In den nächsten Tagen dachte ich darüber nach, es meiner Mutter zu erzählen, was bei Larry passiert war. Ich wusste, dass sie mir glauben würde. Aber ich hatte zu viel Angst, um es in Worte zu fassen, Worte würden es so viel wirklicher machen. Und die Verwirrung, die mich in jenem Moment erfasst hatte, war immer noch da. Ich wusste nicht einmal, wie ich klar denken sollte. Außerdem gab es nichts, was sie würde tun können. Selbst ihre Stimme würde meiner nicht mehr Macht verleihen, gegen die Institutionen und Personen, die Larry umgaben, anzugehen.
Es gab nichts, das ich tun konnte.
Ein paar Tage später erkannte ich, dass ich ein weiteres Problem hatte – ich sollte weiterhin zu Larry in die Behandlung gehen. Wenn ich aufhörte, müsste ich es begründen, was mir unmöglich erschien, also beschloss ich, Larry einfach zu sagen, dass es meinem Rücken besser ginge. Er konnte ein letztes Mal meine Handgelenke behandeln, und wir würden es dabei belassen.
Als er beim nächsten Termin ins Behandlungszimmer kam, schien es, als hätte sich nichts geändert, zumindest nicht für ihn. Das gleiche einnehmende Auftreten, der gleiche Small Talk, der gleiche Blickkontakt mit meiner Mutter und mir. Nachdem ich ihm mitgeteilt hatte, dass es meinem Rücken besser ginge, schien er froh zu sein und zögerte keinen Augenblick, sich stattdessen auf meine Handgelenke zu konzentrieren.
Nur eine Sache war wirklich neu. Larry war endlich geworden, worauf er gewartet hatte. Er war Vater geworden.
»Komm her, komm her!«, beharrte er beinahe im Flüsterton. Aufregung lag in seiner Stimme. »Komm schon!« Er bedeutete mir, an der Tür zu stehen zu bleiben, und schlüpfte für einen Moment hinaus. Dann kehrte er mit einem winzigen, weichen Bündel zurück. »Ich weiß, dass du sie gerne sehen wolltest, und ich muss einfach mit ihr angeben!«
Sein Gesicht strahlte vor Stolz, als er mir seine neugeborene Tochter zeigte. Seine Frau war kurz vorher zu Besuch gekommen, und als Larry sah, dass ich da war, hatte er sie auf dem Handy angerufen und gebeten, noch mal in die Praxis zurückzukommen, damit ich das Baby sehen konnte.
»Willst du sie halten?«, fragte er, obwohl er die Antwort schon kannte, da er wusste, wie sehr ich Kinder liebte. Er legte mir das Baby in die Arme und flüsterte: »Sie ist wundervoll.«
Seine Erstgeborene hatte eine winzige Knopfnase, feine Augenlider, die im Schlaf geschlossen waren, und dunkles Haar wie Larry. Ein zartes Händchen schaute aus der Decke hervor, in die sie eingewickelt war. »Sie sieht Ihnen ähnlich«, flüsterte ich.
Das war das letzte Mal, dass ich Larry sah. Er forderte mich nicht mehr auf, einen weiteren Termin zu vereinbaren. Meine Handgelenke waren noch nicht in Ordnung. Vielleicht konnte man an diesem Punkt wirklich nichts mehr tun – vielleicht aber hatte er auch das Interesse verloren. Oder er hatte einfach nur bekommen, was er wollte. Auf jeden Fall war es vorbei.
Das folgende Jahr über versuchte ich, das Ganze zu vergessen. Immer, wenn Erinnerungen hochkamen, schüttelte ich mich in Gedanken. Es gab nichts, was ich tun konnte, argumentierte ich vor mir selbst, also hatte es auch keinen Sinn, darüber nachzudenken. Wann immer ich Wut oder Angst verspürte, wies ich mich zurecht. Ich wiederholte die Lügen, die die Gesellschaft jedem Opfer von sexueller Gewalt vermittelte: Hör auf damit, überdramatisch zu sein. Es war keine so große Sache. Du interpretierst zu viel hinein und machst es schlimmer, als es war.
Warum … warum kam ich einfach nicht darüber hinweg?
Im Laufe der Zeit wurde ich immer aufgewühlter. Meine Toleranzgrenze für die allgemeinen Anzüglichkeiten, mit denen Frauen regelmäßig konfrontiert sind, war niedrig bis inexistent. Ich wusste nun, dass sich Gedanken ohne Vorwarnung in Taten verwandeln konnten, und ständig fühlte ich mich unsicher und ungeschützt. Plötzlich bekam ich Albträume, und die Erinnerungen an meinen ersten Missbrauchstäter kehrten mit aller Macht zurück. In Gedanken ging ich alles durch, was Larry von Anfang an getan hatte, um mein Vertrauen zu gewinnen – einfache Komplimente, unschuldige Berührungen, lockere Unterhaltungen, Interesse an meiner Person.
Wie kann ich wissen, dass jemand aufrichtig ist?, fragte ich mich.
Die grundlegendsten Handlungen menschlicher Beziehungen waren missbraucht worden.
Mein eigenes Vertrauen war als Waffe eingesetzt worden. Meine Bitte um Hilfe war ausgenutzt worden. Vielleicht war die einzige Möglichkeit, einen erneuten Missbrauch zu verhindern, diese Dinge einfach abzuschalten. Niemandem mehr zu vertrauen. Niemals mehr. Punkt.
Auch meine Mutter bemerkte meine Veränderung. Überfüllte Orte, Männer, die hinter mir standen, und einfache Ausflüge in Einkaufszentren oder Fast-Food-Restaurants wurden zu einem Problem. Was als lustige Mutter-Tochter-Unternehmung begann, verwandelte sich plötzlich und ohne Vorwarnung in den Auslöser einer Stimmung, die mich nervös und bissig machte. Meine Mutter wusste, dass etwas nicht stimmte.
Nach einem besonders katastrophalen Ausflug zu Subway, wo sich die normalerweise ausgewogene Rachael in eine schimpfende, nervöse Version ihrer selbst verwandelte, die auch auf die einfachste Frage keine freundliche Antwort mehr geben konnte, war meine Mutter sicher, dass etwas geschehen war, von dem sie nichts wusste. Doch klug und einfühlsam, wie sie war, diskutierte sie es nicht an Ort und Stelle mit mir, sondern blieb ruhig und wartete auf eine bessere Gelegenheit, um nachzuhaken.
»Darf ich dich fragen, was bei Subway los war?«, fragte sie lässig über das Geräusch von fließendem Wasser hinweg. Es war ein oder zwei Tage später, wir spülten gemeinsam das Geschirr. Meine Mutter übernahm das Nachspülen, während ich abwusch. Ich war also mehr oder weniger gezwungen zuzuhören, und das wusste sie.
»Ja, es tut mir leid«, seufzte ich. »Ich weiß, dass ich mürrisch war. Ich hatte einfach nur großen Hunger.« Das Trinkglas in meiner Hand wurde energischer geschrubbt, als es notwendig war. Um ehrlich zu sein, verstand ich meine unvorhersehbaren Reaktionen nicht einmal selbst. In den seltenen Fällen, in denen ich ahnte, warum ich aufgewühlt oder ängstlich war, schüttelte ich jede aufkeimende Erinnerung schnell mit der Ermahnung ab, nicht so dramatisch zu sein.
»Bist du sicher, dass das alles ist?«, fragte sie, während sie das Glas aus meiner Hand nahm und es unter das heiße Wasser hielt. »Mir ist aufgefallen, dass es dir nicht nur so geht, wenn du hungrig bist. Gibt es einen bestimmten Grund dafür, dass es dich so nervös macht, wenn jemand hinter dir steht?«
Ich legte eine weitere Tasse ins Spülbecken und täuschte Unschuld vor. »Ist das so?«
»Schatz …« Mama hielt inne. »Ist irgendetwas passiert, von dem ich nichts weiß?« In dem Schweigen, das darauf folgte, nahm sie die Tasse, die ich ihr hinhielt, und spülte sie ab.
»Ich weiß es nicht.« Okay, ja, das ist eine Lüge.
»Was ist los?«, beharrte meine Mutter sanft. Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass ich damit nicht davonkommen würde. Also konzentrierte ich mich auf die Handvoll Besteck, die ich gerade bearbeitete, und erzählte ihr, wie Larry meine Brust begrapscht hatte. Sie sagte keinen Ton, während weitere Blasen unter dem fließenden Wasser ihren Untergang fanden. Dann sah sie mich an.
»Das macht mich so unglaublich zornig.« Die Stimme meiner Mutter war voller Wut, Trauer und Bedauern. »Es tut mir so leid …«
Sie glaubte mir, ich hatte gewusst, dass sie es tun würde. Sie kannte die Erfahrung, wie es sich anfühlte, wenn einem nicht geglaubt wurde.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Fassungslos sah sie mich an. »Es tut mir so leid, mein Schatz. Wie konnte ich das nicht bemerkt haben? Ich war doch im selben Raum!«
Auch das hatte ich gewusst, dass sie sich selbst Vorwürfe machen würde. Der Kummer in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
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