Heinrich Heine - Reisebilder. Erster Teil

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Heinrich Heines «Reisebilder» sind aus der Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts nicht wegzudenken: Er entführt den Leser mit seinen Reiseberichten, die sowohl Lyrik als auch Prosa auf damals neuartige Weise verbanden, von der Nordsee über den Harz bis nach Italien und England. Dabei beschreibt er nicht nur Orte, Sehenswürdigkeiten und Landschaften, sondern notiert auch Gedanken, kritisiert und berichtet oftmals satirisch über Begebenheiten. -

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Heinrich Heine

Reisebilder. Erster Teil

Saga

Reisebilder. Erster Teil Die Heimkehr, Die Nordsee, Die Harzreise Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1826, 2020 Heinrich Heine und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726539356

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

Die Heimkehr

1 In mein gar zu dunkles Leben

strahlte einst ein süsses Bild;

nun das süsse Bild erblichen,

bin ich gänzlich nachtumhüllt.

Wenn die Kinder sind im Dunkeln,

wird beklommen ihr Gemüt,

und um ihre Angst zu bannen,

singen sie ein lautes Lied.

Ich, ein tolles Kind, ich singe

jetzo in der Dunkelheit;

klingt das Lied auch nicht ergötzlich,

machts mich doch von Angst befreit.

2 Ich weiss nicht, was soll es bedeuten,

dass ich so traurig bin;

ein Märchen aus alten Zeiten,

das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist kühl und es dunkelt

und ruhig fliesst der Rhein,

der Gipfel des Berges funkelt

im Abendsonnenschein.

Die schönste Jungfrau sitzet

dort oben wunderbar,

ihr goldnes Geschmeide blitzet,

sie kämmt ihr gold’nes Haar.

Sie kämmt es mit gold’nem Kamme,

und singt ein Lied dabei;

das hat eine wundersame,

gewaltige Melodei.

Den Schiffer im kleinen Schiffe

ergreift es mit wildem Weh;

er schaut nicht die Felsenriffe,

er schaut nur hinauf in die Höh.

Ich glaube, die Wellen verschlingen

am Ende Schiffer und Kahn;

und das hat mit ihrem Singen

die Lorelei getan.

3 Mein Herz, mein Herz ist traurig,

doch lustig leuchtet der Mai;

ich stehe, gelehnt an der Linde,

hoch auf der alten Bastei.

Da drunten fliesst der blaue

Stadtgraben in stiller Ruh;

ein Knabe fährt im Kahne,

und angelt und pfeift dazu.

Jenseits erheben sich freundlich,

in winziger, bunter Gestalt,

Lusthäuser, und Gärten, und Menschen,

und Ochsen, und Wiesen, und Wald.

Die Mädchen bleichen Wäsche,

und springen im Gras herum;

das Mühlrad stäubt Diamanten,

ich höre sein fernes Gesumm.

Am alten grauen Turme

ein Schilderhäuschen steht;

ein rotgeröckter Bursche

dort auf und nieder geht,

Er spielt mit seiner Flinte,

die funkelt im Sonnenrot,

er präsentiert und schultert —

ich wollt, er schösse mich tot.

4 Im Walde wandl ich und weine,

die Drossel sitzt in der Höh;

sie springt und singt gar feine:

Warum ist dir so weh?

„Die Schwalben, deine Schwestern,

die könnens dir sagen, mein Kind,

sie wohnten in klugen Nestern,

wo Liebchens Fenster sind.“

5. Die Nacht ist feucht und stürmisch,

der Himmel sternenleer;

im Wald, unter rauschenden Bäumen,

wandle ich schweigend einher.

Es flimmert fern ein Lichtchen

aus dem einsamen Jägerhaus;

es soll mich nicht hin verlocken,

dort sieht es verdriesslich aus.

Die blinde Grossmutter sitzt ja

im ledernen Lehnstuhl dort,

unheimlich und starr, wie ein Steinbild,

und spricht kein einziges Wort.

Fluchend geht auf und nieder

des Försters rotköpfiger Sohn,

und wirft an die Wand die Büchse,

und lacht vor Wut und Hohn.

Die schöne Spinnerin weinet

und feuchtet mit Tränen den Flachs;

wimmernd zu ihren Füssen

schmiegt sich des Vaters Dachs.

6. Als ich, auf der Reise, zufällig

meines Liebchens Familie fand,

Schwesterchen, Vater und Mutter,

sie haben mich freudig erkannt.

Sie fragten nach meinem Befinden,

und sagten selber sogleich:

ich hätte mich gar nicht verändert,

nur mein Gesicht sei bleich.

Ich fragte nach Muhmen und Basen,

nach manchem langweilgen Geselln,

und nach dem kleinen Hündchen,

mit seinem sanften Belln.

Auch nach der vermählten Geliebten

fragte ich nebenbei;

und freundlich gab man zur Antwort,

dass sie in den Wochen sei.

Und freundlich gratuliert ich,

und lispelte liebevoll,

dass man sie von mir recht herzlich

viel tausendmal grüssen soll.

Schwesterchen rief dazwischen:

Das Hündchen, sanft und klein,

ist gross und toll geworden,

und ward ertränkt, im Rhein.

Die Kleine gleicht der Geliebten,

besonders wenn sie lacht;

sie hat dieselben Augen,

die mich so elend gemacht.

7 Wir sassen am Fischerhause,

und schauten nach der See;

die Abendnebel kamen,

und stiegen in die Höh.

Im Leuchtturm wurden die Lichter

allmählich angesteckt,

und in der weiten Ferne

ward noch ein Schiff entdeckt.

Wir sprachen von Sturm und Schiffbruch,

vom Seemann, und wie er lebt,

und zwischen Himmel und Wasser,

und Angst und Freude schwebt.

Wir sprachen von fernen Küsten,

vom Süden und vom Nord,

und von den seltsamen Menschen

und seltsamen Sitten dort.

Am Ganges duftets und leuchtets,

und Riesenbäume blühn,

und schöne, stille Menschen

vor Lotusblumen knien.

In Lappland find schmutzige Leute,

plattköpfig, breitmäulig und klein;

sie kauern ums Feuer, und backen

sich Fische, und quäken und schrein.

Die Mädchen horchten ernsthaft,

und endlich sprach Niemand mehr;

das Schiff war nicht mehr sichtbar,

es dunkelte gar zu sehr.

8 Du schönes Fischermädchen,

treibe den Kahn ans Land;

komm zu mir und setze dich nieder,

wir kosen Hand in Hand.

Leg an mein Herz dein Köpfchen,

und fürchte dich nicht zu sehr,

vertraust du dich doch sorglos

täglich dem wilden Meer.

Mein Herz gleicht ganz dem Meere,

hat Sturm und Ebb und Flut,

und manche schöne Perle

in seiner Tiefe ruht.

9 Der Mond ist aufgegangen

und überstrahlt die Welln;

ich halte mein Liebchen umfangen,

und unsre Herzen schwelln.

Im Arm des holden Kindes

ruh ich allein am Strand; —

was horchst du beim Rauschen des Windes?

Was zuckt deine weisse Hand?

„Das ist kein Rauschen des Windes,

das ist der Seejungfern Gesang,

und meine Schwestern sind es,

die einst das Meer verschlang.“

Auf den Wolken ruht der Mond,

eine Riesenpomeranze,

überstrahlt das graue Meer,

breiten Streifs, mit goldnem Glanze.

Einsam wandl ich an dem Strand,

wo die weissen Wellen brechen,

und ich hör viel süsses Wort,

süsses Wort im Wasser sprechen.

Ach, die Nacht ist gar zu lang,

und mein Herz kann nicht mehr schweigen —

schöne Nixen, kommt hervor,

tanzt und singt den Zauberreigen!

Nehmt mein Haupt in euren Schoss,

Leib und Seel sei hingegeben!

Singt mich tot und herzt mich tot,

küsst mir aus der Brust das Leben!

Eingehüllt in graue Wolken,

schlafen jetzt die grossen Götter,

und ich höre, wie sie schnarchen,

und wir haben wildes Wetter.

Wildes Wetter! Sturmeswüten

will das arme Schiff zerschellen —

ach, wer zügelt diese Winde

und die herrenlosen Wellen!

Kanns nicht hindern, dass es stürmet,

dass da dröhnen Mast und Bretter,

und ich hüll mich in den Mantel,

um zu schlafen wie die Götter.

10 Der Wind zieht seine Hosen an,

die weissen Wasserhosen;

er peitscht die Wellen, so stark er kann,

die heulen und brausen und tosen.

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