W. E. Norris
Die geprellten Verschwörer
Roman
Autorisierte Aebersetzung aus dem Englischen
von
Emmy Becher
Saga
An einem gewissen Frühlingsabend eines gewissen Jahres (die Möglichkeit, das Datum genauer anzugeben, wäre vorhanden, aber aus verschiedenen Gründen erscheint es wünschenswert, die Zeit minder deutlich zu bezeichnen) gab Lord Guise in seinem Klub ein kleines Diner. Es machte ihm besonderes Vergnügen, derartige Einladungen zu erlassen, ja, er war überhaupt nur in diesen Klub eingetreten, weil dieser wegen der Trefflichkeit der Küche, womit die Mitglieder Fremde bewirten konnten, berühmt war. Ob er es nun nicht der Mühe wert fand, sich um die Zusammensetzung der Gesellschaft viel zu bekümmern, oder ob er ihre Buntscheckigkeit ergötzlicher fand, kurz, Lord Guise suchte sich seine Gäste aus, ohne im geringsten Rücksicht darauf zu nehmen, ob sie sich untereinander verstehen würden oder nicht. Dass die drei, die er bei dem heutigen Anlass zusammengebeten hatte, ausser dem Sinn für gute Küche und gute Weine keinerlei Berührungspunkte hatten, dessen musste er sich auf alle Fälle bewusst gewesen sein.
Einer davon war sein alter Freund und einstiger Schulkamerad, Percy Thorold, ein hübscher, ziemlich ernsthaft dreinschauender Mann von über dreissig Jahren, mit dunklem Haar und breiter Stirn, der früh Parlamentsmitglied geworden war, sich rasch als Redner hervorgethan hatte und jetzt die Stellung eines jüngeren Lordschatzmeisters einnahm. Der zweite war Eustace Moreton, ein auffallend hübscher und nach Ansicht der meisten Leute auffallend nichtsnutziger junger Mensch; er war eine Zeitlang Gardeoffizier gewesen, hatte diesen Beruf aber aufgegeben, weil er gefunden hatte, dass seine Mittel ihm diesen Luxus nicht gestatteten. Ob er oder sein Vater es weniger kostspielig fanden, wenn er ganz ohne Beschäftigung in London lebte, bleibt eine offene Frage, jedenfalls hatte er weder Lust noch Aussicht, auf irgend eine Weise sein Brot zu verdienen. Als treuer Unterthan des neuesten Modegesetzes war er ganz glatt rasiert; sein blondes, lockiges Haar wuchs weit in die breite Stirn hinein, seine schläfrigen blauen Augen drückten der Welt, die im Ganzen genommen so gnädig mit ihm verfahren war, als er irgend erwarten konnte, ein gewisses lässiges Wohlwollen aus. In der Gesellschaft war er ein begehrter Mann, denn er tanzte gut, hatte kein Vorurteil gegen Londoner Bälle und wusste sich angenehm zu machen. Der dritte Gast endlich war der kleine Herr Schneider, von dem weder sein Wirt, noch sonst jemand viel wusste, als dass er viel Geld besass, dass er im Park und an andern Orten vierspännig fuhr, dass sein verstorbener Vater ein deutscher Bankier gewesen war und dass ihm ausserordentlich viel daran lag, in der Gesellschaft festen Fuss zu fassen. Von den vier Tischgenossen war Lord Guise selbst der älteste und der wenigst elegante; sein Haar, das er länger trug, als es heutzutage bräuchlich ist, war nicht forgfältig genug gepflegt, seine Kleider sassen schlecht und seine Züge waren plump und unregelmässig. Alles zusammengenommen, sah er sehr gewöhnlich aus, wenn es auch Leute gab, die ihn in seiner Eigenschaft als ältester Sohn eines Herzogs eine vornehme Erscheinung zu nennen beliebten. Er galt für excentrisch, was aber nicht viel mehr heissen wollte, als dass seine Umgangsformen weniger fein waren, als zu erwarten gewesen wäre, und dass er noch unverheiratet war.
Wenn Lord Guise, trotzdem verlockende und ziemlich deutliche Aufforderungen, seinen Stand zu verändern, nicht ausblieben, noch immer Junggeselle war, so rührte das nicht von phantastischen Launen her, sondern beruhte auf der tiefen Ueberzeugung, dass ein Mann, der sich lebenslang an ein Weib bindet, zehn gegen eins eine unwiderrufliche Thorheit zu bereuen haben werde. Es war dies ein Lieblingssatz von ihm, und er trug ihn jetzt eben seinen drei Gästen vor, die ihm mit Interesse und Spannung zuhörten.
„Selbstverständlich ist die Ehe als gesellschaftliche Einrichtung eine Notwendigkeit,“ bemerkte er in seiner langsamen, etwas schleppenden Sprechweise, „und das zu bestreiten, wird wohl niemand einfallen. Wogegen ich mich auflehne, ist nur die englische Art, Heiraten zu schliessen. Was zum Henker hat denn die Liebe mit der Geschichte zu thun? So ein verrannter Esel ist doch wohl kein Mann, dass er glauben könnte, er werde sein ganzes Leben lang in eine und dieselbe Frau verliebt sein und bleiben.“
„Ich kann mir doch vorstellen, dass ein Mann ein solcher Esel wäre,“ sagte Thorold mit einem leisen Lächeln.
„Bei Licht besehen, ich auch, eigentlich bildet man sich das ja ein, so oft man verliebt ist. Ich habe meinen Gedanken nicht richtig ausgedrückt, ich hätte sagen sollen, so dumm ist keiner von uns, an die Möglichkeit einer unwandelbaren Liebe bei einem andern Mann zu glauben.“
„Oder an die dauernde Liebe bei einem Weib,“ setzte Moreton mit einem Seufzer hinzu und heftete einen wehmütigen Blick auf sein leeres Sektglas.
Lord Guise gab dem Kellner einen Wink und nahm seine Vorlesung wieder auf.
„Der Grund, aus dem so viele Eheleute sich gegenseitig hassen, liegt nur darin, dass sie mit dem abgeschmackten Gelöbnis, Unmögliches zu vollbringen, vom Stapel gelaufen sind. Man sollte anfangen, wie man fortzumachen gesonnen ist, und wenn man mit einem guten, ruhigen Gefühl gegenseitiger Rücksicht und Achtung beginnen wollte, so liesse sich die Sache wahrscheinlich ohne viel Unbehagen durchführen. Ich sage nicht, dass die Ehe in irgend welcher Weise erfreulich sein könnte, aber erträglich könnte sie gemacht werden!“
Der kleine Herr Schneider, mit seinem runden, rosigen Gesicht und den hervorstehenden Augen, nickte beistimmend und klopfte auf den Tisch.
„Vollkommen richtig!“ rief er lebhaft. „Ich stimme Ihnen ganz und gar bei!“
„Das habe ich von Ihnen erwartet,“ bemerkte Lord Guise trocken. „Sie thun das in der Regel. Aber was halten Sie davon, Thorold? Geben Sie mir recht?“
In Wahrheit hatte diese ganze Standrede, so allgemein sie der Form nach auch gehalten war, nur auf einen einzelnen Fall Bezug, und Herr Thorold war sich dessen vollkommen bewusst.
„Sie mögen recht haben,“ versetzte er. „Ich persönlich hätte kein grosses Verlangen, nach französischem Rezept zu heiraten, aber vermutlich bewährt es sich in den meisten Fällen besser, als das unsrige. Uebrigens hat es nicht viel zu sagen, ob Sie recht oder unrecht haben, denn Sie werden schwerlich eine Umwälzung unsrer angebornen Vorstellungen hervorbringen.“
„Das weiss ich denn doch nicht,“ erwiderte Lord Guise. „Jede Bewegung entsteht durch einen einzelnen, und so sehr ich von meines Nichts durchbohrendem Gefühle durchdrungen bin, könnte es doch sein, dass ich der erste wäre, der die Kugel in der rechten Richtung ins Rollen brächte. Nicht, dass ich dem französischen Rezepte unbedingte Geltung verschaffen möchte — für meinen Geschmack nimmt in Frankreich die Schwiegermutter eine zu hervorragende Stellung im Haushalt ein. Ich möchte es nur dahin bringen, dass die Männer einsehen, dass in eine Frau verliebt zu sein, gar kein Grund ist, sie zu heiraten — im Gegenteil. So viel werden Sie mir doch zugeben müssen, Thorold?“
Die Blicke der beiden andern Tischgenossen waren erwartungsvoll und mit einer versteckten Heiterkeit auf den jungen Politiker gerichtet, dessen Verlobung mit einer sehr bekannten Dame kürzlich abgebrochen worden war, und von dem man annahm, er sei noch etwas herzwund über die Geschichte.
„O gewiss gebe ich das zu,“ erwiderte er achselzuckend. „Schliesslich handelt es sich ja nur um verschiedene Abstufungen unsrer Unkenntnis, denn was wissen wir überhaupt von den Frauen, auch wenn wir nicht verliebt sind? Das beste ist, ihnen freien Spielraum zu geben.“
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