die Verpflichtungen der Gesellschaft bearbeitet. Darin enthalten ist ebenfalls die oben beschriebene Legalitätspflicht zur Rechtstreue.
Die Pflicht zum rechtstreuen Verhalten bei einer OHG und einer GbR ist nicht gesetzlich kodifiziert. Allerdings ergibt sich daraus die Pflicht, dass bei rechtswidrigem Verhalten Schadensersatzansprüche entstehen könnten. Dies widerspräche dem Grundsatz der Treuepflicht der Gesellschafter. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht ist ein zentraler Rechtssatz des Gesellschaftsrechts.79 Sie bestimmt Inhalt und Grenzen der Rechte, die dem einzelnen Gesellschafter in der Gemeinschaft zustehen. Da sich die Gesellschafter bei Gründung des Gesellschaftsverhältnisses verpflichtet haben, gemeinsam den Gesellschaftszweck zu fördern, müssen sie alles unterlassen, was diesem Zweck abträglich ist und die Interessen der Gesellschaft schädigt.80
(2) Pflicht zur Gesetzestreue durch Compliance-Strukturen
Neben der gesetzlichen Pflicht zum rechtstreuen Verhalten belegen sich die Unternehmen im Rahmen von Compliance-Programmen häufig auch mit Selbstverpflichtungen.81 Neben der Einhaltung geltender Gesetze in allen Unternehmensbereichen werden firmeninterne Verhaltensregeln eingeführt, die dazu beitragen sollen, weiteres Vertrauen gegenüber Kunden und Lieferanten herstellen.82
Um diese Selbstverpflichtungen auszugestalten, ist es für die Vertreter der Unternehmen von zentraler Bedeutung zu wissen, welche Rolle sie im Wirtschaftsleben einnehmen. Nur durch die Kenntnis der Tatsache, wann sie als Hersteller und damit als Anordnungs- oder Haftungsadressat anzusehen sind, können die internen Prozesse zuverlässig darauf abgestimmt und eine entsprechende Compliance-Struktur eingerichtet werden, stets mit dem Ziel, alle gesetzlichen, vertraglichen und selbst auferlegten Verpflichtungen korrekt einzuhalten.
Aus der gesetzlichen Pflicht zur Rechtstreue und den produktsicherheitsrechtlichen Herstellerpflichten ergibt sich: Die Unternehmen benötigen Rechtssicherheit hinsichtlich ihrer Herstellereigenschaft, da eine Reihe von Pflichten daran geknüpft ist. Werden diese Pflichten vom Hersteller verletzt, können verschiedene Rechtsfolgen für den Hersteller daraus resultieren wie strafrechtliche Sanktionen, Bußgelder sowie zivilrechtliche Haftungsansprüche anderer Wirtschaftsteilnehmer. Rechtsunsicherheit dahin gehend, ob und inwieweit ein Unternehmen als verantwortlicher Hersteller gilt, ist in einer modernen Wirtschaftswelt nicht tragbar. Unternehmer verwenden große Anstrengungen darauf, die oftmals erheblichen finanziellen Schadensersatzforderungen zu vermeiden, die im Schadensfall auf sie als Hersteller zukommen können.83 Hinzu kommt die Furcht vor einer negativen Berichterstattung durch die Medien sowie – im Fall einer Verurteilung – vor der Inanspruchnahme auf Schadensersatz. Dieser negativen Wirkung kann nur dann entgegengesteuert werden, wenn die Unternehmen wissen, dass sie in der produktsicherheitsrechtlichen Verantwortung als Hersteller stehen und Maßnahmen einleiten können, die sie vor öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Inanspruchnahme schützen.
2. Klarstellungsinteresse aus staatlicher Sicht
Das Klarstellungsinteresse an der Präzisierung und Konkretisierung des Herstellerbegriffs besteht nicht nur aus Unternehmersicht, sondern auch aus der Perspektive der Marktüberwachungsbehörden. Obwohl das Produktsicherheitsrecht hauptsächlich präventiv wirken soll, sind die Maßnahmen der Marktüberwachungsbehörden nach dem ProdSG bei einem unsichereren Produkt dennoch repressiv und fallen daher unter die öffentlich-rechtlichen polizeirechtlichen Grundsätze. Im Rahmen der nachträglichen Marktüberwachung stellen die Maßnahmen der Marktüberwachungsbehörden84 nach dem ProdSG daher Verwaltungsakte85 im Sinne von § 35 S. 1 VwVfG dar.86
Die Marktüberwachungsbehörden können nur dann wirksame Wirtschaftsüberwachungsverwaltungsakte erlassen, wenn die Störerauswahl rechtmäßig ausgeübt wurde. Daher müssen die Marktüberwachungsbehörden im Sinne einer effektiven öffentlich-rechtlichen Gefahrenabwehr den Hersteller korrekt und eindeutig identifizieren können, um rechtmäßige Verwaltungsakte zu erlassen. Soweit ein Wirtschaftsteilnehmer fehlerhaft als Hersteller angesehen wird, ist der ihm gegenüber erlassene Wirtschaftsverwaltungsakt rechtswidrig, sofern er nicht als ein anderer „Wirtschaftsakteur“ im Sinne des § 2 Nr. 29 ProdSG gilt oder die Ausnahmeregelung des § 27 Abs. 1 S. 2 ProdSG einschlägig ist. Eine effektive Gefahrenabwehr durch Wirtschaftsverwaltungsakte kann allerdings nur dann gewährleistet werden, wenn die zu erlassenen Verwaltungsakte auch rechtmäßig und damit unanfechtbar sind.
Die Marktüberwachungsbehörden haben im Rahmen des Auswahlermessens den Adressaten der Maßnahme (Störer) zu ermitteln.87 Dazu werden in § 27 Abs. 1 ProdSG die möglichen Adressaten der Marktüberwachungsmaßnahmen gemäß § 26 Abs. 2, 4 ProdSG festgelegt. Um eine rechtmäßige Störerauswahl durchzuführen, müssen die Marktüberwachungsbehörden unzweifelhaft die infrage kommenden Adressaten – unter anderem den Hersteller – feststellen können.
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