Leider wusste Feuereissen auch nichts Näheres, man war auf Vermutungen angewiesen und darauf, aus den immer vergnügteren Andeutungen Bobs Schlüsse zu ziehen, dass er sich ziemlich sicher fühlte. Und da man durch Beruf und Kameradschaft mit Hutton Price wie ein Zwilling lebte, so hätte man es merken müssen, wenn ein unbekannter Stern am Himmel aufgegangen wäre, zumal der Dicke alles ausplauderte.
In dieser Minute geschah es also, dass Hutton Price, der in der Führerzelle als alleiniger Pilot den Dienst versah, nach einem stundenlangen, zähen Kampf gegen die Bleischwere seiner Augenlider bombenfest einschlief.
Der gemütliche Abend beim Oberst Pasquali und der völlige Mangel eines gesunden und gewohnten Nachtschlafes taten ihre Wirkung. Bob hatte sich zwar, in weiser Voraussicht, gleich nach dem Start von Jim, dem Nigger, die Zubehörteile eines gewalttätigen Mokka bringen lassen, den er sich selber auf dem Boden der Führerzelle herstellte, aber wie es bei den Dicken so ist, sie stehen unter anderen Lebensgesetzen als die Hageren, und was diesen durch die Gebeine brennt wie ätzendes Gift — in wohlgebauten Fettgeweben versickert es mit der Wirkung eines Schlaftrunkes.
Er also, Bob, von dem hier nun so unvorteilhaft die Rede ist, zog erst seine Hände an sich, dann auch behaglich die stämmigen Beine, und kuschelte sich in den mit rotem Leder schön gepolsterten Fliegersitz — und damit nicht genug: sei es etwa in der Vorsicht, schlafende Gliedmassen seien nicht ganz tauglich zur Führung eines mit zweihundert Meilen Geschwindigkeit sich mitten über dem Ozean fortbewegenden Schwebers — wie heute die grossen Verkehrsflugzeuge genannt werden — jedenfalls bemühte er sich, diese Gliedmassen aus dem immerhin gefährlichen Bereich der Steuerung herauszubringen, indem er nun seine Beine auf den zweiten, also in des abwesenden Feuereissens Sitz hinaufzog. Mit dieser letzten, halbbewussten Willenstätigkeit überliess er den ihm anvertrauten A 3606 seinem Schicksal, eine niemals zu billigende Handlungsweise. Es erschien ihm im leise anhebenden Traum ein Reigen zarter Gestalten, aus dem sich immer mehr die schmale Figur eines bestimmten Geschöpfes herausschälte, eben jener Loie Lux, der zuliebe er heute zum letztenmal als Luftkapitän einen Schweber steuerte — und, wie wir sehen, auch dies nur höchst unvollkommen.
Es war ein Malheur — nein, übertreiben wir nicht — ein kleines Malheurchen. Denn obwohl der pflichtvergessene Hutton Price die beiden Fliegersitze mit einem Liegestuhl verwechselte, nahm das von ihm beschützte Fluggerät nicht in der geringsten Weise daran Anstoss. Gänzlich unbeirrt zog dieser gewaltige Schweber A 3606 seinen haargenauen Kurs auf Amsterdam, wo er um 19 Uhr 07 Minuten 53 Sekunden mitteleuropäischer Zeit auf dem Wasser der Zuidersee niedergehen sollte. Er setzte seinen Weg am glitzernden Himmelsrand so unbekümmert fort, dass nicht einmal Kommandant Feuereissen, der doch wirklich die bessere Hälfte seines Lebens fliegend zugebracht hatte, irgendwelchen Zwang verspürte, den Genuss seines Frühstücks zu unterbrechen. Die reisenden Kaufherren diktierten ihren hübschen Sekretärinnen sorglos weiter, oder wenigstens bezogen sich ihre Sorgen nicht auf die Sicherheit des Verkehrsmittels A 3606, und der treue Neger Jim holte jetzt, nachdem er sich vom Wohlergehen des Vogels Kleopatra gebührend überzeugt, befehlsgemäss die Smokinghose des pflichtvergessenen Fliegers Hutton Price aus dem Schrank, um im Mannschaftsraum ihrer Bügelfalte die beliebte Schärfe zu verleihen.
Derselbe Oberst Pasquali nämlich, dessen gemütlicher Abend sich so unangenehm auswirkte, hatte rechtzeitig und seit Jahren schon die Fortschritte seines Zeitalters auf die neusten Schweber übertragen. Sie bedurften eines Piloten nicht mehr unbedingt, nichts hinderte die elektrischen Fernsteuerungsmaschinen auf Coney Island daran, den A 3606 von der ersten Startsekunde bis zur letzten Sekunde der Landung selbsttätig und vollautomatisch zu steuern, zu peilen und im Gleichgewicht zu erhalten. Die Kreisel in den mehrere hundert Meter klafternden Flügeln drehten sich unermüdlich, die zwölf Elektromotoren taten das gleiche mitsamt ihren draussen schnurrenden Stahlschrauben.
Ja, wie man gleich sehen wird, die kaltherzigen Konstrukteure der OAW rechneten in gewissem Masse mit der Möglichkeit, dass der immerhin noch vorhandene menschliche Flieger im durchbohrenden Gefühl seiner Überflüssigkeit ermatten werde. Diesmal jedenfalls ereignete sich der seltene Zufall, dass eine Kohlenbürste am Motor neun sich eine Kleinigkeit klemmte, so dass die Tourenzahl für einige Sekunden merklich zurückfiel. Im gleichen Augenblick erhielt Hutton Price nach etwa halbstündigem, gesegnetem Schlummer einen ziemlich heftigen elektrischen Schlag durch einen kleinen Stahlbügel, den er zu diesem Zweck am Nacken befestigt hatte, so dass er jach emporfuhr und sich auf die Handsteuerung warf in der Meinung, sein kleiner Schweber segle koppheister in den Atlantik hinab. Dann jedoch überzeugte er sich mit einem Blick auf das von zahllosen farbigen Lämpchen bedeckte Schaltbrett, dass die Geschichte halb so schlimm war. Der dicke Bob gähnte wie ein Hai. „Was is’n los mit Nummer neun?“ klingelte er den Funksteuermann an. Dieser (ein Mann namens Gaugigl, er entstammte jenem wilden Gebirgsland im finstersten Europa und entzückte die Mädchen mit einem langen, blonden Schnurrbart) — dieser also beruhigte den Flieger, indem er in schlechtem Englisch versicherte, der Motor laufe schon wieder auf volle Touren, werde aber in Amsterdam gründlich nachgesehen.
Aber nun hatte Hutton Price einmal den elektrischen Nackenschlag wegbekommen und war vor Schreck äusserst wach. Bis ins Gedärm hinein frass ihm der Grimm, dass dieser A 3606 es nicht für der Mühe wert hielt, die geraume Zeit der Abwesenheit des, immerhin, Piloten durch einen kleinen Absturz zu verzeichnen. Da werden wir dir mal zeigen, wer hier der Herr ist —
Wenn die Schweber der OAW-Ltd. einwandfrei sicher durch die Lüfte rasten, durften die Flieger nach vorheriger Verständigung mit Coney Island die Fernsteuerung ausschalten und eine Weile mit eigenen Händen das gewaltige Flugzeug führen, damit sie nicht vollständig aus der Übung kamen. Hutton Price rief die Zentrale an, die sein Vorhaben genehmigte. Dann zog er einen Kontakt auf der Marmorplatte heraus, die bunten Lämpchen erloschen, er griff inbrünstig in die Handsteuerung, die immerhin noch durch soundso viele mechanische Sicherungen gegen die Einwirkungen des Fliegers geschützt war.
Im Innern des Schwebers bemerkte man zunächst noch gar nichts von dieser nunmehr erfreulichen Tätigkeit des Fliegers Hutton Price. Nach einer Weile aber begann in der Schwimmhalle das Wasser deutlich zu schwanken, etwas später beschwerten sich einige frühe Billardspieler mit heftigen Worten beim Steward, bei dieser Wackelei lasse sich kein vernünftiger Stoss ausführen. Dann schrillten Klingeln aus den Kabinen, Nigger liefen mit Gefässen für Luftkranke durch die Gänge, der jungen Sängerin im rückwärtigen Aussichtsraum blieb ihre Arie in der Kehle stecken, so dass sie sich erblassend ausser Sicht begab.
Gleich darauf erschien Feuereissen mit grimmigem Antlitz in der Führerzelle, er fand seinen Kameraden selbstvergessen mit dem Nordwest kämpfend, Arme und Beine bearbeiteten leicht und meisterhaft die Steuerung, während das trunkene Haupt im aus dem Kragen hervorquellenden Specknacken lag. Feuereissen stiess den Kontakt der Fernsteuerung zurück, sofort begannen die Lampen auf der Marmorplatte wieder zu leuchten: zuerst sehr stark, bis der Schweber unter der Macht der eingeschalteten Kreisel von neuem in nahezu vollkommene Ruhelage kam.
Die Maschinen konnten es besser als der beste Flieger, und wer in diesen riesenhaften, unerhört kostbaren Schwebern Dienst tat, der war siebenmal gesiebt ...
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