„Kein Wunder“, stellte Bruno fest. „In eurem Verhältnis spielst du den dominierenden Part. Beatrice ist von dir abhängig. Das schmeichelt deiner Eitelkeit und deinem Verlangen, andere zu beherrschen.“
Es war erschreckend, wie er mich immer noch durchschaute und mir Dinge bewußt machte, die zu sehen ich sechs Monate lang erfolgreich vermieden hatte.
Wir wurden unterbrochen.
Beatrice kam herein und verkündete, das Essen sei fertig.
„Bleibt er?“ fragte sie und sah mich starr an.
„Bleibst du?“ gab ich die Frage an Bruno weiter.
„Natürlich“, sagte er lachend.
Ich trank mehr als sonst von unserem billigen roten Tischwein und nötigte Beatrice und Bruno dazu. Die Atmosphäre war wie vor einem Gewitter. Zwar trug Bruno ein kleines überlegenes Lächeln zur Schau, aber Beatrices heftige Abneigung blieb auch auf ihn nicht ohne Wirkung.
„Sie kochen sehr gut“, sagte er schließlich gleichgültig, knautschte seine Serviette zusammen und lehnte sich zurück.
Beatrice reagierte nicht auf das Kompliment. Sie sah mich an und zwang mich, den Blick zu erwidern.
„Bleibt er noch länger?“
„Haben Sie Angst, daß ich Ihnen Janka wegnehme?“
„Ich habe keine Angst. Aber Sie stören mich.“
„Sie sollten Angst haben“, sagte Bruno, und seine Stimme klang immer noch verbindlich. „Denn ich werde sie Ihnen wegnehmen. Sie können sich fest darauf verlassen.“
Beatrice wurde sehr blaß, stand auf und ging hinaus. Ich hörte die Tür ihres Zimmers ins Schloß fallen.
„Das hättest du nicht sagen sollen!“
Er lachte mich aus.
„Bist du jetzt enttäuscht? Weil sie nicht einmal den Versuch macht, um dich zu kämpfen?“
Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen. Und es war zwecklos, so zu tun, als besäße ich noch die Kraft, mich gegen ihn zu wehren.
„Habt ihr ein gemeinsames Schlafzimmer?“ fragte Bruno. Ich schüttelte den Kopf.
„Komm“, sagte er. „Laß uns zu Bett gehen.“
Ich ging voraus, mit hängenden Schultern. Vor der Badezimmertür blieb ich stehen.
„Geh schon vor“, sagte ich.
„Warum gehen wir nicht zusammen ins Bad?“
Ich schüttelte den Kopf. Ihm schienen die sieben Jahre tatsächlich nichts auszumachen, aber ich verspürte eine gewisse Scheu. Es würde eine Weile dauern, bis ich wieder so vertraut mit Bruno war wie früher.
Als der Gedanke mir bewußt wurde, traf mich das wie ein Schlag: Ich war also schon völlig sicher, daß wir zusammenbleiben würden! Bruno und ich. Daß wir miteinander leben würden, wenigstens für einige Zeit.
Und Beatrice? Und alles, was ich mir in den vergangenen sechs Monaten geschworen hatte?
Als ich mein Schlafzimmer betrat, in einen Bademantel gehüllt und einigermaßen besonnen und ernüchtert, nachdem ich sehr kalt geduscht hatte, saß Bruno rauchend auf der Bettkante. Er blickte auf und lächelte mich an. Seine Kleider lagen über einem Stuhl. Er trug nur noch seinen Slip, und ich hielt unwillkürlich den Atem an, als ich seinen muskulösen, gebräunten Körper sah.
„Hast du etwas dagegen, daß ich deine Zahnbürste benutze?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Das rechte Waschbecken“, murmelte ich. „Handtücher liegen im Wandschrank. Und bitte, schließ die Tür ab! Ich möchte nicht, daß Beatrice dich überrascht.“
„Wäre es ein Schock für sie, einen nackten Mann zu sehen?“ fragte er spöttisch.
„Ganz bestimmt.“
„Ist sie durch und durch lesbisch?“
„Hast du das nicht gemerkt?“
„Doch“, bestätigte er.
„Warum fragst du dann?“
„Ich kann mich ja auch mal irren.“
Er ging an mir vorbei. Ich wartete darauf, daß er mich anfaßte, aber er tat’s nicht. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, legte ich mich im Bademantel auf mein Bett. Ich zog den Stoff sorgsam über meinem Körper zusammen. Dann versuchte ich, mir die kommenden Ereignisse vorzustellen.
Das steigerte meine Unsicherheit.
Bruno ließ sich Zeit. Ich hörte Beatrices Zimmertür gehen und fürchtete, daß sie zu mir herüberkäme. Aber dann schloß sich die Wohnzimmertür hinter ihr. Ich kann jede Tür unserer Wohnung an den spezifischen Geräuschen unterscheiden, die das Öffnen und Schließen verursacht. Sollte ich hinübergehen und meine kleine Beatrice trösten?
Aber wie? Was konnte ich ihr denn sagen? Half ich ihr mit einer Lüge? Oder mit dem Geständnis, daß es zwischen Bruno und mir vielleicht nur diese eine Nacht geben würde?
Wenig später kam Bruno zurück, und er trug seine Nacktheit mit solcher Selbstverständlichkeit zur Schau, daß es mir den Atem raubte.
Ich mußte ihn ansehen. Sein Glied hing dick und schlaff zwischen den muskulösen Schenkeln. Ich erkannte es wieder, tatsächlich. Mir war noch jede Einzelheit im Gedächtnis. Die Vorhaut bedeckte die Eichel völlig, und deren Rand zeichnete sich deutlich darunter ab. Vielleicht war die Haut etwas dunkler als vor sieben Jahren. Aber das mochte täuschen. Jedenfalls hing Brunos Glied wie damals ein wenig schräg nach links, und dahinter erkannte ich den prallen Hodensack, der kaum behaart war. Die Schambehaarung reichte weit hinauf, in der Mitte fast bis zum Nabel, und das gekräuselte Haar war immer noch einen Ton heller als Brunos Kopfhaar.
Er blieb vor mir stehen, ganz still, damit ich meine Betrachtung fortsetzen konnte. Als mir das bewußt wurde, bekam ich einen roten Kopf.
Ich schalt mich eine Narrin, ein dummes Ding. Ich rief mir ins Bewußtsein, daß ich immerhin 25 Jahre zählte.
„Du hast dich nicht verändert“, sagte ich tonlos.
„Doch, leider.“
Ich sah ihm ins Gesicht. Er lachte leise.
„Ich bin genau sieben Jahre älter als damals. Ich habe Erfahrung gewonnen. Aber dafür habe ich mit Kraft bezahlt.“
„Ein bißchen Erfahrung wäre damals sehr nützlich gewesen“, sagte ich leise.
Er runzelte die Stirn.
„Darüber habe ich oft nachgedacht. Glaubst du, es hätte etwas geändert, wenn wir miteinander geschlafen hätten?“
„Vielleicht.“
Er lachte wieder.
„Ich könnte jetzt noch schamrot werden, wenn ich mir vorstelle, wie blöde ich damals war!“
„Nicht nur du!“
„Nein, nein, dich trifft keine Schuld. Daran nicht. Du warst 18 und ein Küken. Aber ich, mit meinen 23 Jahren, hatte immerhin schon mit einigen Frauen das Vergnügen gehabt. Kaum zu glauben, daß ich mit dir nicht klargekommen bin.“
„Nein, das ist kaum zu glauben“, wiederholte ich leise. „Oder doch? Du hast dich auf mich verlassen, nicht wahr? Du wolltest, daß ich die Initiative ergreife und behalte. Dazu war ich nicht fähig. Die anderen Frauen, die, die vor dir waren, hatten mir immer alle Entscheidungen abgenommen. Für die war ich – ein Bettbübchen. Ein Kind, mit dem sie ihr Vergnügen hatten.“
„Mit 23 Jahren ein Kind?“ fragte ich skeptisch.
„Wundert dich das? Du hast mich doch gekannt. Besser, glaube ich, als irgendein Mensch zu jener Zeit. Hast du mich nicht auch für ein Kind gehalten?“
Ich zuckte die Achseln.
„Das ist schwer zu sagen. In deinem Beruf wirktest du sehr erwachsen.“
„Ich hatte Erfolg“, murmelte er.
„Du konntest mit Menschen umgehen. Du warst sicher und geschickt.“
„Nur nicht im Bett. Im Bett war ich ein Kind.“
„Ja, das warst du“, sagte ich langsam, während ich noch darüber nachdachte. Dann nickte ich zur Bekräftigung.
Er war wirklich ein Kind gewesen.
Er setzte sich auf die Bettkante und legte seine Hände auf meine Schultern.
„Ich bin kein Kind mehr, Janka.“
„Nein.“
„Glaubst du, daß ich das manchmal bedaure – trotz allem?“
„Warum?“ fragte ich verständnislos.
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