„Aber wann nun ein anderer kommt und ist kein Bauer.“ Der Freiherr murmelte es beinahe und seine dumpfe Stimme zitterte. „Wann der Trugenhoffen sich nun nicht nach Weinsberg gehoben hat gestern vom Heidelberger Marktplatz, sondern reitet unversehens hier am Hause vor ...“
„So bleibt das Haus verschlossen!“ Madlenes Gesicht war hart wie Stein. „Ich bin Eure Hausfrau. Hab’ Euch geschworen am Altar und will meiner Seelen Seligkeit nicht verlieren!“
„Des mag sich Hans Lulle getrösten, aber wir nicht!“ sprach eine helle scharfe Stimme. Hans Daniel von Heerdegen trat mit seinen Brüdern ein, buntgefiederten Helms, mit blinkenden Spangen herausgeputzt, als ging’s zum Fastnachtsstechen. „Ich hör’ den verloffenen Gesellen schon da unten pochen und rufen ...“
„Er singt das Lied vom armen Ritter!“ lachte Jörg Heinrich und der dritte Bruder summte den Spottvers vor sich hin, so leise, dass kaum der Rebenkönig neben ihm es verstehen konnte:
„Ratzen und Mäus’,
Flöh’ und Läus’,
Angst und Sorgen
Wecken mich allmorgen!“
„Selb Lied hättet ihr singen sollen!“ sagte Madlene kalt. „Drunten im Waldhaus. Da habt ihr beisammen gesessen in Dampf und Weinfeuchte und war Lieb’ und Einigkeit unter euch Brüdern ein seltener Vogel. Und habt nichts gehabt auf der weiten Welt, was euer war. Nur eines. Mich habt ihr gehabt. Das war eure Hoffnung und Fortüne, wie ein gut Ross oder Dorf und nicht anders habt ihr’s an den reichsten Herrn verkauft und haltet euch nun trefflich mit Fisch und Fleisch, welschem Wein und damastnen Schauben. Ich aber dank’s euch nicht!“
„Da bescheint sich’s, wie ich’s mein’!“ sprach Hans Daniel gelassen. „Schwager ... ich rat’s Euch ernstlich: lasst sie nicht allein! Lasst einen von uns bei ihr, dass nichts Ungeschicktes geschieht!“
„Es geschieht nichts Ungeschicktes!“ Madlene schaute ihren Brüdern ruhig ins Gesicht ... „und einen Wächter brauch’ ich nicht. Bin schon gefangen genug. Zieht ihr getrost wider die Bauern und verseht euch dort eurer Viktorie. Mich habt ihr ja schon dargestreckt und still und stumm gemacht bis auf die Sterbenszeit!“
Die Brüder sahen sich an. Es war ihnen beklommen zumut. Jörg Heinrich versuchte zu scherzen. „Ich fürcht’ mich vor den Bauern!“ klagte er weinerlich. „Ich besorg’, sie tun mir was zuleid. Musst dann um uns weinen, Madlene!“
Sie schüttelte den Kopf. „Für euch wären meine Augen trocken!“ sagte sie laut und langsam. „Ihr habt mir mein Leben genommen. Mögen andere eures nehmen. Da bin ich nicht davor und möchte keinen Finger rühren. Es ist eins wie ’s andere: Mir nicht zulieb und nicht zuleid. Ihr seid mir fremde Leute!“
Eine Weile herrschte dumpfe Stille. „Solch Art hat es also um unsere Schwester!“ murmelte endlich Hans Daniel. „Wann freilich das eigene Geblüt einem den Tod an den Hals hängt, wie der Katze die Schellen ...“
Ein rauher Bass unterbrach ihn. „Kommt!“ gebot Herr Wolfgremlich finster. „Ich mag nichts mehr hören! Tut euch in den Sattel!“
Ohne Gruss stiegen sie die Treppe hinab in den Hof. Der alte Rebenkönig schaute ihnen unter der Pforte nach, wie sie längs der Hügel durch die weissdampfenden Nebel dahinritten.
„Wo solch ungereimte Sachen in einem Geschlecht vorfallen,“ sagte er nachdenklich zu einem weisshaarigen Reisigen neben sich, „ist’s ein gewisses Zeichen, dass es zugrunde geht oder doch am nächsten dort vorbei. Denn wo’s solche Händel hat, das sind die Vorboten!“
Der andere nickte: „Wann ein Unfall über ein Geschlecht soll gehen, so geschieht’s und ist mit einem Stück nicht ausgerichtet, sondern es folgt je eins zum andern ...“
Als die Hähne krähten und die Sonne im Tau des Grases glitzerte, ward es unten im Dorf lebendig. Das zitterige Glöcklein liess wie alle Tage bisher seine Sturmschläge vernehmen, zwei eintönige Schläge, die wie ein fortgesetztes „Bundschuh!“ — „Bundschuh!“ über die dampfenden Äcker, den im Frühwind rauschenden Wald dahinwanderten, und ein Schwarm mit Spiessen und Knütteln bewehrter Bauern zog zum Schloss empor. Ihr Pfarrherr führte sie, ein stämmiger, älterer Mann mit gutmütigem, derbem Bauernkopf, auf dem eine Eisenkappe funkelte.
Vor dem hochragenden, von dreifacher Ringmauer und tiefem Graben umlaufenen Turm- und Giebelgewirr der grimmen Feste, die sich wie eine kleine, bis an die Zähne verschanzte Stadt den Berg hinauf wölbte, machte der Zug Halt, in sorglicher Entfernung von den Armbrüsten der Knappen, die von den Torzinnen herabblinzelten.
Nur ein paar der Kecksten wagten sich noch näher heran und schlichen bis unter die Fenster des hinter den Türmen zum Himmel aufstrebenden, efeuumrankten Herrenhauses, über das hinaus, ein aus Riesenquadern gefügter unförmlicher Koloss, der Bergfried sein Reich überschattete.
„Kumm, Teifel!“ brüllte ein wüster Geselle. „Kumm! Hol alles, was im Schloss sei!“
Und wie das Janken hungriger Wölfe, die wohl zur Winterszeit in feiger Mordgier den Edelsitz umkreisten, scholl das Gebelfer seiner Genossen: „Kumm herab, Wolframsteiner! Wir wöllen dir den Bart herausraufen!“
Einer der Knappen legte einen Bolzen auf die stählerne Armbrust und schoss. In Zickzacksätzen fuhr das Gesindel zurück, und der Pfeil zitterte ohnmächtig auf der Erde.
Herr Wolfgang Kirschenbeisser aber, der Pfarrherr zu Gottwoltshausen, trat unverzagt und waffenlos vor die noch herabgelassene Zugbrücke. „Meldet eurem Herrn, dem Freiherrn von Wolframstein,“ rief er mit dröhnender Stimme: „Es ist der gemeinen, nunmehr versammelten Bauernschaft ernstlicher Will’, Meinung und Befehl, dass er, der Ritter, in unsere christliche Brüderschaft eintritt und noch bei heutigem Tage mit dreissig wohlgerüsteten Mann der göttlichen Gerechtigkeit Beistand tut — und wo das nicht geschieht, soll er wissen, unsicher zu sein Leib’ und Lebens!“
Die Knappen erwiderten nichts. Innen im Schlosshof erklang eine helle, befehlende Stimme, und knarrend öffnete sich das Tor. Frau Madlene trat heraus, fröstelnd in einen Fuchspelz gewickelt, und ging auf den Pfarrherrn und die hinter ihm sich drängenden Bauern zu. Unwillig musterte sie die in finsterem Trotz zur Seite schauende Schar.
„Wen habt ihr für euren Redner aufgeworfen?“ fragte sie kurz. „Etwa dich, Michel Heul, den bösesten Bauern, der hinter meinem Herrn sitzt, oder gar dich, Christa Kutter, du loser Schalksknecht, der ihm den Bart ausraufen möcht’? — Wann er von seinem Ritt nach Weinsberg wieder heim ist, kannst dich melden und es versuchen!“
Der Pfarrer reckte sich auf. „Ist unser gnädiger Herr nicht im Schlosse, so höret Ihr, Frau, unser Begehr!“
„Ei schau!“ sagte Madlene. „Unser Pfaff’ an der Spitze des leichtfertigen Volks! Hat sich eine Eisenkappe über die Ohren gezogen und dünkt sich fürwahr ein Reitersmann! Aber so ist’s überall! Wer leitet den gemeinen Mann zum Aufruhr an? Ausgeloffene Mönche, abtretene böse Pfaffen, lutherische Buben — fressen Fleisch, wann Fastens ist!“
„Tut gemach, Frau!“ wollte sie Wolfgang Kirschenbeisser unterbrechen, aber sie liess sich nicht stören.
„Nun habt ihr’s erreicht! Unruhe und Mutwillen allenthalben. Die Bauern gehen in die adligen Häuser, prassen und schlemmen am dicksten zu, lassen das Vöglein sorgen, halten redlich und männiglich kostfrei Spass und Frass!“
„Jetzt muss auch der Bauer Herr werden!“ knurrte einer der Knüttelträger. „Gott will’s!“
„Was Stab und Stangen tragen kann,“ ergänzte Pfaff Kirschenbeisser, „das muss jetzt auf sein! Es tut not!“
„Treibt keine ungeschickten Worte!“ gebot Madlene kurz. „Wie ich Euch hab’ kommen sehen, hab’ ich meinen Pelz umgetan und bin fürbass gegangen. Was also wollt Ihr?“
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