Der Getadelte wich seinem Blick aus und brummte etwas wie: »Wer mich besuchen will, wird mich schon zu finden wissen«, oder so ähnlich –, aber der Herzog war schon weitergeeilt, um diese Bemerkung noch zu hören. Jeder im Schloß und im Umkreis wußte, daß Graf Maurice de Belville einfach viel zu geizig war, um seine Zufahrtswege in Ordnung zu halten. Lieber steckte er sein ganzes Geld in die Jagd, als daß es ihm eingefallen wäre, sein Land, alle Wege und Straßen darin in Ordnung zu halten. Seine Frau ließ keine Gelegenheit aus, ihren knausrigen Gemahl immer wieder daran zu erinnern, weil sie sich für seinen Geiz so sehr schämte. Sogar am Schloß selbst verwandte der Graf sein Geld nur für das Nötigste.
»Ein echter Bretone verschwendet sein Geld nicht für Luxus, wie es die Franzosen tun. Er gibt es sinnvoll aus, entweder für Kriege oder für die Jagd«, lautete seine Devise. Damit war das Thema für ihn beendet.
Am frühen Abend war die Tafel im großen Saal des Schlosses festlich gedeckt. Im Kamin brannte ein großes Feuer. Fackeln an den Wänden erhellten den Saal. Die Stimmung der Gäste war gut. Genéviève de Belville hatte noch Freunde und Verwandte eingeladen. Sie sollten ja schließlich nicht im ungewissen darüber bleiben, wie gut es der Herzog mit den Belvilles meinte.
Speisen und Getränke wurden reichlich aufgetischt. Es gab Fasan und anderes Wildbret, dazu frische Waldpilze, Bohnen und Rüben, süße Kuchen, kleine Crêpes mit Früchten, Wasser und vor allem viel, viel Wein. Wein war teuer und mußte aus Südfrankreich in Fässern bezogen werden, aber Wein war neben der Jagd das einzige, was sich der Graf reichlich gönnte. Eine Delikatesse, die er sich im Gegensatz zu anderen Adeligen im Lande versagte, war Zucker, der noch um vieles teurer und kostbarer war als Wein. Zweimal erst in ihrer Ehe hatte er Genéviève mit dieser sogenannten ›maurischen‹ Delikatesse überrascht: bei der eigenen Hochzeit und am Tage nach der Geburt ihrer Tochter Jeanne. Um so mehr freute sich die Gräfin, als ihr der Herzog bei Tisch überraschend ein solch süßes Stückchen als Gastgeschenk überreichte. Ein Raunen ging durch die Anwesenden, weil Jean III. dadurch nicht nur die Frau des Hauses im besonderen ehrte, sondern auch allen im Lande den Stellenwert verriet, den die Belvilles bei ihm innehatten. Genéviève schoß auch augenblicklich die Röte ins ansonsten makellos reine Gesicht, wobei es auch nicht wenige Spötter unter den anwesenden Adeligen gab, die behaupteten, daß die Gräfin dies ohnehin auf Kommando könne. Der Herzog jedenfalls zeigte sich von ihrem Charme tief beeindruckt und brachte einen Toast auf die »bezaubernde und ewig junge« Genéviève de Belville an.
Bei Tisch ging es recht laut und lebhaft zu. Man aß mit den Händen, zerbrach die Knochen des Geflügels, schmatzte lustvoll, wischte sich die fettigen Finger am eigenen Gewand ab und schob sich kurz darauf das Gemüse oder die Crêpes mit Früchten in den triefenden Mund. Der Wein floß in Strömen; es wurden immer wieder gefüllte Krüge mit dem kostbaren Rebensaft auf den langen Tisch gestellt. Dann, nachdem der erste Hunger gestillt war, kam der Barde und sang, begleitet von einer Laute, vom faulen, aber gierigen König der Franzosen, dessen Bauch bald aus allen Nähten zu platzen drohte. Den Anwesenden gefiel es, und sie lobten den Barden, der sich mit Zugaben bei ihnen bedankte. Die Gespräche bei Tische drehten sich unter anderem auch um jüngste Geschäftsbeziehungen mit Italien, wo in Florenz die mächtige Calimala, die traditionsreiche Zunft von Tuchhändlern, ihre Fühler bereits bis ins Innere der Bretagne ausgestreckt hatte. Hier und da wurde auch heftig über Politik geredet. Vor allem über französische. Graf Bernard de Guincamp brachte das Gespräch unter anderem auf die Templer, deren Orden von den Franzosen in den letzten Jahren verfolgt und systematisch vernichtet worden war.
Philipp der Schöne, einstmals König von Frankreich, hatte vor einigen Jahren die Inhaftierung der Templer befohlen, weil er sich an ihren sagenhaften Schätzen bereichern wollte. Die großangelegte Verhaftungswelle hatte die klugen Ordensbrüder völlig überrascht, so daß sie sich gegen die königliche Willkür kaum zur Wehr gesetzt hatten. Allein am ersten Tag waren 15 000 von den Männern mit den weißen Mänteln und dem roten Tatzenkreuz darauf in Ketten gelegt worden. Philipp und vor allem der Papst hatten den Templern Blasphemie und Paktieren mit dem Teufel zur Last gelegt. Von angeblich schlimmen Greueln war gar die Rede gewesen. Der Großmeister des Ordens, Jacques de Molay, ein Mann, den jeder aufrechte Bretone geschätzt hatte, war im Jahre 1314 auf der Pariser Seine-Insel bei einer Nacht-und-Nebel-Aktion verbrannt worden. Auf diese feige Tat bezog sich Graf Bernard de Guincamp, als er ganz erregt ausrief:
»Den armen Molay haben sie ohne jeglichen Prozeß ermordet. Wie ein Stück Vieh wurde er in Paris verbrannt. Diese Franzosen sind schlimmer als seinerzeit die Mauren, sage ich euch. Wir hier sollten uns alle vorsehen und es mit ihnen niemals in Güte versuchen. Kein Franzose dankt es einem, der es mit ihm in Güte versucht.«
»Jacques de Molay war ein aufrechter und tapferer Mann gewesen. Das weiß ein jeder. Ich habe ihn persönlich gut gekannt, diesen klugen Großmeister des Templerordens«, antwortete überraschend der Herzog. Wenn Jean III. seine Stimme bei Tisch erhob, wurde es augenblicklich mucksmäuschenstill im Saal. »Aber eines Tages, mein lieber Graf de Guincamp, wird der Orden dieser armen Ritter des Herrn wieder auferstehen und die Franzosen für alles erlittene Unrecht büßen lassen!«
Die meisten unter den Anwesenden nickten zustimmend, obwohl niemand im Saal zu sagen gewußt hätte, woher der zerschlagene Templerorden seine Macht wieder hätte hernehmen sollen. Philipp der Schöne hatte seinerzeit ganze Arbeit geleistet.
»Und wird dann Baphomet die Franzosen in Angst und Schrecken versetzen?«
Einen Moment lang war nicht eindeutig zu klären, woher das zarte Stimmchen plötzlich kam.
»O nein! Dieses elende Biest schon wieder«, stöhnte Graf de Belville und zog seine strampelnde und sich wehrende Tochter unter dem großen Tisch hervor. Der Herzog strahlte das Mädchen an. Seine Augen leuchteten.
»Hast dich wohl die ganze Zeit über dort unten versteckt gehalten, um zu lauschen, was wir Großen so reden, nicht wahr?
Jeanne nickte brav.
»Komm einmal her zu mir, Kleines! Hab keine Angst! Ich verrate dir nämlich etwas.«
Jeanne trat dicht an den Herzog heran, und dieser flüsterte ihr ins Ohr, daß er dies als kleiner Junge am Tisch seines Vaters auch einmal gemacht hatte.
»Aber erzähl es keinem anderen, versprochen? Es soll unser Geheimnis bleiben.«
Das Mädchen nickte aufgeregt. »Ja!«
»Sie benimmt sich so schlecht wie ein Köhlerskind«, meinte Graf Maurice erbost. »Ein rotzfrecher Wildfang! Als ob es kein Mädchen wäre, sondern sonst was! Nicht einmal ihre Brüder würden es wagen, sich so zu benehmen. Wo bloß ihre Zofe nur wieder steckt? Amélie sollte das Kind doch längst ins Bett gebracht haben.«
Aber der hohe Gast winkte ab. Jeanne störte ihn nicht.
»Was nutzt das schon, wenn einen die Neugier quält, nicht wahr?«
Dieser Herzog, der mächtigste Mann der Bretagne, war ganz nach Jeannes Geschmack. Wenn doch ihr Vater auch nur so unkompliziert wäre, dachte sie. Denn dieser packte sie jetzt am Arm und zerrte sie von der Tafel weg.
»Rauf mit dir, Jeanne! Ins Zimmer! Und laß dich hier unten heute abend nicht mehr blicken!«
»Aber was ist denn nun mit Baphomet, Onkel Jean?« rief das Mädchen verzweifelt aus.
Zum ersten Mal wurden die Gesichtszüge des Herzogs ernst, als er sich Jeanne wieder zuwandte.
»Ich wundere mich, woher du von Baphomet weißt. Es ist nämlich ein großes Templergeheimnis, hörst du?«
Читать дальше