Heinrich Heine
Saga
Reisebilder. Erster Teil Die Heimkehr, Die Nordsee, Die Harzreise Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1826, 2020 Heinrich Heine und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726539356
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
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Die Heimkehr
1 In mein gar zu dunkles Leben
strahlte einst ein süsses Bild;
nun das süsse Bild erblichen,
bin ich gänzlich nachtumhüllt.
Wenn die Kinder sind im Dunkeln,
wird beklommen ihr Gemüt,
und um ihre Angst zu bannen,
singen sie ein lautes Lied.
Ich, ein tolles Kind, ich singe
jetzo in der Dunkelheit;
klingt das Lied auch nicht ergötzlich,
machts mich doch von Angst befreit.
2 Ich weiss nicht, was soll es bedeuten,
dass ich so traurig bin;
ein Märchen aus alten Zeiten,
das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft ist kühl und es dunkelt
und ruhig fliesst der Rhein,
der Gipfel des Berges funkelt
im Abendsonnenschein.
Die schönste Jungfrau sitzet
dort oben wunderbar,
ihr goldnes Geschmeide blitzet,
sie kämmt ihr gold’nes Haar.
Sie kämmt es mit gold’nem Kamme,
und singt ein Lied dabei;
das hat eine wundersame,
gewaltige Melodei.
Den Schiffer im kleinen Schiffe
ergreift es mit wildem Weh;
er schaut nicht die Felsenriffe,
er schaut nur hinauf in die Höh.
Ich glaube, die Wellen verschlingen
am Ende Schiffer und Kahn;
und das hat mit ihrem Singen
die Lorelei getan.
3 Mein Herz, mein Herz ist traurig,
doch lustig leuchtet der Mai;
ich stehe, gelehnt an der Linde,
hoch auf der alten Bastei.
Da drunten fliesst der blaue
Stadtgraben in stiller Ruh;
ein Knabe fährt im Kahne,
und angelt und pfeift dazu.
Jenseits erheben sich freundlich,
in winziger, bunter Gestalt,
Lusthäuser, und Gärten, und Menschen,
und Ochsen, und Wiesen, und Wald.
Die Mädchen bleichen Wäsche,
und springen im Gras herum;
das Mühlrad stäubt Diamanten,
ich höre sein fernes Gesumm.
Am alten grauen Turme
ein Schilderhäuschen steht;
ein rotgeröckter Bursche
dort auf und nieder geht,
Er spielt mit seiner Flinte,
die funkelt im Sonnenrot,
er präsentiert und schultert —
ich wollt, er schösse mich tot.
4 Im Walde wandl ich und weine,
die Drossel sitzt in der Höh;
sie springt und singt gar feine:
Warum ist dir so weh?
„Die Schwalben, deine Schwestern,
die könnens dir sagen, mein Kind,
sie wohnten in klugen Nestern,
wo Liebchens Fenster sind.“
5. Die Nacht ist feucht und stürmisch,
der Himmel sternenleer;
im Wald, unter rauschenden Bäumen,
wandle ich schweigend einher.
Es flimmert fern ein Lichtchen
aus dem einsamen Jägerhaus;
es soll mich nicht hin verlocken,
dort sieht es verdriesslich aus.
Die blinde Grossmutter sitzt ja
im ledernen Lehnstuhl dort,
unheimlich und starr, wie ein Steinbild,
und spricht kein einziges Wort.
Fluchend geht auf und nieder
des Försters rotköpfiger Sohn,
und wirft an die Wand die Büchse,
und lacht vor Wut und Hohn.
Die schöne Spinnerin weinet
und feuchtet mit Tränen den Flachs;
wimmernd zu ihren Füssen
schmiegt sich des Vaters Dachs.
6. Als ich, auf der Reise, zufällig
meines Liebchens Familie fand,
Schwesterchen, Vater und Mutter,
sie haben mich freudig erkannt.
Sie fragten nach meinem Befinden,
und sagten selber sogleich:
ich hätte mich gar nicht verändert,
nur mein Gesicht sei bleich.
Ich fragte nach Muhmen und Basen,
nach manchem langweilgen Geselln,
und nach dem kleinen Hündchen,
mit seinem sanften Belln.
Auch nach der vermählten Geliebten
fragte ich nebenbei;
und freundlich gab man zur Antwort,
dass sie in den Wochen sei.
Und freundlich gratuliert ich,
und lispelte liebevoll,
dass man sie von mir recht herzlich
viel tausendmal grüssen soll.
Schwesterchen rief dazwischen:
Das Hündchen, sanft und klein,
ist gross und toll geworden,
und ward ertränkt, im Rhein.
Die Kleine gleicht der Geliebten,
besonders wenn sie lacht;
sie hat dieselben Augen,
die mich so elend gemacht.
7 Wir sassen am Fischerhause,
und schauten nach der See;
die Abendnebel kamen,
und stiegen in die Höh.
Im Leuchtturm wurden die Lichter
allmählich angesteckt,
und in der weiten Ferne
ward noch ein Schiff entdeckt.
Wir sprachen von Sturm und Schiffbruch,
vom Seemann, und wie er lebt,
und zwischen Himmel und Wasser,
und Angst und Freude schwebt.
Wir sprachen von fernen Küsten,
vom Süden und vom Nord,
und von den seltsamen Menschen
und seltsamen Sitten dort.
Am Ganges duftets und leuchtets,
und Riesenbäume blühn,
und schöne, stille Menschen
vor Lotusblumen knien.
In Lappland find schmutzige Leute,
plattköpfig, breitmäulig und klein;
sie kauern ums Feuer, und backen
sich Fische, und quäken und schrein.
Die Mädchen horchten ernsthaft,
und endlich sprach Niemand mehr;
das Schiff war nicht mehr sichtbar,
es dunkelte gar zu sehr.
8 Du schönes Fischermädchen,
treibe den Kahn ans Land;
komm zu mir und setze dich nieder,
wir kosen Hand in Hand.
Leg an mein Herz dein Köpfchen,
und fürchte dich nicht zu sehr,
vertraust du dich doch sorglos
täglich dem wilden Meer.
Mein Herz gleicht ganz dem Meere,
hat Sturm und Ebb und Flut,
und manche schöne Perle
in seiner Tiefe ruht.
9 Der Mond ist aufgegangen
und überstrahlt die Welln;
ich halte mein Liebchen umfangen,
und unsre Herzen schwelln.
Im Arm des holden Kindes
ruh ich allein am Strand; —
was horchst du beim Rauschen des Windes?
Was zuckt deine weisse Hand?
„Das ist kein Rauschen des Windes,
das ist der Seejungfern Gesang,
und meine Schwestern sind es,
die einst das Meer verschlang.“
Auf den Wolken ruht der Mond,
eine Riesenpomeranze,
überstrahlt das graue Meer,
breiten Streifs, mit goldnem Glanze.
Einsam wandl ich an dem Strand,
wo die weissen Wellen brechen,
und ich hör viel süsses Wort,
süsses Wort im Wasser sprechen.
Ach, die Nacht ist gar zu lang,
und mein Herz kann nicht mehr schweigen —
schöne Nixen, kommt hervor,
tanzt und singt den Zauberreigen!
Nehmt mein Haupt in euren Schoss,
Leib und Seel sei hingegeben!
Singt mich tot und herzt mich tot,
küsst mir aus der Brust das Leben!
Eingehüllt in graue Wolken,
schlafen jetzt die grossen Götter,
und ich höre, wie sie schnarchen,
und wir haben wildes Wetter.
Wildes Wetter! Sturmeswüten
will das arme Schiff zerschellen —
ach, wer zügelt diese Winde
und die herrenlosen Wellen!
Kanns nicht hindern, dass es stürmet,
dass da dröhnen Mast und Bretter,
und ich hüll mich in den Mantel,
um zu schlafen wie die Götter.
10 Der Wind zieht seine Hosen an,
die weissen Wasserhosen;
er peitscht die Wellen, so stark er kann,
die heulen und brausen und tosen.
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