„Das ist er tatsächlich“, antwortete Cecil und erwiderte das Lächeln: Er hatte seine Freunde wirklich zu lange vernachlässigt. „Ich wusste eben nicht, ob -“ Er brach ab.
„Ob wir den idiotischen Gerüchten glauben? Cecil, wofür hältst du uns denn? Nun, auf jeden Fall wünschen wir dir viel Vergnügen!“
Er trat zur Seite, denn hinter ihm wurden die nächsten Gäste gewiss langsam ungeduldig, und stieg die Stufen zum Ballsaal hinauf.
Immerhin hatte er den ungeliebten Gast eben erkannt – Carew. Kein Wunder, dass die Prestons so kühl reagiert hatten: Carew hatte doch vor vielleicht zwei Jahren versucht, sich durch die Entführung einer Erbin zu sanieren? Cecilia Herrion? Viel besser schien es ihm heute auch noch nicht zu gehen, jedenfalls wirkte sein Abendanzug reichlich abgetragen.
Dafür schien er aber deutlich an Gewicht zugelegt zu haben, zumindest spannte der Frack am Rücken unübersehbar.
Wer interessierte sich schon für Carew? Bedauernswerter Tölpel.
Der Ballsaal war bereits gut gefüllt und er schlenderte langsam am Parkett vorbei zu den Erfrischungen, wo er seine Freunde Adam Prentice und Ben de Lys stehen sah. Im Näherkommen breitete er die Arme schon in einer demütigen Geste aus und sagte, als er vor ihnen stand: „Ich weiß, ich weiß, ich war dumm, mich so lange fernzuhalten, Michael hat es auch schon gesagt. Aber mein Ruf – naja.“
„Dummkopf“, antwortete Adam freundlich, „was interessiert uns denn der Ruf unter diesem Volk hier?“ Er deutete weitausholend einmal rund um den Ballsaal, was ihm einige pikierte Blicke eintrug. Ben und Cecil lachten. Nun wurde auch Cecil fixiert – und Ben, um den es ja vor längerer Zeit auch üble, wenn auch genauso unberechtigte Gerüchte gegeben hatte.
Sie stießen mit Champagner darauf an, dass Cecil in die Öffentlichkeit zurückgefunden hatte. „Und was hat dich nun hergetrieben?“, fragte Ben. „Geschäfte?“
„Das wohl auch. Aber ich fürchte, ich muss wieder heiraten, schon wegen Marian. Wenn sie keine Brüder bekommt, steht sie nach meinem Tod doch vor dem Nichts!“
„Ist dein momentaner Erbe so herzlos?“
„Wahrscheinlich ja – und ohne Mitgift findet auch eine Lady Marian nicht so leicht einen guten Mann. Ich brauche einen Erben, das steht fest.“
„Oder zwei“, murmelte Adam.
„Ach ja – ihr beide seid ja schon versorgt, nicht wahr? Erzählt!“
Adam lächelte. „Charles ist zwei und Lizzie fast ein Jahr alt. Helen und ich sind sehr glücklich mit unserem Pärchen.“
„Unser Jimmy ist erst vier Monate alt, aber quietschfidel und gesund – und das ist das Wichtigste, nicht wahr?“ Ben strahlte ebenfalls vor Vaterstolz.
Cecil erwiderte das Lächeln. „Marian ist jetzt sechs. Und sie kann schon lesen und zählen! Ist das nicht wunderbar?“
Das Orchester begann die Instrumente zu stimmen und Ben stellte sein Glas ab. „Ich werde mich zu Cecilia gesellen.“ Adam tat es ihm gleich und Cecil begann wieder herumzuschlendern. Kichernde Debütantinnen, streng dreinsehende Mütter, pfiffige und steife alte Damen, dazwischen einige Gesellschafterinnen oder andere noch junge Frauen, die aber eindeutig nicht mehr auf dem Heiratsmarkt waren.
Wäre das vielleicht eine Option? Nein, beschloss er, so nüchtern wollte er die Sache auch nicht angehen.
Er sah sich unauffällig um, während er scheinbar blicklos noch einmal an der Tanzfläche vorbei schritt. Diese Blonde in dem blassblauen Kleid, vielleicht? Sie sah ernst und vernünftig drein und fast so, als rechne sie nicht damit, überhaupt aufgefordert zu werden.
Das Orchester intonierte probehalber einen Ländler und Cecil straffte sich. Er verbeugte sich vor der ältlichen Begleitung der Blondine und stellte sich vor. Sie nickte mit leicht hochgezogenen Augenbrauen und wies nachlässig auf ihre junge Nachbarin. „Meine Tochter, Miss Violet Settinghurst.“
Cecil bat um Miss Settinghursts Tanzkarte und trug sich für den Ländler ein, den das Orchester gerade sozusagen angekündigt hatte.
Die junge Dame nickte ernst und erhob sich, um seinen Arm zu nehmen und sich aufs Parkett führen zu lassen.
Sie tanzte leichtfüßig und sah ab und an zu ihm hoch, immer noch ohne zu lächeln.
„Bedrückt Sie etwas, Miss Settinghurst?“
„Warum fragen Sie das, Euer Lordschaft?“
„Sie wirken so ernst und – nun – in sich gekehrt.“
„Das ist meine Art, fürchte ich. Deshalb bin ich auch über das Heiratsalter hinaus, schon fast dreiundzwanzig. Aber es ist reizend, dass Sie mich aufgefordert haben, das geschieht nicht mehr oft.“
„Es war mir ein Vergnügen, Miss Settinghurst.“
„Das zu behaupten ist genauso reizend.“
„Sie glauben mir nicht?“ Er sah stirnrunzelnd auf sie herunter.
„Oh, ich wollte Sie keinesfalls kränken, Mylord. Aber gebot es nicht die Höflichkeit, an dieser Stelle genau das zu sagen?“
Er musste lachen. „Sie sind eine scharfe Beobachterin der gesellschaftlichen Konventionen, Miss Settinghurst, Respekt!“
„Man muss die Verlogenheit doch durchschauen, um bei diesem Spiel mithalten zu können, nicht wahr?“
„Das gebietet wahrscheinlich die Selbsterhaltung“, stimmte Cecil zu und zog sie in eine schwungvolle Drehung. „Schließlich klatschen die Geier dort drüben“ – er nickte in Richtung der Matronen und Anstandsdamen – „über uns alle, nicht wahr?“
Sie grinste. „Wie wahr! Wahrscheinlich überlegen sie, warum meine Mutter das alte Ding immer noch auf Bälle mitschleppt, anstatt sich auf meine jüngere Schwester zu beschränken.“
„Das alte Ding? Das ist doch wirklich ungezogen!“
„Alte Damen dürfen das. Eigentlich wäre ich auch gerne schon eine exzentrische alte Dame und würde Unverschämtheiten nach Herzenslust austeilen.“
„Nun, mit dreiundzwanzig sind Sie ja schon nahe dran, nicht wahr?“ Er grinste frech und sie lachte schallend los, so schallend, dass etliche Köpfe auf der Tanzfläche zu ihr herumfuhren. Sie beruhigte sich wieder und murmelte: „So viel Aufsehen habe ich noch nie erregt…“
„Gefällt Ihnen das?“
„Ich glaube ja. Fromm dreinzusehen, damit Mama zufrieden ist, ist so unglaublich langweilig.“
Der Ländler verklang und er brachte Miss Settinghurst zu ihrer Mutter zurück, wo er ihre Hand an seine Lippen zog und murmelte: „Es war mir wirklich ein großes Vergnügen!“
Lady Settinghurst sah recht töricht drein, vor allem, als gleich drei junge Herren herbeieilten und förmlich um Miss Settinghursts Tanzkarte bettelten.
Ein leichtes Lächeln um die Lippen, schlenderte Cecil davon. War er nun plötzlich in der Position, junge (und nicht mehr ganz so junge) Ladys in Mode zu bringen? Er, der eben noch als verfemt galt, weil man ihn verdächtigte, beim Tod seiner Frau die Hand im Spiel gehabt zu haben? Warum war das nun plötzlich verziehen? Oder wussten diese Jünglinge nichts von dem alten Skandal? Hatten sie vor drei Jahren noch die Schulbank gedrückt – in Oxford oder Cambridge doch wenigstens?
„Was amüsiert dich so, Cecil?“
Ach, Hertwood!
„Sebastian.“ Er verneigte sich. „Und Lady Hertwood, wie reizend!“
„Und, warum schmunzelst du so vergnügt?“
„Ach, ich habe gerade mit einer Miss Settinghurst getanzt und mich dabei recht gut unterhalten. Offenbar galt sie als Mauerblümchen, warum kann ich auch nicht nachvollziehen – aber kaum hatte ich sie an ihren Platz geleitet, stürzten gleich mehrere Jüngelchen auf sie los, um sie um einen Tanz zu bitten. Anscheinend kann ich jetzt Ballköniginnen küren, aber ich weiß gar nicht, wie ich zu dieser Ehre komme.“
Lady Hertwood lachte. „Das können wir ja gleich einmal ausprobieren! Wir haben eine junge Verwandte bei uns, Portia Willingham – und in dieser Saison würde sie gerne jemanden finden… sich nicht mehr nur amüsieren. Vielleicht tanzen Sie einmal mit ihr, dann sehen wir ja, was geschieht?“ Sie lächelte nicht ohne Spott zu ihm auf und er musste lachen. „Wo sitzt sie denn?“
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