»Ich hoffe nur, dass sonst niemand das mit dem verschwundenen Kopf rausgekriegt hat«, murmelte Pia, während sie sich darauf konzentrierte, auf die richtigen Tasten zu drücken. Sie hatten eine halbe Stunde, ehe die erste Kurzsendung der Regionalnachrichten ausgestrahlt wurde, und sie hatten dem Redakteur mindestens eine Minute und dreißig Sekunden versprochen. Um zehn vor sechs waren sie so weit und konnten ihren digitalen Beitrag an die Redaktion in Stockholm schicken.
Nach der Sendung rief Grenfors an.
»Gut gemacht«, lobte er. »Klasse, dass du die Mädels gekriegt hast, sie waren doch saugut, und ich glaube nicht, dass sonst irgendwer sie interviewt hat.«
»Nein, meines Wissens haben sie nur mit uns gesprochen.«
»Wie hast du sie eigentlich dazu gebracht?«
»Das war Pias Verdienst«, sagte Johan. »Sie hat sie überreden können.«
»Ach was?« Grenfors schien überrascht zu sein. »Sag ihr, dass das verdammt gut war. Wie wollt ihr morgen weiter vorgehen?«
Johan sah den Redakteur vor sich, wie er auf seinem Stuhl vor seinem Redaktionspult im Fernsehgebäude auf Gärdet in Stockholm hin- und herschaukelte. Ein großer, durchtrainierter Mann von fünfzig Jahren mit gefärbten Haaren und voller Geltungssucht.
In letzter Zeit hatte die sich noch gesteigert, fand Johan. Grenfors wurde immer nervöser. Seine Angst davor, nicht rechtzeitig brauchbare Beiträge zu bekommen, äußerte sich auf unterschiedliche Weise; aufgeregte Telefongespräche über den Stand der Dinge, lange Diskussionen darüber, wie die Reportage aussehen sollte, und immer wieder rief der Redakteur persönlich die für ein Interview vorgesehenen Personen an, um sich davon zu überzeugen, dass das Interview wirklich stattfinden werde.
Natürlich hatte Grenfors immer schon dazu geneigt, sich einzumischen, aber nicht in demselben Maße wie jetzt. Johan fragte sich, ob das an erhöhtem Stress in der Redaktion liegen könnte. Von den Sparmaßnahmen waren auch die Nachrichten betroffen, die Mittel wurden immer weiter beschnitten, immer weniger sollten immer mehr Beiträge liefern, was auf Kosten der Qualität ging.
Das war einer der großen Vorteile der Arbeit auf Gotland – nicht dauernd den Angstzuständen des Redakteurs ausgesetzt zu sein. Jetzt erlebte Johan diese nur noch aus der Ferne mit.
Wie Knutas befürchtet hatte, rief die Nachricht über das enthauptete Pferd heftige Reaktionen hervor.
Seit er um halb acht Uhr morgens ins Büro gekommen war, lief sein Telefon heiß. Auf die Berichte in den Medien folgten Reaktionen von Kommunalpolitikern, Pferdefreunden, Tierrechtsaktivisten und Tierschutzvereinen, Veganern und der Öffentlichkeit ganz allgemein. Alle verlangten von der Polizei die sofortige Festnahme des Abschaums, der diese scheußliche Tat begangen hatte.
Als Knutas um acht Uhr den Raum zur Besprechung der Ermittlungsleitung betrat, empfing ihn bereits heftiges Zeitungsgeraschel.
Lars Norrby war von seinem zweiwöchigen Urlaub auf den Kanarischen Inseln zurückgekehrt. Er war am Vorabend sehr spät eingetroffen und hatte sich in die Morgenzeitung vertieft. Der Pressesprecher der Polizei war groß und dunkelhaarig, und jetzt schmückte ihn zudem eine kleidsame Bräune. Er arbeitete schon ebenso lange wie Knutas bei der Visbyer Polizei und war dessen Stellvertreter. Norrby war phlegmatisch, aber genau und zuverlässig. Er war kein Mann der Überraschungen, und Knutas wusste immer, was er von ihm zu erwarten hatte.
Die Besprechung begann mit einer Diskussion über die Berichterstattung der lokalen Medien.
»Dass die Mädchen im Fernsehen aufgetreten sind, ist unbegreiflich«, sagte Karin. »Wir haben doch so klar gesagt, dass sie sich auf kein Interview einlassen dürften.«
»Dieser Johan Berg von den Regionalnachrichten ist ein Arsch, der Kinder manipulieren kann«, pöbelte Wittberg. »Verdammter Idiot.«
»Wir können die Menschen, egal ob Kinder oder Erwachsene, nicht daran hindern, mit der Presse zu reden, wenn sie das wollen«, sagte Knutas. »Und es muss ja nicht unbedingt von Übel sein. Dass die Mädchen im Fernsehen waren, wird hoffentlich zu dem einen oder anderen Hinweis führen. Und das brauchen wir, bisher sind Hinweise ja noch Mangelware. Schlimmer ist es, dass jetzt alle wissen, dass der Pferdekopf verschwunden ist, das führt doch zu einer Menge unangenehmer Spekulationen.«
Sohlman sah müde aus, vermutlich hatte er bis spät in die Nacht gearbeitet.
»Wir haben die Wagenspuren genauer untersucht und können die von zwei unterschiedlichen Autos erkennen. Die eine war leicht zu identifizieren, sie stammt vom Wagen des Bauern, wir haben die Reifen verglichen, und es gibt keinen Zweifel. Bei der zweiten Spur ist es nicht so einfach. Die Reifen sind grob und ziemlich abgenutzt, sie gehören vermutlich zu einem Lieferwagen oder einem Pick-up. Aber sie könnten auch einem Kombi gehören.«
»Gibt es noch andere Spuren?«, fragte Karin.
»Wir haben einiges aufgelesen: Plastiktüten, Eisstiele, Kippen, die eine oder andere Flasche, nichts von besonderem Interesse eigentlich.«
»Wir müssten mit anderen Pferdebesitzern in der Nähe sprechen und fragen, ob denen etwas aufgefallen ist«, schlug Karin vor.
»Nicht, ehe wir wissen, wie viel Pulver wir für einen solchen Fall verschießen dürfen«, sagte Knutas. »Trotz allem geht es ja nur um ein Tier.«
»Was heißt hier nur? Das ist eine widerliche Tierquälerei«, sagte Karin empört. »Sollen wir darauf pfeifen, nur weil kein Mensch darin verwickelt ist?«
»Wer einem Tier so etwas antun kann, kann sicher auch für Menschen gefährlich sein«, fügte Wittberg hinzu.
»Immerhin hat der Fernsehbericht gestern die Leute reichlich aufgerüttelt. Die Öffentlichkeit verlangt, dass wir alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um den Pferdemörder zu fangen. Das Telefon hat ununterbrochen geklingelt. Ich kann mir vorstellen, dass wir ebenso viel Zeit brauchen werden, alle erregten Gemüter zu beruhigen, wie für die eigentliche Ermittlung. Und wir müssen jedenfalls auch über die Enthauptung sprechen. Was für einem Menschen ist so etwas zuzutrauen?«
Knutas ließ seine Blicke durch die Runde schweifen.
»Ich finde, es sieht aus, als ob hier jemand an dem Bauern persönliche Rache nehmen will. Oder vielleicht an seiner Frau oder auch dem ältesten Sohn?« Norrby rieb sich nachdenklich sein glatt rasiertes Kinn. »Das ist eine Drohung, das ist klar. Eine bizarre Vendetta.«
»Oder es geht um das, was nicht mehr im Gehege war, nämlich den Pferdekopf«, wandte Knutas ein. »Was will der Täter damit? Wir sollten vielleicht an diesem Ende anfangen. Er hat ja wohl kaum vor, ihn als Trophäe wie einen Elchkopf über seinen Kamin zu hängen? Es kann sein, dass eine Person, die gar nichts mit der Familie Larsson zu tun hat, jetzt Grund hat, sich zu fürchten.«
»Das klingt ja wie der Pate«, sagte Karin. »Erinnert ihr euch an den Mann, dem ein Pferdekopf ins Bett gelegt wurde?«
Die anderen am Tisch grinsten unangenehm berührt.
»Ja, es gibt doch einige Parallelen zwischen Gotland und Sizilien«, fügte Knutas hinzu und verzog den Mund. »Schafe haben wir genug. Und Schafsköpfe.«
Die Propellermaschine landete kurz nach drei Uhr nachmittags auf dem Inlandsflughafen Bromma bei Stockholm. Der Mann mit der dunkelblauen Sporttasche erhob sich, sowie das Flugzeug zum Stillstand gekommen war. Er trug eine getönte Brille und hatte seine Mütze tief ins Gesicht gezogen. Glücklicherweise hatte er allein in seiner Reihe gesessen, und so hatte niemand den Versuch machen können, ihn ins Gespräch zu ziehen. Die Flugbegleiterin hatte seine Ablehnung offenbar gespürt, sie hatte nur einmal diskret Kaffee angeboten und ihn danach in Ruhe gelassen. Als das Taxi sich der Innenstadt näherte, stieß er einen tiefen, erwartungsvollen Seufzer aus. Er freute sich auf das Treffen.
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