Für den räumlichen Anwendungsbereich der sektoralen Harmonisierungsrechtsakten ist maßgeblich, in welchem Staat ein Produkt in Verkehr35 gebracht wird. Das ergibt sich unter anderem aus Artikel R2 Abs. 1 des Musterbeschlusses Nr. 768/2008/EG, in dem es heißt: „Die Hersteller gewährleisten, wenn sie ihre Produkte in Verkehr bringen, dass diese gemäß den Anforderungen von […] entworfen und hergestellt wurden.“ In den Harmonisierungsrechtsakten bestehen ebenfalls keine Regelungen, die festschreiben, dass der Hersteller innerhalb des räumlichen Anwendungsbereichs seinen Sitz haben muss. Die Harmonisierungsrechtsakte schreiben somit nicht fest, dass der Hersteller des Produkts in der Europäischen Union niedergelassen sein muss.36 Vielmehr muss der Hersteller, unabhängig davon, wo er niedergelassen ist, dieselben Anforderungen erfüllen wie ein in der Europäischen Union niedergelassener Hersteller. Eine Bedeutung für die Auslegung des Herstellerbegriffs resultiert daraus wie bereits beim ProdSG ebenfalls nicht. Da allerdings nur innerhalb des räumlichen Anwendungsbereichs der Harmonisierungsrechtsakten ein Inverkehrbringen vorliegen kann und das Inverkehrbringen für verschiedene Fallgruppen der Herstellerdefinition ein maßgebliches Tatbestandsmerkmal ist, ist der räumliche Anwendungsbereich der Harmonisierungsrechtsakte dennoch von entscheidender Bedeutung, wie noch zu zeigen sein wird.
6„Sektoraler Harmonisierungsrechtsakt“ ist ein Sammelbegriff für EU-Richtlinien und EU-Verordnungen, in denen spezifische Anforderungen an Produkte im europäischen Binnenmarkt gestellt werden. 7Siehe dazu Teil D. VIII. Nr. 1. 8Siehe dazu Teil C. II. 9Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Dezember 2001 über die allgemeine Produktsicherheit, ABl. EG Nr. L 11 S. 4. 10Siehe dazu vertiefend Teil E. 11Art. 114 AEUV ist die Nachfolgenorm zu Art. 95 EGV, auf dessen Grundlage ebenfalls EU-Richtlinien erlassen wurden. 12Europäische Kommission, Leitfaden für die Umsetzung der nach dem neuen Konzept und dem Gesamtkonzept verfassten Richtlinien, Punkt 1.4, S. 12. 13Beschluss der Kommission (2010/713/EU) vom 9. November 2010 über Module für die Verfahren der Konformitäts- und Gebrauchstauglichkeitsbewertung sowie der EG-Prüfung, die in den gemäß Richtlinie 2008/57/EG des Europäischen Parlaments und des Rates angenommenen technischen Spezifikationen für die Interoperabilität zu verwenden sind (bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2010) 7582) (Modulbeschluss), I B lit. b.; Schneider, Zertifizierung im Rahmen der CE-Kennzeichnung, S. 8. 14Klindt, „Das Recht der Produktsicherheit: ein Überblick“, S. 299. 15Schneider, Zertifizierung im Rahmen der CE-Kennzeichnung, S. 8. 16Europäische Kommission, Ein globales Konzept für Zertifizierung und Prüfwesen, KOM (89), 209 endg. V. 15.06.1989, Nr. C 267. 17Modulbeschluss 93/465/EWG vom 22. Juli 1993. 18Schneider, Zertifizierung im Rahmen der CE-Kennzeichnung, S. 46. 19Beschluss Nr. 768/2008/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für die Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung des Beschlusses 93/465/EWG des Rates, Erwägungsgrund 14. 20Vorschlag der Kommission vom 13.02.2013 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sicherheit von Verbraucherprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 87/357/EWG des Rates und der Richtlinie 2001/95/EG (COM(2013) 78 final). 21Adam, Die Mitteilungen der Kommission, S. 415 ff.; Klindt in: Klindt, Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG), § 1 Rn. 26 und 28 ff. 22Beispielsweise regelt eine EU-Richtlinie nur mechanische, aber nicht thermische Risiken eines bestimmen Produkts. Dementsprechend gelten für diese thermischen Risiken die einschlägigen Sicherheitsanforderungen der Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit, wenn auch keine nationalen Sicherheitsanforderungen für diese thermische Risiken bestehen und es sich zudem um ein Verbraucherprodukt handelt. 23Siehe dazu instruktiv Teil E. II. Nr. 2; Pfenninger, AJP/PJA 2014, 1157, 1166. 24Als Beispiele dafür sind das Lebensmittel- und Futtermittelgesetz oder das Artenschutzgesetz zu nennen. 25Seit 1. Dezember 2009 mit Inkrafttreten des „Vertrags von Lissabon“: „EU-Richtlinie“. 26Mit dem Ablauf der jeweiligen Umsetzungsfrist einer EU-Richtlinie, ohne einer nationalen Umsetzung der entsprechenden Richtlinie, entfaltet die EU-Richtlinie auch im nationalen Produktsicherheitsrecht direkte Wirkung, siehe dazu instruktiv Schucht, StoffR 2015, 192, 193. 27Richtlinie 2014/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die elektromagnetische Verträglichkeit. 28Richtlinie 2014/35/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung elektrischer Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen auf dem Markt. 29Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG. 30Richtlinie 2014/68/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung von Druckgeräten auf dem Markt. 31Richtlinie 2014/53/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über die Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung von Funkanlagen auf dem Markt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/5/EG. 32Lach/Polly, Produktsicherheitsgesetz, S. 4. 33Schucht in: Klindt, Produktsicherheitsgesetz ProdSG, 2015, § 1 Rn. 35. 34Klindt/Schucht in: Klindt, Produktsicherheitsgesetz ProdSG, 2015, § 2 Rn. 117. 35Siehe zur Inverkehrgabe instruktiv Teil F II. Nr. 3 dd). 36Blue Guide, C 272/29.
II. Gesetzliche Definition des Herstellerbegriffs
1. Definition des Herstellerbegriffs
Der Hersteller stellt einen Wirtschaftsakteur37 im Sinne des ProdSG dar und wird nach § 2 Nr. 14 ProdSG wie folgt definiert:
„jede natürliche oder juristische Person, die ein Produkt herstellt oder entwickeln oder herstellen lässt und dieses Produkt unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke vermarktet; als Hersteller gilt auch jeder, der
a) geschäftsmäßig seinen Namen, seine Marke oder ein anderes unterscheidungskräftiges Kennzeichen an einem Produkt anbringt und sich dadurch als Hersteller ausgibt oder
b) ein Produkt wiederaufarbeitet oder die Sicherheitseigenschaften eines Verbraucherprodukts beeinflusst und dieses anschließend auf dem Markt bereitstellt.“
Bereits nach dem Wortlaut der Legaldefinition in § 2 Nr. 14 ProdSG ist eine klare begriffliche Eingrenzung kaum möglich, welcher Wirtschaftsteilnehmer nun als Hersteller gelten soll. Es ergeben sich nämlich gleich mehrere Fallgestaltungen, nach denen ein Wirtschaftsteilnehmer zum „Hersteller“ werden kann:
– eigene Produktion des Produkts
– Herstellung des Produkts durch einen Dritten im Auftragsverhältnis bei Vertrieb des Produkts unter eigenem Namen
– Entwicklung des Produkts durch einen Dritten bei Vertrieb unter eigenem Namen.
– Aufbereitung einer Sache vor dem abermaligen Inverkehrbringen
– Beeinflussung der Sicherheitseigenschaften eines Verbraucherprodukts
– wesentliche Veränderung eines Produkts
– Anbringen der Handelsmarke, Warenzeichen oder Firmennamen auf einem Produkt (sogenannter Quasi-Hersteller).
2. Die Herstellereigenschaft im Produktlebenszyklus
Abbildung 2: Begründung der Herstellereigenschaft Quelle: eigene Darstellung
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