Inmitten der regellosen Schar der Kirchenfürst selbst. Zusammengebrochen sass der stolze, alte Herr auf seinem weissen Hengst, das vom purpurroten Barett gekrönte Haupt gesenkt, Kotspritzer auf dem blanken, mit goldenen Reifen gezierten Harnisch und dem scharlachfarbenen Waffenrock, den Krummstab schlaff in der Hand haltend.
Ritter Felix war zur Seite gewichen, um die wilde Jagd an sich vorbeibrausen zu lassen. „Ich mein’, man soll dem Feind die Bäuche weisen und nicht den Rücken!“ schrie er in das Geklirr der Panzer, das Wagengerassel und Hufgepolter hinein.
„Ihr redet, wie Ihr’s versteht, Ritter!“ erwiderte ihm, in eiligem Vorbeireiten sich im Sattel wendend, ein Reisiger. „Das Gespenst fliegt weiter! Ganz Franken und Schwaben steht in hellen Flammen. Wann es dämmert, geht die Rede, soll man heute im Neckartal und auf den Bergen hier die ersten feurigen Häuser sehen! Merkt auf, ob nicht auch Eures dabei ist!“
„An meinem Häuslein ist nichts mehr auszubrennen!“ lachte Ritter Felix und ritt weiter. — —
Kurz vor Neckarzimmern hallte wie vom Himmel her dumpfes Pochen an sein Ohr. Dort oben auf schwindelnder Höhe verwahrte Herr Götz von Berlichingen emsig sein Schloss Hornberg. Hell hoben sich der schlanke hohe Bergfried, das Gewirr der kleineren Türme und zackengekrönten Mauern vom Blau des Himmels ab. Winzig klein erschienen vom Tal die geschäftig hin und her eilenden Knechte und die im Sonnenschein blinkenden Panzer der Reiter, die ihre Rosse den Bergpfad auf und nieder zügelten.
Zwei wilde Gesellen auf mageren Bauernkleppern kamen, dicht an Ritter Felix vorbei, den Abhang hinab. „Der Götz muss unser Oberst werden!“ sprach der eine finster. „Er mag wollen oder nicht. Die Bauernhauptleut’, Fähndriche und Gewaltigen haben sich zusammengetan und ihn erwählt!“
„Er aber hat sich beschwert!“ lachte der andere tückisch. „Hast nicht gehört, Müllerhänslein, wie er sich gewunden hat! Es wollt’ ihm nicht gebühren! Sie sollten den Neuhauser nehmen, wär’ geschickter dazu!“
„Potz Blitz!“ sagte Müllerhänslein von Bieringen gleichmütig, „wir haben ihn itzt abgefangen! Hilft ihm nichts, wenn er noch so ein langschweifig Geschwätz macht! Er muss Oberster sein, oder wir schiessen ihn vom Gaul!“ — —
Nun ritt der Trugenhofer im Deutschordensstädtchen Gundelsheim ein.
Die Deutschherren waren allesamt geflohen. Wie in einem Bienenstock summte es vor den Portalen des Schlosses und strömte über die Zugbrücken und kehrte beutebeladen zurück. Die Gundelsheimer fegten den Deutschherren gründlich Küche, Keller und Kammer ihrer Feste aus, ehe sie die Pechkränze hineinwarfen. Da schleppten sich Bauern mit Getreidesäcken, dort trugen vier Kerle im Schweiss ihres Angesichts einen steinernen Wassertrog auf Stangen davon und zankten sich Weiber um die Chorhemden, aus denen sie sich Schürzen zu schneiden gedachten. Die zerrissenen Briefe und Urkunden des Rentamts bedeckten wie ein Schneegestöber den Hof, und im Keller stand schuhhoch der Wein, der den zerschlagenen Fässern entronnen war. Betrunkenes Volk stapfte und plätscherte bei Fackelschein in der goldigleuchtenden Flut, die den Raum mit betäubendem Dunst erfüllte, und beugte sich nieder, den Wein mit der Hand in den Mund zu schöpfen oder in Näpfen und Kesseln auf die Gasse zu tragen.
Dort scharte sich johlend und jubelnd das Volk, Weiber und Kinder, um die Brandmeister, die den Beuteschatz des Schlosses, Silber, Leinwand und Hausgerät, unter den armen Konrad verteilten, und gellend klang das Spottlied:
„Essen, Trinken, Schlafengan,
Kleider aus und Kleider an,
Ist die Arbeit, so die Deutschherrn han!“
Ernster aber ging es im Städtlein selbst zu. Dort rüsteten sich die wehrhaften Männer, um zu dem grossen Heer der Odenwälder und Neckarbauern zu stossen. Sie stellten sich in Reih’ und Glied, sie hoben ihr Banner mit der aufgehenden Sonne und der Umschrift: „Wer frei will sein, der zieh’ zu diesem Sonnenschein!“ und von einem Stein herab, neben dem die Pechkessel und das Brandgerät zum Einäschern der Burg schon bereit lagen, predigte der Schweineheinz von Krebsbach den Aufruhr.
„Fahrt an, christliche Brüder!“ gellte seine heisere Stimme. „Wetzet die Waffen! Dran, dran, dran, weil das Feuer heiss ist! Lasset euer Schwert nicht kalt werden von Blut! Schmiedet Pinkepank auf dem Amboss Nimrods. Stellet euch fürwahr männlich und werfet den Turm zu Boden! Fresset den Pfaffen das Köstlichste aus den Speisekammern und saufet den Wein aus Gelten und packet die Schmerbäuche alle beim Grind! Und lasset euch von den Junkern nicht mit Affenschmalz bestreichen, sondern rucket ihnen die festen Häuser herum und schreiet: ‚Hier steht der arme Konrad mit Grund und Boden und sonst kein Herr!‘“
Weiter und weiter ritt Herr Felix den schmutzigen, vielgewundenen Pfad längs des Neckars dahin, zuweilen zum Schwerte greifend und sein Pferd spornend, wenn wiederum mit Trommelschlag und aufgerecktem Bundschuh, den Pfarrherrn an der Spitze, ein Bauernhaufe des Weges zog.
Schon senkte sich die Abenddämmerung hernieder, da machte er an einer Biegung halt. Dort, jenseits des brombeerumrankten Hügels, der an dem Fluss vorsprang, musste sich, von steiler Felswand auf die blauen Neckarwellen niederschauend, erheben, was von Trughof noch übrig war.
Jawohl! Da ragte noch der Bergfried in das lichte Blau des Abendhimmels, ein brandgeschwärzter, unwirscher Geselle, um den sich, an zwei Stellen vom Bundesgeschütze niedergelegt, die Mantelmauer krümmte. Über ihr starrten einige verkohlte Sparren und Balken in die Luft. Mehr als das und ein Haufe von Schutt und Asche war von dem Wohnhaus, den Stallungen und Kammern nicht übrig geblieben. Auf den zersprungenen Ziegeln und Holzsplittern, den Steintrümmern der Mauer sprosste das junge Gras und webte seinen lichtgrünen Teppich über den Hof bis zu dem gähnend offenen Burgtor. Die schweren Eichenbohlen, die es einst schirmten, mochten wohl flussabwärts geschwommen sein, und in dem Lehmboden davor zeichneten sich die Spuren des Wildes ab, das vor Sturm und Regen in dem verlassenen Gemäuer seinen Unterschlupf suchte. Um den Bergfried schwärmten die Krähen. Drohend, als wollten sie den Gast verscheuchen, klang das Geschrei der dunklen Wolke, die über der Burg ihren allabendlichen Massenflug abhielt.
Ritter Felix hatte sein Ross in den Trümmern des Hauses angepflöckt, da, wo noch ein Stück des einstigen Stalles aufrecht stand und vor Nachtfrost und Wölfen Schutz bot, und mit seinem Dolche Futter von dem Grase geschnitten, das üppig genug in seiner Stammburg gedieh. Nun klomm er vorsichtig zu dem hoch über dem Boden gelegenen Eingang des Bergfrieds empor. Dort in dem dicken Gemäuer wollte er, den Himmel hoch über sich, die Nacht rasten.
Eine wilde, zornige Traurigkeit erfüllte ihn. Wie war das alles zerstört und verwüstet von denen, die stärker waren als er! Seit undenklichen Zeiten hatte sein Geschlecht hier gehaust, frei und kühn wie die Bergfalken, die hart daneben an der Steinwand nisteten, und wie alljährlich neue Falken aus ihrem Reisiggestrüpp auskrochen und schrillen Schreies über das Flusstal hin auf Raub strichen, so, schien es, sollte auf ewig die Sippe der Trugenhoffen vom ragenden Felsen herab auf Welt und Menschen niederschauen.
Und nun sass er, ein Bettler, als der Letzte seines Stammes, in der zerstörten Burg ...
Wovon sie wieder aufbauen? Und wenn es ihm gelang, was half’s? Die neue Zeit war da. Stärker als die dickste Mauer war das Pulver, und gewaltiger als der Ahnen Lehre und Beispiel der tiefe, sehnsüchtige Drang da innen: Heraus aus den unwirtlichen, windumpfiffenen Raubnestern! Lieber tot, als solch ein Leben voll endloser Fehden und Völlerei, Speere brechen, Herden wegtreiben und Wanderer brandschatzen — hin und her in deutschen Landen, — ohne Zweck und Ziel — bis der Tod die krausen Händel endet!
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