„Oh, zwischen vier und dreizehn. Danach können sie nicht mehr länger bleiben. Ich finde das zu früh, um in die Welt hinausgeschickt zu werden, aber es gibt so viele elternlose kleine Mädchen und das Heim ist nicht groß genug, um alle aufzunehmen, ohne die Ältesten zu entlassen. Jüngere als vier Jahre gibt es natürlich auch, aber die sehe ich seltener, weil sie für Unterricht noch etwas zu jung sind.“
Cecil nickte wieder. „Wir bräuchten eben mehr solcher Heime. Gut geführte, natürlich.“
„Oder für die Mütter die Möglichkeit, ihre Kinder bei sich zu behalten und zugleich ihren Lebensunterhalt zu verdienen.“, schlug Portia vor.
„Ein interessanter Gedanke“, lobte er. „Ich werde mich auf jeden Fall damit auseinandersetzen. Wir werden uns auf dem nächsten Ball bestimmt sehen und das Gespräch fortsetzen können.“
„Das sollte mich freuen, Mylord.“
Sie ließ sich zu Lady Hertwood zurückgeleiten und knickste dort höflich vor ihm.
„Das war aber ein langer Tanz“, murmelte Melinda.
„Oh – meinst du, zu lange? Wir haben uns noch unterhalten und sind dabei durch den Ballsaal promeniert, für alle Welt sichtbar. War das unangemessen?“
Melinda lächelte. „Nicht doch, ich dachte nur – recht vielversprechend?“
„Er ist sehr nett und vor allem auch klug, scheint mir. Vielleicht treffe ich ihn auf anderen Bällen wieder!“
„ich würde es dir wünschen, Portia. Ach herrje…“
Portia sah auf; Viscount Kelling. Nun, so furchtbar fand sie ihn nun auch wieder nicht, aber in der Konversation arg öde und im Ton eher unfreundlich.
Sie folgte ihm auf die Tanzfläche, lächelte freundlich, knickste graziös und ließ sich von ihm durch die Figuren führen. Gelegentlich tauschte sie mit ihrer Nachbarin den Platz, wenn der Schritte es erforderten, aber ansonsten sprach der Viscount. Zunächst über das Wetter (immer noch unangenehm kühl, nicht wahr?), über den Ball (überfüllt, aber so etwas zeigte ja den Erfolg einer Veranstaltung, nicht wahr?) und über die Vorzüge Londons (so ein reiches Angebot an Unterhaltungen, nicht wahr?).
Nicht wahr? war dabei eine reine Floskel, er wartete nie ab, ob Portia etwas dazu anzumerken wünschte, sondern sprach sofort weiter.
Nachdem die Standardthemen abgehandelt waren, kam er zur Sache: „Sie haben vorhin mit Walsey getanzt?“
„Gewiss.“ Hoffentlich vertrieben ihn einsilbige Antworten – aber sie hatte da wenig Hoffnung.
„Er wird Sie nicht heiraten, wissen Sie.“
„Ach?“ Welch unverschämte Bemerkung! Sie verwarf die Strategie der Einsilbigkeit, dafür war sie zu ärgerlich.
„Sie glauben, ich wolle jeden Mann heiraten, der mich zum Tanz auffordert? Ist Ihnen nicht klar, dass wir praktisch keine Aufforderung ablehnen dürfen? Sollte ich sagen Nein, ich tanze nicht mit Ihnen, Sie wollen mich bestimmt nicht heiraten? Das gäbe einen netten Skandal!“
„Wie meinen Sie das, Miss Willingham?“
„Genauso wie ich es gesagt habe.“
Zurück zur Einsilbigkeit!
Diese Kombination wirkte bestimmt dämpfend, lobte sie sich selbst.
„Aber alle jungen Damen wollen doch heiraten?“
„Und die Männer nicht, außer wenn die junge Dame die lästige Beigabe zu einem hübschen Packen Staatspapiere ist. Das ist mir auch klar. Deshalb höre ich doch nicht bei jedem Gentleman, der sich vor mir verbeugt, sofort Hochzeitglocken läuten!“
„Bei Walsey jedenfalls nicht. Ist wohl auch besser so.“
„Ach.“
Das fand Kelling wohl nicht neugierig genug, jedenfalls zog er ein arrogantes Gesicht und sprach nicht mehr weiter. Ein Steingesicht ziehen konnte Portia auch; sie beschränkte sich darauf, die zweite Dame im Carré freundlich anzulächeln, eine schüchterne Debütantin, die dafür recht dankbar zu sein schien.
In verkniffenem Schweigen endete der Tanz und der Viscount brachte Portia zurück, gönnte ihr kürzest mögliche Verbeugung und entfernte sich.
„Da ist aber jemand beleidigt“, stellte Lady Tenfield fest, die hinter Melinda saß und leise vor sich hin kicherte.
„Oh, Mylady!” Portia erhob sich hastig wieder und knickste ehrerbietig. „Ja, ich glaube, er ist – nun, zumindest enttäuscht. Er wollte mir Klatsch über Lord Walsey erzählen und ich habe deutliches Desinteresse gezeigt. Lord Walsey kam mir recht vernünftig vor und Lord Kelling: nun ja.“
„Alberner Langweiler. Walsey ist vernünftig, er kennt auch meinen Neffen und einige andere kluge Männer, die sich für den ton nicht interessieren. Ich frage mich nur, warum er jetzt wieder in der Gesellschaft auftaucht…“
„Wie die meisten Menschen, die nicht ganz freiwillig auf solchen Festivitäten erscheinen, sucht er wohl nach einer Ehefrau. Wäre ich denn hier, wenn ich nicht heiraten wollte?“
„Gut gesprochen, Kindchen! Wenn man diese Suche aber hinter sich hat, ist es recht nett, sich das Treiben anzuschauen und ein bisschen mitzuklatschen. Nicht wahr, Lady Hertwood – Lady Lynet?“
Cecilia, die sich gerade neben Melinda niederließ, grinste spöttisch. „Wobei das Wissen, selbst nicht mehr Spekulationsobjekt zu sein, fast der reizvollste Aspekt sein dürfte.“
Portia lachte. „Auf diesen Tag freue ich mich schon – denn ganz ehrlich müsste ich diesen Heiratszirkus nicht ununterbrochen haben.“
„Das müsste wohl niemand“, antwortete Cecilia fächelnd. „Heiß hier… Nicht umsonst endet die Saison ja genau dann, wenn sie den Menschen zum Halse heraushängt.“
„Na, nicht deshalb, Kindchen! Das liegt wohl eher an der Parlamentspause.“
„Die haben wohl auch keine Lust mehr“, entgegnete die unbezähmbare Cecilia.
„Aber ich überlege noch, was Kelling gemeint haben könnte…“
„Was hat er denn genau gesagt?“ Melinda wollte ihr ja gerne Aufschluss geben – sofern sie konnte.
„Erst hat er festgestellt, ich hätte mit Walsey getanzt. Das habe ich nicht bestritten, wozu auch? Daraufhin meinte er, Walsey werde mich nicht heiraten.“
„Was für ein Idiot!“, kommentierte Lady Tenfield nicht gerade leise.
Portia lächelte ihr zustimmend zu. „Ich wurde natürlich wütend – soll ich bei jedem Mann, der mit mir tanzt, Heiratswünsche entwickeln? Wenn ich sogar mit einem Unsympathen wie Kelling tanzen muss? Oh, wie schade! Dass hätte ich als Argument anführen sollen, dann hätte er mich auf der Tanzfläche stehen gelassen.“
„Der Höhepunkt des Abends“, kommentierte Cecilia.
„Und ein Skandal!“, merkte Melinda sanft an. „Das war alles?“
„Nein. Er sagte noch Das ist auch besser so. Meint er, es ist besser, wenn mich niemand heiratet? Wenn ich mir keine zu großen Hoffnungen mache? Oder wenn Walsey nicht heiratet?“
„Was hast du denn geantwortet?“
„Nur noch ein betont gleichgültiges Ach? Daraufhin hat er gar nichts mehr gesagt.“ Portia zuckte die Achseln. „Verstanden habe ich das alles nicht, aber dummerweise würde es mich jetzt doch interessieren, auch wenn es, weil es von Kelling kommt, gewiss doch nur lauter Unsinn ist.“
„Vermutlich“, sinnierte Melinda und drehte sich zu Lady Tenfield. „Mylady, Sie wissen doch alles! Was könnte die Giftkröte Kelling denn gemeint haben?“
Die Angesprochene seufzte. „Das hieße, über die Angelegenheiten eines Mannes zu klatschen, der mir nie etwas getan hat. Bei Kelling selbst oder Gestalten wie Carew hätte ich da deutlich weniger Skrupel.“
„Nur das Nötigste, bitte, Mylady!“, flehte Portia.
„Es wäre mir lieber, sie fragten Hertwood oder Lynet, die doch mit ihm einigermaßen gut bekannt sind – aber nun ja. Es gab da Gerüchte über den Tod seiner Frau, vor einigen Jahren.“
„Ach, der Arme… das ist bitter. Hat er Kinder?“
„Eine kleine Tochter, soweit ich weiß.“
Читать дальше