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Rätsel im Ballsaal. Historischer Roman
Catherine St.John
Published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Copyright: © 2021 R. John 85540 Haar
Cover: Charles Haigh Wood, Anxious Moments
ISBN 978-3-754900-23-9
Schade, dass er nicht einfach weitermachen konnte wie bisher! Beaufort Hall hatte er in den letzten vier Jahren so gründlich umgestaltet und, wo nötig, modernisiert, dass er sich hier wirklich wohlfühlte. Soweit es überhaupt möglich war, hieß das freilich.
Er und Marian.
Marian freute sich sehr, dass ihr Papa immer für sie Zeit hatte; er hatte ihr sogar das Lesen beigebracht und schrieb ihr immer wieder - in großen, ordentlichen Buchstaben - kleine Geschichten, zum Beispiel darüber, was ihre Katzen Mimi und Lion des Nachts alles anstellten, wenn Marian brav in ihrem Bettchen schlief.
Fiering öffnete die Tür zur Bibliothek. „Mylord, Lady Marian…“
„Papa!“ Marian rannte auf ihn zu und kletterte sofort auf seinen Schoß.
„Hast du schön gefrühstückt?“
„Ja! Eier und Schinken und gleich zwei Toasts mit Marmelade!“
„Sehr gut. Kannst du zwei schon mit den Fingern zeigen?“
Marian hielt zwei Finger hoch und er küsste sie auf die Wange. „Mein Schatz, du bist so klug!“
Sie rutschte wieder von seinen Knien. „Kann ich ein Bild malen, Papa?“
„Natürlich. Auf dem Tisch dort drüben liegen Blätter und Bleistifte, auch Rötelstifte. Wenn du aber ein Aquarell malen möchtest, tust du das bitte im Schulzimmer.“
„Nö, jetzt nicht. Wegen des Wassers, nicht wahr?“
„Richtig, Mausi!“
Marian war sofort in ihre Zeichnung vertieft und ihr Vater versank wieder in seinen Gedanken.
Sie war so ein reizendes Kind, hübsch, klug, brav, aber lebhaft und neugierig – und sie konnte Beaufort Hall und seinen gesamten sonstigen Besitz in und um London nicht erben, weil sie „nur“ ein Mädchen war. In diesem Land lief so einiges falsch, fand er. Nicht nur er!
Er brauchte einen Erben, daran war nicht zu rütteln.
Also musste er wohl doch noch einmal heiraten. Leider konnte er sich das aufgeregte bis abfällige Getuschel schon vorstellen, wenn er einen Ballsaal betrat. Es war ja nicht so, dass er nie eingeladen wurde, aber bisher hatte er zumeist höflich und unter wenig originellen, aber akzeptablen Vorwänden abgesagt.
Das musste er jetzt wohl ändern, auch um Marians willen. Ein oder zwei Brüder und sie stand nach seinem Tod nicht einfach auf der Straße…
Reichlich pessimistische Gedanken wälzte er da, fand er. Marian war hübsch und klug und lebhaft, sie würde eine ordentliche Mitgift mitbekommen und trug immerhin einen Höflichkeitstitel, warum sollte sie also keinen guten Ehemann finden, in zwölf bis fünfzehn Jahren?
Dann konnte er sich weiterhin hier vergraben und nur für Marian und den Besitz leben?
Das war feige, urteilte er, streng mit sich selbst.
Außerdem war dieses Leben doch etwas leer; einen Menschen, der ihm Zuneigung zeigte – einen erwachsenen Menschen! – brauchte er auch. Liebe… ein großes Wort. Zuneigung, wenigstens ein friedliches Zusammenleben, gute Gespräche, gemeinsames Sorgen für den Besitz und Kinder, das wäre schön… Er seufzte.
Marian sah alarmiert auf. „Bist du traurig, Papa?“ Sie ließ den Stift sinken, kletterte wieder auf seinen Schoß und umarmte ihn. „Ich hab dich lieb, Papa!“
„Ja, du hast mich lieb“, antwortete er und spürte den Kloß im Hals, „und ich hab dich auch lieb, mein Schatz.“
„Warum bist du dann traurig?“
„Hättest du nicht gerne auch eine Mama?“
Marian, die ihr Köpfchen an seine Brust gelehnt hatte, fuhr auf und sah ihn ratlos an. „Was ist eine Mama?“
„Sowas wie ein Papa, aber eben eine Frau. Du hattest einmal eine Mama, aber du kannst dich daran wohl kaum erinnern…“
„Wo ist diese Mama denn jetzt?“
Er seufzte wieder. „Im Himmel. Von da passt sie auf dich auf.“
Den Teufel würde sie tun, immerhin hatte sie ihre kleine Tochter kaltschnäuzig verlassen, um mit Sir Francis Bevenhurst zu leben.
Nun, immerhin ehrlicher, als ihm womöglich ein Kind von Bevenhurst unterzuschieben. Wenn er es recht bedachte, war sie eigentlich arm dran gewesen – nach einem Jahr war sie im Kindbett gestorben und der kleine Sohn mit ihr. Francis hatte ihn wenigstens informiert, aber er selbst hatte ihm nur in höflichen Worten kondoliert und den Kontakt nicht weiter gepflegt.
War das dumm gewesen?
Ach, wollte er wirklich mit dem halben Hausstand nach London reisen, sich im Ballsaal zum Affen machen und schließlich mit einer neuen Frau nach Hause zurückkehren, die vielleicht auch nicht besser war als Lucinda… vielleicht mochte sie Marian nicht und behandelte sie schlecht? Oder fing auch etwas mit einem Nachbarn an und verließ ihn wieder?
Jetzt begannen sich seine Gedanken schon arg im Kreis zu drehen…
„Es ist ja eigentlich albern“, stellte Lady Hertwood fest und grinste wenig damenhaft, „sich jedes Mal wieder auf die Saison zu freuen, aber es ist schon recht lustig. Als ob ich das noch nötig hätte…“
Ihr Schwägerin, die Viscountess Lynet, lachte. „Mir geht es doch genauso. Kaum bin ich wieder in London, rieche die gute Luft hier und sehe die überfüllten Straßen, sehne ich mich nach ebenso vollgestopften Ballsälen, vollkommen geistlosen Gesprächen und bösartigem Klatsch.“
„Aber Lady Tenfield ist doch köstlich?“
„Sie schon – aber erinnerst du dich noch an Selina Cuffley oder die grässliche Eloise?“
„Huh! Hoffentlich treffen wir sie nur selten…“
„Am besten gar nicht“, murmelte die Viscountess, die sehr tatendurstig wirkte, obwohl sie ihrem Gemahl erst vor wenigen Monaten einen Erben präsentiert hatte.
„Melinda, aber dieses Mal bist du nicht zu müde für einige Bälle, oder?“, fragte sie dann. „Weißt du noch, als du mit Klein-Eddie in der Hoffnung warst?“
„Oh ja! Und du nicht verstanden hattest, dass du dich längst in Ben verliebt hattest!“
„Eher es nicht verstehen wollte. Ich war schon recht dumm damals. Möchtest du dieses Mal ein kleines Mädchen?“
„Das wäre nett, wir könnten sie nach eurer Schwester Christina nennen. Das ist ein hübscher Name.“
„Oder nach Mutter“, antwortete Cecilia. „Sie hieß Catherine.“
„Das ist auch hübsch. Ich werde Sebastian fragen. Aber findest du nicht auch, dass man das Neugeborene erst sehen muss, um zu wissen, ob es eine Catherine oder eine Christina ist?“
„Unbedingt! Ben hatte ja tatsächlich mit Max geliebäugelt – einem besseren Max, du verstehst? Und nach dem ersten Blick auf den Kleinen, so rot und verquollen und obendrein sehr übellaunig, sagte er: „Nein, Max passt gar nicht zu ihm. Ich wäre für James.“
„Und damit warst du einverstanden?“
„Natürlich! Jimmy sah wirklich wie ein James aus. Ach, er ist so entzückend, er wächst und gedeiht. Hoffentlich bekommt ihm London – aber ich wollte mich nicht von ihm trennen.“
„Mit Eddie geht es mir doch genauso. Wollen wir nach ihnen sehen? Danach können wir ja überlegen, was wir morgen auf dem Ball der Prestons tragen wollen.“
„Uns geht es so wunderbar“, seufzte Melinda, als sie diese Pläne umgesetzt hatten. „Wir haben die allerliebsten Ehemänner, jede einen entzückenden kleinen Sohn, ich vielleicht bald noch eine Tochter, wir können auf dem Land leben und ab und zu ein paar Bälle in London mitmachen -“
„- auf denen wir nicht mehr zu hauptsächlich fadem Weiß verurteilt sind“, ergänzte Cecilia. „Mal sehen, wer morgen bei den Prestons sein wird. Lieber Himmel, hoffentlich nicht Carew – oder hat er jetzt endlich eine Frau gefunden?“
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