Hoeneß kam dann schneller als gedacht, wohl auch, um Kritiker wie Kapellmann – der dann zum Lokalrivalen 1860 wechselte – vor vollendete Tatsachen zu stellen. Am 1. Mai trat der 27-jährige Ex-Profi offiziell als jüngster Manager der Bundesliga an. »Ich bin ja kein großer Freund von Sakkos, aber an diesem Tage habe ich mir eines angezogen«, erinnerte er sich, »ein graues Sakko, dazu ein hellblaues Hemd. Dazu habe ich mir einen großen schwarzen Notizblock unter den Arm genommen und habe mir gesagt: So, nun musst du den Manager machen. Das Schwan’sche Büro war fast leer, nur der Schreibtisch und eine Konsole daneben waren da. Dann habe ich mit drei, vier Leuten zwei Stunden rumtelefoniert, und dann bin ich wieder heimgefahren.« Es ging um die Aushandlung eines Freundschaftsspiels für 20.000 DM. Mehr, so Hoeneß, habe es nicht zu tun gegeben. Oder besser ausgedrückt: Von dem »Mehr«, was es zu tun hätte geben können, hatte er zu diesem Zeitpunkt noch keine klare Vorstellung. Für den Beruf des Managers gab es damals noch keine definierten Konturen – lediglich Helmut Grasshoff in Mönchengladbach und eben Robert Schwan bei den Bayern waren bis dahin in einer Weise tätig gewesen, wie es heutige Bundesligamanager tun. Hoeneß musste sich also sein Tätigkeitsfeld erst selbst erschließen.
Der neue Kommandeur in der Bayern-Führung empfand es als großen Vorteil, eine erfolgreiche Fußballerkarriere als Erfahrungshintergrund in seinen neuen Job einbringen zu können. Der »wesentliche Unterschied« zwischen einem Manager in einem Industrieunternehmen und dem in einem Profiverein sei der, so Hoeneß, dass man als Fußballmanager »selbst gespielt haben sollte«. In dieser Feststellung lag zugleich ein Vorwurf gegen die alte Garde der Vereinsführer, die ja in der Regel nie auf höchstem Niveau gespielt hatten. Seiner Meinung nach konnte die Mechanismen des Geschäfts aber nur der voll durchschauen, der einst selbst in den großen Stadien der Welt auf dem Rasen mitgemischt hat. Als ehemaligem Klassespieler falle es ihm leicht, sich in das Denken junger Profis einzufühlen. »Ich habe in meiner Profizeit alles gesehen, jeden Trick durchschaut, ich kenne die Typen, die in diesem Geschäft mitzumischen versuchen. Mir macht keiner was vor.« Darüber hinaus sollte Hoeneß rasch bemerken, dass man es als Ex-Profi im Umgang mit Leuten, die sehr viel Geld verdienen, leichter hat, da man Vertragsgespräche mehr auf Augenhöhe führen kann: »Bei der Beurteilung von Spielern wird man eher ernst genommen.«
Der Ex-Bayern-Präsident Wilhelm Neudecker mag sich der Vorteile durchaus bewusst gewesen sein, die daraus resultieren mochten, wenn man einen intelligenten, dynamischen und ideenreichen Spieler, der eben erst seine Karriere beendet hatte, an die Schaltstelle des FC Bayern setzte. Er war mit dieser Überlegung auch nicht allein. Denn Hoeneß war nicht der einzige junge Mann, der zu dieser Zeit einen Generations- und Stilwechsel in den Führungsgremien der Vereine einleitete. »Um die dreißig Jahre alt, Cordhosen, Pulli, offener Hemdkragen. Alert, gewitzt, gerissen, zu Zeiten schlitzohrig, zwei sechsstellige Einkommen – eines aus dem Job, das andere aus dem im Profigeschäft angeschafften Vermögen –, mikrofonsicher, kamerafest und eloquent: das ist der neue Manager in der Fußballbranche«, schrieb die »Zeit« und meinte damit Typen wie Netzer in Hamburg, Thielen in Köln, Assauer in Bremen und eben Hoeneß in München. Hoeneß, so heißt es in dem Artikel weiter, treibe nun »seine dritte Karriere auf die Spitze, wie stets im Self-made-Verfahren.« Die dritte Karriere – mit der ersten war die als Profi gemeint, mit der zweiten die als Geschäftsmann, deren Abrundung er noch vor sich hatte: 1983, mit der Gründung einer Bratwurstfabrik in Nürnberg.
Im neuen Job als Manager erwies es sich als großer Vorteil, dass er finanziell bereits ausgesorgt hatte – was nicht erst mit den Bratwurst-Millionen der Fall war, sondern schon 1979 durch die Einnahmen aus Werbung, Immobilien und Wertpapieren. Sein Erfolg als Geschäftsmann biete ihm perfekte Voraussetzungen für den Job als Fußballmanager, betonte er: »Weil ich der unabhängigste Mensch im Fußball bin. Weil ich alles für den FC Bayern tue, aber nichts für mich.« Diese Unabhängigkeit sei sein »einziges Geheimnis« und zugleich sein Erfolgsrezept. Er habe es nicht nötig, sich über den FC Bayern zu bereichern, er sei vollkommen unbestechlich und komme in keinerlei Versuchung, wenn etwa, wie es in der Branche üblich sei, »Freundschaftsspiel-Partner im Ausland den Preis zu drücken versuchen, indem sie dem Manager fünfoder zehntausend Mark Provision anbieten«. Außerdem erlaube ihm die finanzielle auch eine geistige Unabhängigkeit und damit die Möglichkeit, mit einem völlig ungetrübten Selbstbewusstein als Fußballmanager aufzutreten. Denn »das Wissen, morgen sofort etwas anderes tun zu können«, spürte er, »gibt Selbstvertrauen«. Und es gibt die Freiheit, rein sachorientiert zu entscheiden.
Uli Hoeneß sei »die perfekte Symbiose aus Footballman und Businessman«, schrieb der Fußballbuch-Autor Dietrich Schulze-Marmeling. Bessere Voraussetzungen für einen Fußballmanager konnte einer tatsächlich kaum mitbringen. Und vielleicht florierte der FC Bayern unter Hoeneß auch gerade deswegen so gut, weil – anders als bei anderen Bundesligavereinen – die Zuständigkeiten für das Sportliche und das Wirtschaftliche nie getrennt, sondern stets in einer Person gebündelt blieben. All das klingt plausibel, kann aber dennoch nicht erklären, warum diese Person über so viele Jahre auf ihrem Posten aushielt. Dies führt zu dem dritten Kriterium, das Uli Hoeneß – neben den Spielererfahrungen auf höchstem Niveau und der wirtschaftlichen Unabhängigkeit – als entscheidend für eine erfolgreiche Arbeit als Fußballmanager nannte: die totale Identifikation mit dem Verein. Im Gegensatz zu seinen in flotter Folge die Vereine wechselnden Kollegen war für ihn ein Arbeitsplatzwechsel ab einem bestimmten Zeitpunkt völlig ausgeschlossen. In gewisser Weise wurde aus ihm in seinem unbedingten Engagement für den FC Bayern allmählich ein ganz neuer Mensch. Hoeneß denke auf dem Feld nur an sich, und ansonsten gehe es ihm nur ums Geld, hatte Beckenbauer während der WM 1974 seinem Mitspieler vorgehalten. Aus dem Spieler, der immerzu nur »ich« sagte und »Geld für mich«, wurde nun im neuen Job ein Mann, der immerzu nur »Bayern« sagte und »Geld für Bayern«. Und weil es immer klar blieb, dass er niemals für einen anderen Verein tätig werden würde, konnte er stets mit einer besonderen Aura der Glaubwürdigkeit auftreten – und so zum »Mister Bayern« werden.
Seine drei Kriterien für die erfolgreiche Arbeit als Fußballmanager nannte Uli Hoeneß wohl nicht zufällig. Außer ihm selbst erfüllte sie in der Bundesliga niemand – und so suggerierte er damit zugleich: Solange dieser Drei-Kriterien-Hoeneß Manager bei den Bayern ist, kann auch kein anderer Verein dauerhaft zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten werden. Er selbst freilich, erwähnte er immer wieder mal nebenbei, hätte natürlich auch was anderes machen können. In der Wirtschaft hätte er sich alles Mögliche zugetraut, und dort hätte er auch besser dotierte Stellungen finden können.
Aus reiner Liebe aber verrichtete er seine Tätigkeit beim FC Bayern denn doch nicht. Obwohl er mit seinen Geschäften genügend Geld zur Sicherung seiner Unabhängigkeit auf die Seite gebracht hatte, wollte er auf das Zubrot, das er von den Bayern erhielt, natürlich nicht verzichten. Aber was heißt da »Zubrot«? Sein Verdienst bei den Bayern war erstaunlich üppig. Als Basis gab es 10.000 DM als monatliches Grundgehalt, dazu kamen Prämien für Titel, die er in derselben Höhe wie die Spieler erhielt, und vor allem stattliche Provisionen. Von jeder Mark Werbeeinnahmen, die über 600.000 DM jährlich hinausgingen, sollte er 50 Prozent bekommen. Das schien für den Verein nicht riskant, denn damals lagen die Jahreseinnahmen in diesem Bereich bei nur etwa 300.000 DM. Dank Hoeneß stiegen die freilich rapide. »Heute haben wir Werbeeinnahmen von rund 70 Millionen Euro«, verriet er im Januar 2009 dem »Spiegel«, »da können Sie sich ausrechnen, was ich verdienen würde.« Für sein Empfinden war es schon 1980 geradezu peinlich viel. Nach einem Jahr sei er zum Präsidenten Willi O. Hoffmann gegangen und habe ihm eine freiwillige Kürzung seiner Provision vorgeschlagen: »Das geht so nicht weiter, ich kriege zu viel Geld.« Man einigte sich auf ein höheres Grundgehalt und nur noch fünf Prozent Provision. Mitte der achtziger Jahre lag sein Jahresgehalt bei etwa 300.000 DM brutto plus Erfolgsprämien. Nur wenige Jahre später, als sein Festgehalt auf über 400.000 DM gestiegen war, setzte er eine Erhöhung seiner Provision auf sechs Prozent durch. Es könne nicht sein, begründete er kühl, dass er den Fanartikel-Verkauf von null auf sechs Millionen Mark aus dem Boden stampfe und davon nicht profitiere. Später erzielte Uli Hoeneß unter der Berufsbezeichnung »Stellvertretender Vorstand der Bayern München AG« einen Jahresverdienst von angeblich rund einer Million Euro. Ein Feilschen um Provisionen, möchte man meinen, sollte sich da erübrigt haben.
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