Das Kind biß sich auf die Unterlippe. Was sollte sie ihrem Onkel sagen, den sie ja um keinen Preis verärgern wollte?
Gérard de Nantes, ein Vetter des amtierenden Bischofs und enger Freund der Familie der Belvilles, kam dem Mädchen unerwartet zu Hilfe und gestand, daß er selbst Jeanne irgendwann einmal davon erzählt hatte. Und verteidigte sich mit den Worten:
»Ach, Herzog Jean, jeder im Lande weiß doch seit den Tagen der Templerprozesse, daß die armen Ritter des Herrn merkwürdigerweise und völlig unchristlich einen bärtigen Männerkopf angebetet haben. Das ist doch längst kein Geheimnis mehr.«
Er heischte unter den Gästen der Tafel um Zustimmung, und tatsächlich nickten auch einige der Adeligen.
»So! Ist es nicht?« nahm der Herzog seine Frage auf. »Dann laß dir von mir gesagt sein, Gérard de Nantes, daß der Baphomet nur für die Kirche und den französischen König ein – wie beschriebst du ihn noch? – bärtiger unheimlicher Männerkopf ist. In Wahrheit ist er etwas vollkommen anderes. Keiner, der alle Sinne beisammen hat, würde einen solchen Kopf anbeten, und die Templer waren äußerst kluge Leute, mein Lieber. Laß dir das von mir gesagt sein!«
Es schien klüger, sich nicht weiter über dieses Thema mit dem Herzog anzulegen, entschied der Neffe des Bischofs. Der knurrige Unterton in der Stimme des mächtigen Mannes hatte ihn gewarnt.
»Leg dich jetzt schlafen, Jeanne«, wandte sich der Herzog wieder dem Mädchen zu, das noch immer auf eine Antwort wartete.
»Und versprich mir, daß du den Namen Baphomet niemals mehr in den Mund nimmst.«
Jeanne nickte brav. Wenn Onkel Jean dies von ihr verlangte, dann würde sie ihm nicht widersprechen. Aber vergessen würde sie diesen komischen Baphomet nicht, entschied sie, wenn der Herzog schon so ein großes Geheimnis darum machte. Sobald sie älter war, würde sie der Sache einmal nachgehen, nahm sich die Kleine der Belvilles vor und verschwand artig hinter der eichenen Doppeltür. Drinnen im Saal kehrte die Gesellschaft wieder zu ihrer alten Fröhlichkeit zurück.
Spät in der Nacht zogen sich der Herzog, Maurice und Genéviève de Belville und Gérard de Nantes in ein Turmzimmer im Westflügel zurück, um dort wichtige Dinge, die nur sie vier allein etwas angingen, zu bereden. Es ging um die Zukunft Jeannes, genauer gesagt, um ihren zukünftigen Gemahl. Jean III. hatte diesbezüglich die Andeutungen ihrer Mutter Genéviève in der Vergangenheit sehr gut verstanden. Jeanne würde einstmals in eine andere bretonische Familie einheiraten müssen, die ebenso wie die Belvilles über Macht und Ansehen im Lande verfügte. Alles darunter wäre verschenktes Kapital. Für den Herzog kam für diese wichtige Liaison nur eine einzige Familie in Frage: die Clissons aus Nantes; jene Clissons, mit denen sich Maurice de Belville schon einmal wegen eines völlig nichtigen Vorfalls angelegt hatte. Aber auch die Clissons konnten deswegen, zu Recht beleidigt sein, und deshalb war es nützlich, daß der Herzog selbst zwischen den beiden Adelsfamilien vermittelte. Es war niemals Jean le Bons Art gewesen, lange um den heißen Brei herumzureden, sondern er kam, nachdem die Tür hinter ihnen fest verschlossen war, sogleich auf den Punkt ihres Zusammentreffens.
»Gut! Gérard ist auch dabei. Auf ihn komme ich später noch zurück. Zunächst aber zu euch beiden.«
Er nahm das Ehepaar fest in seinen Blick.
»Maurice, Genéviève, Ihr wißt beide, daß ich Eure Tochter Jeanne über alles schätze. Fast könnte ich ein wenig neidisch sein, daß ich nicht selbst so eine aufgeweckte und hübsche Tochter habe wie Ihr.«
Maurice wollte ihn unterbrechen, vermutlich um seine gegenteilige Meinung zum Ausdruck zu bringen, aber der Herzog winkte barsch ab.
»Später, Maurice!«
Unbeirrt fuhr er fort:
»Ich mag Jeanne sehr. Das müßt Ihr wissen. Und deshalb ist mir auch an ihrer Zukunft so sehr gelegen. In diesen Zeiten, wo der Feind an unserer Grenze aufmarschiert, jederzeit darauf wartend, eine Blöße von uns für sich auszunutzen, müssen wir Bretonen zusammenstehen wie ein Mann. Familienfehden untereinander darf es in diesen Tagen nicht mehr geben. Es kann nicht angehen, daß sich Häuser bekriegen wegen irgendwelcher Hasen, von denen der eine behauptet, daß sie ihm gehören, weil sie auf seinem Gebiet rammeln. Solch eine Borniertheit können wir uns nicht mehr leisten. Wenn wir nicht alle zusammenhalten, werden uns die Franzosen vernichten. Das muß uns klar sein! Deshalb bin ich der festen Überzeugung, daß Bande geknüpft werden müssen. Feste Bande, Ehebande, Blutsbande, denn nichts ist stärker als das Blut. Eure Tochter Jeanne muß in ein hohes Haus einheiraten. Nicht irgendein Haus! Für mich persönlich ist es keine Frage, daß es in der Bretagne nur ein einziges solches hohes Haus gibt, nämlich das der Clissons. Jeanne wird, dies ist mein Wunsch, sobald sie sechzehn Jahre alt geworden ist, Olivier de Clisson heiraten. Die Verlobung könnte schon bald sein. In drei, vier Jahren. Ich habe dies alles so beschlossen, weil es sinnvoll und gut ist und wichtig für unser Land. Und du, Maurice, darfst jetzt aussprechen, was du mir vorhin sagen wolltest.«
Der Graf wirkte zerknirscht. Jean hatte ihn mit seiner Rede völlig überrumpelt. Insgeheim ahnte er sehr wohl, wem er diese unangenehme Situation zu verdanken hatte, nämlich seiner Frau. Was sollte er dem Herzog antworten? Natürlich hatte Jean recht, wenn er sagte, daß es für Jeanne nur das Beste geben sollte. Aber mußten es denn ausgerechnet die Clissons sein? Er haßte dieses Familie aus Nantes, diese Angeber, diese Protze, die jedes Jahr ihr Schloß renovierten und sich sogar Möbel aus Italien liefern ließen. Guillaume de Clisson, Oliviers Vater, war sich noch nicht einmal zu schade, ausländische Künstler zu sich zu holen. Was das an Geld kostete, konnte sich ja jeder ausrechnen. Eine solche Verschwendung war Maurice de Belville schier unbegreiflich. Und in so eine Familie sollte seine Tochter Jeanne einheiraten? Das Mädchen würde sich sicherlich alles andere als wohl fühlen, wenn sie in ein so luxuriöses Haus kam, vermutete der Graf. Andererseits waren die Clissons eine mächtige Familie, und eine Verbindung zwischen beiden Häuser ein Ereignis, das mit einem Schlag politische Fakten schaffte. Wenn da nur nicht diese Geschichte mit der Parforcejagd gewesen wäre, bei der ihn die Clissons über den Tisch gezogen hatten ...
Und als ob der Herzog seine Gedanken gelesen hätte, unterbrach dieser seinen Gedankengang:
»Falls Ihr aber das Glück Eurer Tochter und unseres ganzen Landes wegen dieser kindischen Sache von einst aufs Spiel setzen wollt, so laßt Euch folgendermaßen besänftigen: Die Clissons werden sich bei Euch entschuldigen und Euch eine neue Jagd anbieten. Diesmal absolut zu Euren Bedingungen!«
Das war gelogen! Der Herzog hatte überhaupt noch nicht mit Guillaume de Clisson über diese Angelegenheit gesprochen, und ganz bestimmt würden sich die Clissons auch nicht dafür bei Maurice entschuldigen. Aber es war wichtig, dem Grafen jeglichen Wind aus den Segeln zu nehmen, und eine kleine Notlüge konnte ja nicht so schlimm sein, entschied der Herzog. Er würde dies schon beizeiten zu regeln wissen. Er legte eine Hand auf die rechte Schulter des Grafen und blickte diesen aufmunternd an.
»Nun, mein lieber Maurice, welche Antwort gebt Ihr mir heute?«
Was für ein ausgebuffter Fuchs er doch war, überlegte Genéviève. Maurice konnte ja gar nicht anders, als sich ihm zu fügen. Geschickt auch Jeans Taktik mit dieser elenden Jagdangelegenheit. Jean III., Herzog der Bretagne, wurde nicht zu Unrecht von all jenen zugleich gefürchtet und bewundert, die mit ihm näher zu tun hatten. Dieser mächtige Mann überlegte sich bei jedem im voraus ganz genau, wie er ihn zu nehmen hatte und wo seine schwachen Seiten waren. Für Maurice mußte es eindeutig sein, daß eine Einheirat in die Familie der Clissons das Beste war, was seiner Tochter Jeanne passieren konnte. Jetzt waren alle Augen auf ihren Gemahl gerichtet. Dieser räusperte sich mehrmals, bevor er zu reden anfing.
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