Die Spannung zwischen den gegängelten Bauern und der zwar wohlmeinenden, aber letztlich herablassenden Adeligen sollte sich 1917 gewaltsam entladen, als die ehemaligen Untertanen der Fürstin den Landsitz, die Werkstätten und gleich auch noch eine von Roerich ausgemalte Kirche niederbrannten.
Von solchen Spannungen ist den Schriften Nikolai Roerichs nichts, aber auch gar nichts zu finden. Der Künstler warf sich in die Pose eines »Propheten der Kunst«, der inneren Veränderung des Menschen durch die »Schönheit«, die letztlich alle Widersprüche der Gesellschaft beseitigen werde. Beispielhaft sind diese 1908 geschriebenen Sätze: »Die wichtigste Rolle beim Erlangen von Harmonie im Leben spielt die Kunst. Eben sie bringt Freude an der Schönheit, Freude an der Erhellung des menschlichen Verstands mit sich. [...] Unter den Massenbewegungen sollte an erster Stelle die Wertschätzung der Arbeit stehen, deren Krone die Weiterverbreitung der Kunst und des Wissens ist. Außerdem sind dies die beiden Antriebe einer internationalen Verständigung, die die aufbegehrende Menschheit braucht. Kunst ist das Herz und Wissen das Gehirn des Volkes. Nur mit Herz und Weisheit kann sich die Menschheit vereinen und gegenseitig verstehen.« 62
Wer sollte da widersprechen? Die Fürstin Tennischewa verehrte den »Propheten der Schönheit« als »Menschen, der im Geist lebt«, als »vom Funken des Schöpfers Auserwählten«, als »jemanden, durch den Gott die Wahrheit spricht« 63, und für den Kritiker Gollerbach stand der Name Roerich »schon lange für einen ganzen Kosmos, für eine ganze Welt von Bildern mit tiefster Bedeutung, die der schöpferische Wille des Künstlers ins Leben gerufen hat. Seine Bilder sind beseelt von der Weisheit im antiken Sinne des Wortes: Sophia bedeutet Meisterschaft, die Fähigkeit etwas zu schaffen. Nicht umsonst heißen wahre Künstler bei Pindar und Aristoteles die Weisen.« 64
Der Mann mit der Maske
Wenn man sich durch die Artikel liest, die von und über Nikolai Roerich im Petersburg der Zarenzeit erschienen sind – seine Anhänger haben sie in mehreren Bänden herausgegeben –, so könnte man beinahe denken, hier habe ein Heiliger gewirkt. Hier finden wir nicht nur Lobeshymnen Gollerbachs und anderer Kritiker, hier sind auch die zahlreichen Aufrufe Nikolai Roerichs zu Schönheit und Kultur zusammengetragen.
Tatsächlich war Nikolai Roerich ein begnadeter Leiter seiner Kunstschule, die bald nur noch Roerichschule hieß. Er beendete die Bevorzugung höherer Kreise, nahm Schüler allein nach Eignung auf, erweiterte die Schule um verschiedene Zweige des Kunsthandwerks und erwies merkantiles Geschick, indem er einen blühenden Handel mit Postkarten aufzog, die in der Schule hergestellt wurden. Nicht zu vergessen, dass er auch den musikalischen Zweig der Schule förderte, der bis dahin eher vernachlässigt worden war. Genauso unzweifelhaft ist sein Eintreten für die Erhaltung der Überreste des russischen Mittelalters, die von der beginnenden Industrialisierung gefährdet wurden.
Aber bei all den Hymnen muss man etwas sehr Wesentliches bedenken: Nikolai Roerich war auch ein Meister der Manipulation und jemand, der sein »Image« immer genauestens im Auge behielt. So lesen wir in dem bereits zitierten Brief von Lasarewski an Gollerbach: »Nichts Menschliches war Roerich fremd. Er hielt enge Verbindung mit Leuten von der Börse und Geschäftemachern des alten Petersburg vom Typ Manus [Industrieller und Bankier] und Rubinstein [bedeutender Petersburger Bankier, gehörte zur Umgebung Rasputins] und zog daraus eine Überfülle von irdischen Segnungen. Aus seiner Freundschaft mit Rumanow, Ksjunin oder Manuilow wusste er bestens Bescheid, was hinter den Kulissen der damals einflussreichen Presse vor sich ging, und zog daraus sehr großen Gewinn. Er war ein sehr stiller Typ.«
Tatsächlich waren seine Verbindungen so gut, dass es ihm gelang, Rezensionen eigener Werke und Interviews mit sich selbst zu verfassen und dann unter anderem Namen zu veröffentlichen. Schließlich konnte er auch direkt gefährlich werden, wenn er das sorgfältig gepflegte Bild des »Propheten der Schönheit« in Gefahr sah. Er scheute vor keiner Klage zurück, kannte aber auch andere Mittel. So in Sachen der Affäre mit den Bildern für Zarskoe Selo. Wir erinnern uns, Roerich hatte seine Bilder, ohne ein Wort zu sagen, aus einer Sammelausstellung genommen, sie dem Zaren gezeigt und dann schnell vor Eröffnung wieder zurückgestellt.
Aber damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Lasarewski berichtet, nach einiger Zeit habe Roerich erfahren, der Redakteur einer einflussreichen Moskauer Zeitung, der ihm so oder so nicht sehr wohlgesonnen war, wolle etwas über das Vorgefallene veröffentlichen.
»Der Redakteur der Petersburger Ausgabe war Jude und lebte in der Hauptstadt nicht ganz legal. [Juden durften sich in den Städten Petersburg und Moskau nur mit Sondergenehmigung ansiedeln.] Roerich tauchte bei dem Redakteur auf und forderte, den Artikel nicht zu veröffentlichen. Der Redakteur weigerte sich, denn er fand ihn interessant. Als er sah, dass er so nicht zum Ziel kam, sagte ihm Roerich ruhig, wenn der Redakteur ihm nicht zusichern würde, den Artikel nicht zu veröffentlichen, werde er sich sofort an die richtige Stelle wenden, um mitzuteilen, dass der Redakteur in Petersburg als angeblicher Verkäufer lebe, aber in Wirklichkeit einer völlig anderen Sache nachgehe und dabei noch in der Presse tätig sei. Was blieb dem Redakteur da noch übrig. Die Anmerkung wurde vernichtet.«
Dieser andere Roerich tritt uns auch in den Briefen an seine Frau entgegen. Wie zu Anfang ihrer Beziehung schrieb er ihr fast jeden Tag einen Brief, wenn er auf Reisen war, und er war viel auf Reisen: 1906 durch Italien und die Schweiz, 1907 in Frankreich, 1908 zur Kur in Bad Neuenahr, 1911 wieder in Bad Neuenahr und 1913 schließlich zur Premiere des »Frühlingsopfers« in Paris. In den Briefen sucht man vergeblich nach Spirituellem, dem Streben nach dem Hohen, Schönen und Guten. Zum einen beschäftigte ihn seine Karriere, besonders seine internationale, denn in Russland war er längt anerkannt.
Dann geht es in den Briefen um Geld, immer wieder um Geld. Roerich rechnete jede seiner Ausgaben auf den Pfennig, die Kopeke oder den Sous ab und machte sich Sorgen um Aktien, mit denen er spekulierte. Dabei war er keineswegs arm. Er stieg in guten Hotels wie dem Westphälischen Hof in der Neustädtischen Kirchstraße im Nordwesten Berlins ab, der, wie wir auf dem Briefpapier des Hotels lesen, über »elektrisches Licht« und einen »elektrischen Aufzug« verfügte, hielt sich zweimal in dem noblen Kurort Bad Neuenahr auf und hatte genug Geld, um mehrmals die wichtigsten Länder Westeuropas zu besuchen. Schließlich legte er noch vor der Revolution eine Sammlung mit 300 Bildern alter Meister an, darunter Tizian, Rembrandt und Breughel. Welche Bedeutung für ihn Geld hatte und wie er vorging, um sein Vermögen zu mehren, lässt sich aus den Briefen an seine Frau ablesen. Im Juni 1911 schrieb er ihr in seinem ersten Brief aus Bad Neuenahr, nie hätte er eine solche Ansammlung von Missgeburten wie hier gesehen, und weiter, die Juden oder Jüdchen [Roerich benutzte die abwertende Bezeichnung Schidi, oder Schidki] hätten hier alles in der Hand. In dem nächsten Brief jedoch lesen wir, er habe die »Jüdchen« mit seinen Reden für sich eingenommen und die glaubten jetzt sogar, er sei einer der ihren. Und weiter heißt es, das sei gut, denn er werde jetzt Gelegenheit haben, von den »Jüdchen« gute Börsentipps zu bekommen.
Mit ähnlicher Berechnung ging er vor, um sich die wichtigsten Mäzene Russlands geneigt zu machen. Tennischewa hatte er schon in der Tasche, und der wichtigste Mäzen von allen, der Zar, war ihm auch zugetan. Und doch machte er sich offensichtlich Sorgen um die Gunst des Herrschers. In einem Brief aus Bad Neuenahr, in dem es zuerst um Geldprobleme ging, schrieb er ihr dann zum Schluss als »gute Neuigkeit«: »Habe gestern die ganze Nacht vom Zaren geträumt. Er war schrecklich freundlich zu mir.« 65
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