1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 »Mit schlimmen Folgen?«
»Alles relativ. Beim nächsten Einsatz wäre es um eine Messerstecherei gegangen. Aber ich wollte nicht schon wieder an das erinnert werden, was letzte Woche in Lade passiert ist. Stattdessen habe ich mich nach Ruhe und Harmonie gesehnt.«
»Dacht ich mir’s doch.«
»Ich weiß, worauf du anspielst. Aber was zum Teufel können Ivar und ich denn schon ausrichten?«
»Das müsst ihr schon selber wissen. Jedenfalls finde ich, dass eure kommentarlosen Berichte die Realität banalisieren und verschleiern. Den Sinn eines solchen Journalismus verstehe ich einfach nicht.«
»Bei den Lesern kommt das sehr gut an. Die Leute werden auf dem Laufenden gehalten, was in ihrer Gegend passiert, ohne dass wir reißerische Artikel draus machen müssen. Glaub mir, die Leute haben Fantasie genug, um sich den Rest auszumalen.«
»Trotzdem solltet ihr mal über eine andere Form nachdenken. So wie die Rubrik im Moment aussieht, hat sie überhaupt keinen Sinn ... sag mal, hast du eben gesagt, es wäre halb eins?«
»Fünf nach halb.« William verstand mit einem Mal, warum sie nachfragte. Er hatte schon die ganze Zeit das Gefühl gehabt, dass sie etwas beunruhigte, obwohl sie ganz von dem zweitklassigen Film gefesselt zu sein schien.
»Heidi hat fest versprochen, spätestens um zwölf zu Hause zu sein. Darum hatte ich auch begonnen, den Film zu gucken. Ich schaffe es einfach nicht, mich auf ein Buch zu konzentrieren, wenn sie unterwegs ist.«
»Ist sie nicht auf einem Fest mit einer Reihe anderer Konfirmanden?«
»Doch, einige wollten sich bei Jensens treffen, aber ohne den Pfarrer.« Sie stand auf und ging zum Fenster.
»Jetzt machst du dir wirklich unnötig Sorgen.«
»Ich kann doch nichts dafür!« Sie presste das Gesicht gegen die Scheibe und versuchte auf die Straße zu schauen.
»Früher hast du dir eben Sorgen um Anders gemacht. Und im Großen und Ganzen ist doch immer alles gut gegangen, auch wenn er manchmal zu spät kam. Keine Schlägereien, kein Haschisch ...«
»Ja, stimmt schon. Aber Heidi ist doch erst vierzehn ... und ein Mädchen.«
»Jetzt entspann dich und setz dich wieder hin, Solveig. Wenn wir ihr nicht vertrauen, dann kann sie uns auch nicht trauen.«
»Ihr vertrauen? Sie hatte versprochen, vor über einer halben Stunde zu Hause zu sein!«
William spürte, wie er sich wieder einmal von ihrer Besorgnis anstecken ließ. Er hasste dieses beklemmende Gefühl in der Magengrube, die Unsicherheit, die sich in ihm ausbreitete. Gleichzeitig fühlte er sich verpflichtet, sie zu beruhigen, so zu tun, als gäbe es nicht den geringsten Anlass zur Nervosität.
»Dabei hatten wir’s doch gerade so gemütlich. Aber okay, wenn sie bis eins nicht da sein sollte, verständigen wir die Polizei.« Er zwang sich zu einem lauten Lachen.
»Lass uns einfach bei Jensens anrufen. Ich mach das schon.«
»Na gut, wenn es dich beruhigt. Aber verlass dich drauf, dass du die Erste bist. Heidi wird dir sicher ungeheuer dankbar sein!«
Solveig ließ sich unwillig wieder auf das Sofa plumpsen. Nahm einen Schluck und sagte: »Ich verstehe nicht, wie du so gelassen sein kannst. Gerade du, der genau weiß, was in dieser Gegend für schreckliche Dinge geschehen.«
»Das meiste ist völlig harmlos.« Er strich ihr über den Kopf. Ihr Haar fühlte sich ganz und gar nicht nach getrockneter Lava an. Es war weich, und er wünschte sich, dass seine Tochter in ihrem Zimmer schliefe und Solveig in seinen Armen läge und dass sie diejenige wäre, nach der er sich gesehnt hatte, seit er nach Hause gekommen war. Doch was Sex betraf, gab es keinen schlimmeren Feind als nagende Angst.
»Das meiste, ja. Aber sie ist noch so jung. Und so unerfahren.«
»Unbekümmert ...«
»Genau. Es geschehen nun mal so furchtbare Dinge, William!«
»Darüber bin ich mir im Klaren. Aber es gibt doch auch ganz normale Verspätungen. Man trifft irgendwelche Bekannte und vergisst die Zeit. Vor allem, wenn man jung ist.« Er zog sie an sich und senkte die Stimme. »Bist du Musterkind etwa nie zu spät nach Hause gekommen?«
Sie nickte verhalten, und als er spürte, wie sie sich ein wenig beruhigte, versuchte er den alten Gesprächsfaden wieder aufzunehmen, indem er sie daran erinnerte, dass schließlich sie es gewesen war, die ihn überredet hatte, die Streifenpolizisten zu begleiten. Doch obwohl seine Taktik Erfolg hatte, irritierte es ihn, dass die Angst um ihre Tochter jetzt auf ihn übergegangen war. Außerdem ärgerte er sich, dass er etwas getrunken hatte und seine Tochter nicht mehr mit dem Auto abholen konnte.
Um ein Uhr hielt er es nicht mehr länger aus, sprang auf und sagte forsch: »Jetzt ruf ich an und verderbe ihnen den Abend! Hast du die Nummer?«
Die hatte Solveig, doch genau in dem Moment, als er vor dem schmalen Schreibtisch stand, die Nummer eintippte und sich davor fürchtete, wie die Antwort ausfallen würde – falls überhaupt jemand ans Telefon ging –, hörten sie das altbekannte, wohltuende Geräusch der Haustür, die ins Schloss fiel. Er schaffte es gerade noch, den Hörer aufzulegen, bevor Heidi, den Schlüssel in der Hand, mit roten Wangen ins Zimmer stürzte und rief, sie hätten solch einen Spaß gehabt.
Zur geplanten Standpauke kam es nicht. Williams Magenschmerzen waren wie weggeblasen, und als Heidi die Verspätung damit erklärte, der Sohn von Herrn Jensen habe sie nicht wie verabredet mit dem Auto abgeholt und es sei schwierig gewesen, ein Taxi zu bekommen, kehrte in der Wohnung der Familie Schrøder wieder Ruhe und Frieden ein.
Ein weiteres Mal konnten sie feststellen, dass die großen Unglücke immer nur anderen zustießen.
hatte er Schwierigkeiten, einen unangenehmen Traum loszuwerden, der ihn in der Nacht gequält hatte. Er brauchte frische Luft, fuhr mit dem Auto bis an den Stadtrand und machte sich mit seinen Langlaufskiern auf den Weg. Solveig besuchte lieber eine Vernissage, während Heidi sich aus beidem nichts machte.
Das Wetter ließ allerdings zu wünschen übrig. Die Temperatur lag um den Gefrierpunkt, es schneite stetig, und auch der Untergrund hätte besser sein können. Darum schnallte er schon bei Grønlia seine Skier ab, ging in die Hütte, reinigte seine beschlagenen Brillengläser und entdeckte, als er wieder freie Sicht hatte, ein loderndes Kaminfeuer – sowie einen guten Freund.
»Mistwetter«, stellte Oddvar fest, der mit einer etwa gleichaltrigen Frau an einem der Tische saß und Kaffee trank.
Oddvar Skaug war der einzige seiner alten Freunde, mit dem William immer noch Umgang pflegte. Er vertrat durchdachte Meinungen und hielt mit ihnen nicht hinterm Berg, vor allem wenn es um Frauen und Fußball ging. Sie gingen fast immer zusammen ins Lerkendalstadion, doch im Gegensatz zu William war Oddvar unverheiratet und kinderlos. Er besaß eine kleine Computerfirma namens Omega, die sich auf Firmenberatung spezialisiert hatte. Obwohl er für verschiedenste Unternehmen arbeitete, war er offenbar nicht clever genug, so viel zu verdienen wie manche seiner Konkurrenten, worüber er sich nur selten beklagte. Im Gegensatz zu den meisten von Williams Bekannten schien Geld für ihn keine dominierende Rolle zu spielen.
»Darf ich dir Gøril vorstellen?«
Ihr Nachname schien ihm im Moment entfallen zu sein, aber was machte das schon. Oddvars Damenbekanntschaften waren ebenso flüchtig wie Eintagsfliegen.
»William arbeitet für den Trondheimer Anzeiger, als Experte für Kriminalfälle.«
»Wie aufregend.«
Er setzte sich wieder die Brille auf und war sich nicht sicher, ob die Antwort ironisch gemeint war oder nicht. Doch der nordländisch gefärbte Klang ihrer Stimme sowie ihre neugierigen Augen unter den Locken schienen auf Letzteres hinzudeuten.
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