Robert Gundermann hat den Geschmack einer fremden jungen Dame auf den Lippen. Mathilde fühlt den Stachel der Eifersucht — eine schmerzende Sekunde — aber Heinrich ist ja tot, und er soll in Frieden ruhen.
Und alle geben sich Mühe, den immerzu sich meldenden kleinen Missverständnissen auszuweichen — und dann geht es — weil Konstanzens Auge auf besondere Art spricht. Man fühlt, es geht.
Onkel Oskar kann endlich den Dank der Familie in Empfang nehmen und sich nach Hause trollen.
Aber Konstanze ruht in dieser ersten schlaflosen Nacht in Heinrichs Bett, in dem einfachen Bett, das ihm, wie die Mutter erklärte, zum achtzehnjährigen Geburtstag geschenkt wurde.
Heinrichs Bett — Konstanze spürt etwas von den Sorgen und den Wünschen, die sich in diesem Bett ausweinten — in diesem Bett, in dem noch keine Frau gelegen, bis Heinrichs junge Witwe kam.
Und sie spricht ins Dunkle: Vielleicht war ich nie so Heinrichs Frau. — —
Am dritten Tage befindet es Frau Agnes Thüssing für gut, der Frau Heinrichs einen Besuch zu machen.
Fritz denkt: Agnes weiss, was sie tut.
Die beiden jungen Frauen kommen sich entgegen und küssen sich.
„Man konnte es nicht ahnen, wie man sich sehen würde.“
„Nein, man konnte nicht —“
Dann setzt das allgemeine Geplauder ein. Fritz hört einen kühlen Strom von Gesellschaftlichkeit. Konstanze versteht, ihr Schifflein zu lenken, ohne viel Aufhebens zu machen. Stumpf und ereignislos geht das Gespräch zu Ende.
Am fünften Tage erwidert Konstanze den Besuch.
Der Ton gleitender Kühle ist derselbe, auch als Agnes beiläufig fragt:
„Hast du wieder mal was von Gerhard Stein gehört?“
Wäre sie nicht im schwarzen Schleier dagesessen, hätte Konstanze laut aufgelacht. So aber sagt sie ruhig:
„Natürlich — wir stehen ja in dauernder Beziehung. Gerhard Stein brachte mir auch die Nachricht von Heinrichs Tod. Heinrich hat es so eingerichtet, dass die Meldung zuerst telegraphisch an Stein gegeben wurde. Sie waren auch sehr befreundet.“
„So — ich kannte ja Stein nur vom Sehen und etwas vom Hörensagen. Aber ich hätte nicht geglaubt —“
Konstanze sagt bestimmt: „Sie haben sich beide sehr geschätzt.“
„Ist eigentlich Stein geschieden?“
„Nein —“
„So —“
Dann sprechen sie von anderen Dingen.
Nun ist Konstanze seit sechs Tagen im Hause Gundermann. Es ist ein stilles Haus. Robert Gundermann geht seiner Arbeit nach, aber die Haut an Wange und Hals ist schlaff geworden, das Auge nicht mehr von der alten Lebenskraft. Er ähnelt irgendwie seinem Bruder Oskar.
Mathildens Tränen sind versiegt; aber sie ist abgemagert, und ihre Gedanken sind noch fern.
Fritz hat die Uniform ausgezogen. Der Arzt hat entschieden, dass eine weitere Verwendung im Heeresdienst ausgeschlossen ist. Nun weiss er, dass die Schwäche im Arm zurückbleiben muss. Auch der Fuss macht ihm zu schaffen, und es wird Jahre dauern, bis er ihn mit der alten Rüstigkeit setzen wird. Aber er fühlt sich nicht als Krüppel. Morgens ist er eine Stunde vor dem Vater in der Fabrik. Mit Künstlern beratschlagt er allerlei; was für Ostpreussen nötig sei — was bei Gundermann ausgeführt werden könne. Ab und zu kommt Onkel Oskar auf eine oder zwei Stunden.
Das Haus ist still geworden — und hat doch seinen besonderen, eigentümlich singenden Ton erhalten. In den Zimmern ist ein Duft, der vorher nicht da war — Konstanzens Duft. Als Gundermanns ihn im ersten Augenblick wahrnahmen, dachten sie: Nun ja, Theater, Parfüm. Aber Konstanze parfümiert sich nicht. Man weiss nur, wo sie gewesen — ein zarter Wohlgeruch vom jungen Weibe, den Robert Gundermann spürt, wie seine Frau, wie sein Sohn. Man hat sich in aller Selbstverständlichkeit zusammengefunden. Mit dem Du war der fehlende Zusammenhang plötzlich hergestellt.
„Wir werden dich nicht viel fragen, liebes Kind — du ruhst dich bei uns aus, dann werden wir weiter sehen.“
Konstanze ist dankbar und klug. Sie lässt sich nicht beweinen, und ihre flinken Hände schaffen herbei, was das Auge der Mutter nur eben gesucht. Es ist so natürlich, dass Konstanze der alten Frau eine Arbeit nach der andern wegnimmt.
„Du verwöhnst mich, Kind —“
Manchmal ist es Mathilde, es könnte ein Leben so weiter gehen. Aber zuweilen geschieht es auch, dass sie es nicht glauben kann. Das ist, wenn sie Konstanze ansieht und dann den Blick nicht von ihr wenden kann. Wenn sie spricht, gleichviel, was, nur um dieses ferne Lächeln in den goldbraunen Augen zu sehen, oder den blühenden Mund, wenn er antwortet. Sie spürt den Liebreiz mit den Sinnen des Sohnes. „Wenn Heinrich dich früher gebracht hätte — wie anders wäre alles geworden —“
Ein Seufzer.
Fritz ist stolz auf die Schwägerin. Gewiss, ihr Liebreiz rührt ihn, wie der Duft ihn sonderbar bewegt. Aber er ist stolz auf sie aus anderen Gründen. Man hatte ja wohl seine Angst vor Konstanze. Er ärgert sich fast, dass sie eine geborene „von“ ist, wenn auch der Adel nicht eben alt. Ein Bürgerkind hätte sie sein sollen, aber so Dame, wie sie ist — so untadelig in ihrer Ruhe, so unauffällig in ihrem schwarzen Hauskleid. Freilich, die Augen, der Mund, das Haar — sie lassen sich nicht verbergen. Aber wichtiger ist ihm die Ruhe und die Würde, in der sie mit den Damen Gundermann jeden Vergleich aufnehmen kann. Er ist ihr ritterlichster Diener geworden.
Und sie sieht ihn als den Bruder Heinrichs. Hat er nicht dieselbe gedrungene Stirn, dieselbe zähkräftige Gestalt? Nur Heinrichs Augen waren dunkel, bittend, demütig. Und Fritz ist ganz Tatsachenmensch; trotz der Schwäche in Arm und Fuss von Leben erfüllt. Heinrich war ein Abschiednehmender — seit Jahren.
Abends, wenn sie auf dem Balkon sitzen, muss Konstanze von Heinrich erzählen. Sie tut es schlicht, ohne Aufwand von Tränen, sie umgeht alles, was peinlich sein könnte. Plaudert von seinen kleinen Erfolgen, vom Leben am Theater, das ihm so schwer wurde, weil er die Schliche der Intriganten nie gehen wollte. Als nach ein paar Tagen seine Bücher und Noten ankommen, ist es ein erinnerungsreiches Auspacken. Konstanze weiss, was Heinrich bewegt hat, weiss auch, dass seine Hoffnung, das Kunstwerk zu meistern, nie ganz geschwunden ist. Haufen von beschriebenem Notenpapier bezeugen es. Und die Mutter hält mit brennendem Auge diese Blätter in der Hand, deren kritzlige Rätselschrift nie erklingen soll.
„Und meinst du nun, Konstanze, dass das gar nichts wert ist?“
Konstanze sucht und findet rasch die Antwort: „Es ist mehr wert als vieles, was sich auf der Gasse breit macht. Es ist nämlich eines bei diesen Dingen, was von allen, die es kannten, geschätzt wurde. Es ist Erfindung darin, mehr als ein reizendes Melodiechen. Aber, was ihm im Anfang so ganz fehlte, die Kunst des Aufbaus, der Verarbeitung — weisst du — die eigentliche Vertiefung der Gedanken, — das hat er nur langsam nachgeholt — oder er war erst im Begriff, es zu tun.“
„Aber ist nicht der Einfall die Hauptsache, Konstanze?“
„Ja und nein, Mutter. Ja, wenn einer so persönliche Einfälle hat, dass man bei jedem Strich die besondere Hand spürt. Aber wenn einer erst mal so auf die Welt gekommen ist, dann hat er — gewöhnlich — das andere auch bei sich.“
Und die Mutter: „Man möchte sein Andenken ehren, indem man irgend was tönen lässt.“
„Der Ton verklingt, Mutter, und unser Andenken ist seine beste Ehre.“
Fritz ist bei diesem Gespräch dabei und sieht, wie schwer es Konstanze wird, ihre grosse Ruhe aufrecht zu halten.
Dann kommen die Bücher. Nicht mehr als zwei kleine Kisten, aber von gewähltem Gehalt. „Es ist eigentlich das einzige Gegenständliche, was wir zusammen gehabt haben.“
„Du sollst es behalten, Kind.“
„Nicht doch, Mutter. Ich könnte es nicht so pflegen, bei meinem Hin und Her.“
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