Aber des Nachts,
am Himmel, wandelt Luna,
die arme Mutter
mit ihren verwaisten Sternenkindern,
und sie glänzt in stummer Wehmut,
und liebende Mädchen und sanfte Dichter
weihen ihr Tränen und Lieder.
Die weiche Luna! Weiblich gesinnt,
liebt sie noch immer den schönen Gemahl.
Gegen Abend, zitternd und bleich,
lauscht sie hervor aus leichtem Gewölk,
und schaut nach dem Scheidenden, schmerzlich,
und möchte ihm ängstlich rufen: „Komm!
komm! die Kinder verlangen nach Dir –“
Aber der trotzige Sonnengott,
bei dem Anblick der Gattin, erglüht’ er
in doppeltem Purpur,
vor Zorn und Schmerz,
und unerbittlich eilt er hinab
in sein flutenkaltes Witwerbett.
Böse, zischelnde Zungen
brachten also Schmerz und Verderben
selbst über ewige Götter.
Und die armen Götter, oben am Himmel
wandeln sie, qualvoll,
trostlos unendliche Bahnen,
und können nicht sterben,
und schleppen mit sich
ihr strahlendes Elend.
Ich aber, der Mensch,
der niedrig gepflanzte, der Todbeglückte,
ich klage nicht länger.
Sternlos und kalt ist die Nacht,
es gärt das Meer;
und über dem Meer, platt auf dem Bauch,
liegt der ungestaltete Nordwind,
und heimlich, mit ächzend gedämpfter Stimme,
wie’n störriger Griesgram, der gutgelaunt wird,
schwatzt er ins Wasser hinein,
und erzählt viel tolle Geschichten,
Riesenmärchen, todschlaglaunig,
uralte Sagen aus Norweg,
und dazwischen, weitschallend, lacht er und heult er
Beschwörungslieder der Edda,
auch Runensprüche,
so dunkeltrotzig und zaubergewaltig,
dass die weissen Meerkinder
hochaufspringen und jauchzen,
Übermut-berauscht.
Derweilen, am flachen Gestade,
über den flutbefeuchteten Sand
schreitet ein Fremdling, mit einem Herzen,
das wilder noch als Wind und Wellen.
Wo er hintritt,
sprühen Funken und knistern die Muscheln;
und er hüllt sich fest in den grauen Mantel,
und schreitet rasch durch die wehende Nacht: –
sicher geleitet vom kleinen Lichte,
das lockend und lieblich schimmert
aus einsamer Fischerhütte.
Vater und Bruder sind auf der See,
und mutterseelenallein blieb dort
in der Hütte die Fischertochter,
die wunderschöne Fischertochter.
Am Herde sitzt sie,
und horcht auf des Wasserkessels
ahnungssüsses heimliches Summen,
und schüttet knisterndes Reisig ins Feuer,
und bläst hinein,
dass die flackernd roten Lichter
zauberlieblich widerstrahlen
auf das blühende Antlitz,
auf die zarte, weisse Schulter,
die rührend hervorlauscht
aus dem groben, grauen Hemde,
und auf die kleine, sorgsame Hand,
die das Unterröckchen fester bindet
um die feine Hüfte.
Aber plötzlich, die Tür springt auf,
und es tritt herein der nächtige Fremdling;
liebesicher ruht sein Auge
auf dem weissen, schlanken Mädchen,
das schauernd vor ihm steht,
gleich einer erschrockenen Lilie;
und er wirft den Mantel zur Erde,
und lacht und spricht:
Siehst du, mein Kind, ich halte Wort,
und ich komme, und mit mir kommt
die alte Zeit, wo die Götter des Himmels
niedersteigen zu Töchtern der Menschen
und die Töchter der Menschen umarmten,
und mit ihnen zeugten
zeptertragende Königsgeschlechter
und Helden, Wunder der Welt.
Doch staune, mein Kind, nicht länger
ob meiner Göttlichkeit,
und ich bitte dich, koche mir Tee und Rum;
denn draussen wars kalt,
und bei solcher Nachtluft
frieren auch wir, wir ewigen Götter,
Und kriegen wir leicht den göttlichsten Schnupfen,
Und einen unsterblichen Huften.
Die Sonnenlichter spielten
über das weithinrollende Meer;
fern auf der Reede glänzte das Schiff,
das mich zur Heimat tragen sollte;
aber es fehlte an gutem Fahrwind,
und ich sass noch ruhig auf weisser Düne,
am einsamen Strand,
und ich las das Lied vom Odysseus,
das alte, ewig junge Lied,
aus dessen meerdurchrauschten Blättern
mir freudig entgegenstieg
der Atem der Götter,
und der leuchtende Menschenfrühling,
und der blühende Himmel von Hellas.
Mein edles Herz begleitete treulich
den Sohn des Laertes, in Irrfahrt und Drangsal,
setzte sich mit ihm, seelenbekümmert,
an gastliche Herde,
wo Königinnen Purpur spinnen,
und half ihm lügen und glücklich entrinnen
aus Riesenhöhlen und Nymphenarmen,
folgte ihm nach in kümerische Nacht,
und in Sturm und Schiffbruch,
und duldete mit ihm unsägliches Elend.
Seufzend sprach ich: „Du böser Poseidon,
dein Zorn ist furchtbar,
und mir selber bangt
ob der eignen Heimkehr.“
Kaum sprach ich die Worte,
da schäumte das Meer,
und aus den weissen Wellen stieg
das schiffbekränzte Haupt des Meergotts,
und höhnisch rief er:
„Fürchte dich nicht, Poetlein!
Ich will nicht im geringsten gefährden
dein armes Schiffchen,
und nicht dein liebes Leben beängstgen
mit allzu bedenklichem Schaukeln.
Denn du, Poetlein, hast nie mich erzürnt,
du hast kein einziges Türmchen verletzt
an Priamos heiliger Feste,
kein einziges Märchen hast du versengt
am Aug meines Sohns Polyphemos,
und dich hat niemals ratend beschützt
die Göttin der Klugheit, Pallas Athene.“
Also rief Poseidon
und tauchte zurück ins Meer;
und über den groben Seemannswitz
lachten unter dem Wasser
Amphitrite, das plumpe Fischweib,
und die dummen Töchter des Nereus.
Herangedämmert kam der Abend,
wilder toste die Flut,
und ich sass am Strand, und schaute zu
dem weissen Tanz der Wellen,
und meine Brust schwoll auf wie das Meer,
und sehnend ergriff mich ein tiefes Heimweh
nach dir, du holdes Bild,
das überall mich umschwebt,
und überall mich ruft,
überall, überall,
im Saufen des Windes, im Brausen des Meers,
und im Seufzen der eigenen Brust.
Mit leichtem Rohr schrieb ich in den Sand:
„Agnes, ich liebe dich!“
Doch böse Wellen ergossen sich
über das süsse Bekenntnis,
und löschten es aus.
Zerbrechliches Rohr, zerstiebender Sand,
zerfliessende Wellen, euch trau ich nicht mehr!
Der Himmel wird dunkler, mein Herz wird wilder,
und mit starker Hand, aus Norwegs Wäldern,
Reiss ich die höchste Tanne,
und tauche sie ein
in des Ätnas glühenden Schlund, und mit solcher
feuergetränkten Riesenfeder
schreib ich an die dunkle Himmelsdecke:
„Agnes, ich liebe dich!“
Jedwede Nacht lodert alsdann
dort oben die ewige Flammenschrift,
und alle nachwachsende Enkelgeschlechter
lesen jauchzend die Himmelsworte:
„Agnes, ich liebe dich!“
Das Meer hat seine Perlen,
der Himmel hat seine Sterne,
aber mein Herz, mein Herz,
mein Herz hat seine Liebe.
Gross ist das Meer und der Himmel,
doch grösser ist mein Herz,
und schöner als Perlen und Sterne
leuchtet und strahlt meine Liebe.
Du kleines, junges Mädchen,
komm an mein grosses Herz;
mein Herz und das Meer und der Himmel
vergehn vor lauter Liebe.
*
An die blaue Himmelsdecke,
wo die schönen Sterne blinken,
möcht’ ich pressen meine Lippen,
pressen wild und stürmisch weinen.
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